Abmahnungen nach UWG: Indizien der Rechtsprechung für Rechtsmissbrauch
Für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln zeichnen nicht in erster Linie staatliche Aufsichtsbehörden sondern die Privatinitiative der einzelnen Wettbewerber verantwortlich (= privatrechtlichen Lösung).
Dem Eingrenzen von Wettbewerbsverstößen dient der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch. Ihn geltend zu machen ist allerdings unzulässig, wenn dies unter Berücksichtigung der Gesamtumstände rechtsmissbräuchlich ist.
Wann ist eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich?
Das Gesetz selbst erwähnt als rechtsmissbräuchlich ausdrücklich den Fall des im Vordergrund stehenden Gebührenerzielungsinteresses.
Die Rechtsprechung hat anhand entschiedener Einzelfälle hierzu eine Reihe von Kriterien entwickelt, nach denen eine Rechtsverfolgung von Wettbewerbsverstößen als rechtsmissbräuchlich angesehen wird:
- Paralleles Abmahnen mehrerer Konzerntöchter
Mehrere zu einem Konzern gehörende Unternehmen sollen ohne sachlichen Grund nicht parallel gleichartige Abmahnungen versenden.
Beispiel: Franchisegeber und -nehmer abgemahnt
Eine Rechtsanwaltskanzlei hatte im Namen eines zur Media-Markt/Saturn-Gruppe gehörenden Einzelhandelsunternehmens eine Franchisegeberin abgemahnt, deren Franchisenehmer Computer nebst Zubehör „ direkt ab LKW“ veräußerten. Im Rahmen der Abmahnung wurde das Franchiseunternehmen auf Unterlassung und auf Auskunft über die Einnahmen aus unzulässigen Verkäufen in Anspruch genommen. Aber nicht nur die Klägerin, sondern auch andere, zur Media-Markt/Saturn-Gruppe gehörenden Einzelhandelsunternehmen nahmen die Beklagte in gleicher Weise in Anspruch.
Diese Mehrfachabmahnungen sah der BGH als rechtsmissbräuchlich an (BGH, Urteil v. 5.10.2000, I ZR 237/98).
Besteht dagegen für Mehrfachabmahnungen ein sachlicher Grund, z.B. unterschiedliche örtliche Besonderheiten, so können auch solche Mehrfachabmahnungen rechtmäßig sein.
- Überzogener Gegenstandwert/Kurze Fristen
Das LG Bochum hat eine Abmahnung als rechtsmissbräuchlich angesehen, bei der der seitens des Anwalts angesetzte Gegenstandwert der Bedeutung der Sache nicht angemessen war und die Fristen für die Abgabe der Unterlassungserklärung und Zahlung der Gebühren besonders kurz waren und am gleichen Tag abliefen (LG Bochum, Urteil v. 13.07.2010, 12 O 235/10)
- Unverhältnismäßiger Druck auf den Abgemahnten
Das LG Bochum befand auch die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gegen das wettbewerbswidrig handelnde Unternehmen und gleichzeitig gegen dessen Geschäftsführerin ohne besonderen sachlichen Grund als unverhältnismäßig. Durch darüber hinaus sehr eng gesetzte Fristen hätte ein unsachgemäßer Druck aufgebaut werden sollen, der nicht in erster Linie wettbewerbsrechtlich motiviert gewesen sei (LG Bochum, Urteil v. 21.04.2010, 13 O 261/09).
- Nur abstrakt bestehendes Wettbewerbsverhältnis
Ein Rechtsanwalt, der in Berlin ein Bauunternehmen betrieb, hatte in Rosenheim ein Bauunternehmen wegen irreführender Werbung abgemahnt. Nach Auffassung des BGH bestand wegen der großen räumlichen Entfernung allenfalls ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis. Tatsächlich war ein Aufeinandertreffen beider Unternehmen am Markt eher unwahrscheinlich. Der BGH erkannte daher auf Rechtsmissbrauch4.
- Zahl der ausgesprochenen Abmahnungen
Der Berliner Rechtsanwalt unterlag auch deshalb, weil er in einem Jahr über 150 Abmahnungen versandt hatte. Diese Zahl ließ nach Auffassung des BGH klar die im Vordergrund stehende Gebührenerzielungsabsicht des Anwalts, nicht aber das Interesse an einer Marktbereinigung erkennen. Eine solche Verselbständigung der Abmahn- und Rechtsverfolgungstätigkeit von der eigentlichen Tätigkeit als Wettbewerber stünde mit der Zielsetzung des Wettbewerbsrechts in diametralem Widerspruch (BGH Urteil v. 06.04.2000, I ZR 67/98).
- Überwiegend sachfremde Ziele
Die Unzulässigkeit setzt nicht voraus, dass die Rechtsverfolgung ohne jedwede wettbewerbsrechtlichen Interessen betrieben würde. Entscheidend ist, wenn überwiegend das Gebührenerzielungsinteresse, das Interesse, den Gegner zu schädigen oder generell zu belasten, im Vordergrund steht (OLG Hamm, Urteil v 29.06.2010, I - 4 U 24/10).
Wichtig: Rechtsmissbrauch im Gesamtzusammenhang prüfen
Der BGH warnt vor schematischer Verallgemeinerung. So genüge der Umstand, dass eine Abmahnung auch andere als wettbewerbsrechtliche Ziele verfolge, sich z.B. als Retourkutsche darstelle, allein für die Annahme des Missbrauchs nicht. Entscheidend ist immer eine Gesamtbewertung der widerstreitenden Interessen, das Gewicht der wettbewerbsrechtlichen Verletzung sowie die Ausräumung der Wiederholungsgefahr, an der der Wettbewerber grundsätzlich ein berechtigtes Interesse hat.
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