BGH zur Rechtmäßigkeit einer Beitragserhöhung in der Privaten Krankenversicherung
Der Versicherungsnehmer einer privaten Krankenversicherung (Axa) hatte sich gegen Beitragserhöhungen für die Kalenderjahre 2012 und 2013 gewandt. Die Prämienerhöhung hatte die Axa auf der Grundlage von § 203 Abs. 2 VVG vorgenommen, wonach ein unabhängiger Treuhänder die Richtigkeit der Kalkulation für die Beitragserhöhung überprüfen muss.
Rechtsgrundlage der Beitragsanpassung
Gem. § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG ist bei einer Krankenversicherung, bei der das Kündigungsrecht gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, der Versicherer
- bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt,
- die Prämie entsprechend den berechtigten Berechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen,
- sofern ein unabhängiger Treuhänder
- die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat.
Versicherungsnehmer rügt wirtschaftliche Verquickung zwischen Treuhänder und AXA
Gegen die Prämienkalkulation der AXA hatte der Versicherungsnehmer geklagt mit der Begründung, der Treuhänder sei keinesfalls von der beklagten Versicherung unabhängig, sondern mit dieser wirtschaftlich verbunden. Der Versicherungsnehmer forderte etwas mehr als 1.000 Euro bereits zu viel gezahlter Beiträge zurück.
BGH verneint eigenständigen Anspruch auf unabhängigen Gutachter
Die Versichertengemeinschaft hat die Entscheidung des BGH mit Spannung erwartet und musste nun enttäuscht feststellen, dass der BGH die Wirksamkeit der Beitragserhöhung nicht von der Unabhängigkeit des Treuhänders abhängig macht.
- Nach Auffassung des BGH ist die Unabhängigkeit des Treuhänders lediglich Voraussetzung für seine Bestellung nach den aufsichtsrechtlichen Vorschriften,
- nicht aber für die Wirksamkeit der von ihm nach seiner Bestellung abgegebenen Erklärung zur Richtigkeit der Beitragskalkulation.
- Die Unabhängigkeit des Treuhänders sei daher von den Zivilgerichten in einem Rechtsstreit nicht gesondert zu prüfen.
- Allein die Aufsichtsbehörde habe aufgrund der ihr vom Gesetzgeber eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse sicherzustellen, dass das Versicherungsunternehmen einen unabhängigen und sachkundigen Treuhänder mit der