BGH bezeichnet Diesel-Abgasmanipulation in Beschluss als Mangel

Eine unzulässige Software, die die Emissionswerte verfälscht, macht ein Fahrzeug mangelhaft und löst Gewährleistungsrechte aus. Der BGH hat sich jetzt in einer Konstellation geäußert, in der ein fehlerhaftes Fahrzeugmodell nicht mehr hergestellt wird, sondern nur noch ein deutlich verbessertes Nachfolgemodell.

Anlässlich des bunten Flickenteppichs der Diesel-Rechtsprechung haben viele Käufer und manche Richter lange vergeblich auf ein Wort vom BGH gewartet. Immer wieder gab es Vergleiche, die dies verhinderten. Nun hat der trotzdem Laut gegeben.

Präzedenzfall ohne Urteil

Die Veröffentlichung des Beschlusses, der „nur“ ein Hinweisbeschluss ist, dürfte bei VW für unangenehme Überraschung gesorgt haben. Hatte man sich nach dem Beschluss doch schnell entschlossen, sich lieber mit dem klagenden Fahrzeugeigentümer zu einigen und so den Rechtsstreit vorzeitig zu beenden als das nun vorhersehbar unangenehme BGH-Urteil abzuwarten.

Es scheint, die BGH-Richter waren es leid, immer wieder mit VW-Verfahren konfrontiert zu sein, ohne entscheiden zu dürfen.

Der Geniestreich jedenfalls ist gelungen. Dieser veröffentlichte Hinweisbeschluss gibt die Marschroute für alle Gericht vor – auch ohne Urteil.

Eingestellte Produktion des ersten Tiguan-Modells

Im Frühjahr 2015 hatte ein Käufer einen neuen VW Tiguan 2.0 TDI mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 für 31.350 EUR gekauft und bekam es Ende Juli 2015 geliefert.

Bei dem Fahrzeug handelt es sich um den Tiguan der ersten Generation, der seit 2016 nicht mehr gebaut wird. Vielmehr hat VW das Nachfolgemodell auf den Markt gebracht, das

  • eine höhere Motorisierung hat, nämlich 110 statt 103 kW und
  • eine Höchstgeschwindigkeit von 201 – 204 statt 182 – 192.
  • Darüber hinaus ist es größer mit 6 cm mehr Fahrzeuglänge und 8 cm breiterem Radstand.

Reale Abgaswerte höher als gemessene - Dank von VW verbauter Software

Der Motor ist mit einer Software ausgestattet, die die Emissionswerte manipuliert.

  • Im normalen Fahrbetrieb stößt das Fahrzeug mehr Stickstoff aus als es darf.
  • Ist das Fahrzeug allerdings im Prüfmodus, werden also die Abgaswerte zu Kontrollzwecken ausgemessen, wird der Stickstoffausstoß reduziert.

Die Zulassungsbehörde hat deshalb die Möglichkeit, dem Fahrzeug die Zulassung für den Straßenverkehr zu entziehen. So war für den Tiguan-Besitzer das Fahrglück war nur von kurzer Dauer. Bereits im Oktober 2015 erließ das Kraftfahrtbundesamt einen Bescheid, der eine Umrüstungsanordnung enthielt. Das war Anlass für den Fahrzeughalter Ansprüche gegenüber VW geltend zu machen.

LG und OLG entschieden zugunsten von VW

Eine Nachrüstung erfolgte nicht und wurde von VW auch nie angeboten. Es ging daher immer um die Lieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs. Dagegen sträubte sich VW - zunächst - erfolgreich. Die ersten beiden Instanzen wiesen die Klage des Autokäufers ab. Das OLG Bamberg sah den Anspruch auf Lieferung eines neuen VW Tiguan der zweiten Generation deshalb nicht, weil das Nachfolgemodell so anders sei, dass eine Ersatzlieferung für VW unmöglich und deshalb nicht geschuldet sei.

Latent drohende Betriebsuntersagung führt zur Bejahung des Sachmangels

Ganz anders sieht es der BGH. Zunächst werten die obersten Richter die verbaute Manipulationssoftware als Sachmangel des Neufahrzeugs . Die Verwendung der Software ist unzulässig (Art. 5 Abs.2 VO 715/2007/EG) und führt dazu, dass sich der Fahrzeughalter ständig in der Gefahr sieht, von der Zulassungsbehörde

  • zur Mangelbeseitigung aufgefordert zu werden oder
  • das Fahrzeug nicht mehr zu fahren.

Bei Produktionsstopp richtet sich die Ersatzbeschaffung auf das Nachfolgemodell

Darüber hinaus stellt der BGH klar, dass bei der Ersatzbeschaffung

  • nicht die identische Sache geliefert werden muss, sondern nur
  • eine – funktionell und vertragsmäßig - gleichartige.

Das Nachfolgemodell eines Autos, das nicht mehr produziert wird, erfüllt diese Voraussetzung, auch wenn es Verbesserungen aufweist, zumal ein Fahrzeughersteller auch bei einem Modell der gleichen Baureihe von sich aus Änderungen vornehmen kann.

Nur ein unverhältnismäßig hoher Kostenaufwand kann den Anspruch des Käufers hindern

Es stellt sich allein die Frage, ob die Ersatzbeschaffung im Einzelfall für den Verkäufer unzumutbar ist (§ 439 Abs.4 BGB).

  • Der Kostenaufwand im vorliegenden Fall hätte 28.000 EUR netto abzüglich des Veräußerungserlöses für den ersten Tiguan in Höhe von 19.330 EUR netto, also etwa 8.700 EUR betragen.
  • Ob diese Summe unverhältnismäßig hoch ist, hätte das Berufungsgericht befinden müssen, wäre der Fall hier anders und nach Auffassung des BGH „richtig“ gelaufen.

(BGH, Beschluss v. 8.1.2019, VIII ZR 225/17):

Anmerkung:

Mit dem "vorwitzig verbreiteten" Hinweisbeschluss, dürfte der BGH der unsäglich regional gefärbten Diesel-Rechtsprechung ein Ende gesetzt haben.

Krefeld contra Braunschweig

So reihte sich ein harsches Pro-Käufer-Urteil aus Krefeld (Verwerfliche Täuschung der Käufer allein aus Gewinnstreben) in die Reihe einiger weiterer Entscheidungen des LG Krefeld zu Gunsten der Käufer (LG Krefeld, Urteile v. 4.10.17, 2 O 192/16, 2 O 192/16 und 2 O 19/17). Es entsprach der allgemeinen Tendenz der Landgerichte in diesen Fällen. Dagegen entschied das LG Braunschweig bisher in der Mehrzahl der Fälle zu Gunsten von VW (LG Braunschweig, Urteil v. 3.1.2019, 11 O 1172/18; Urteil v.16.11.2018, 11 O 899/18).

Das LG Braunschweig spielt bei Klagen speziell gegen VW als das zuständige Gericht am Sitz des Autoherstellers eine herausragende Rolle und hat über den weitaus größten Teil der eingereichten Klagen zu entscheiden.

Daher erwarteten die betroffenen VW-Kunden mit hoher Spannung die für den 19.2. angekündigte Entscheidung des OLG Braunschweig über ein Klageverfahren, bei dem der Rechte-Dienstleister MyRight für einen VW-Kunden wegen der Abgasmanipulationen von VW geklagt hatte. Erstinstanzlich hatte das LG Braunschweig die Klage abgewiesen. Das OLG hat die erstinstanzliche Entscheidung nun bestätigt (OLG Braunschweig, Urteil v. 19.2.2019, 7 U 134/17).

MyRight hat bereits angekündigt, den Rechtstreit dazu nutzen zu wollen, endgültig sämtliche im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen zusammenhängenden Rechtsfragen gerichtlich bis zum BGH klären lassen zu wollen. Nun hat der BGH sich schon früher zu Wort gemeldet.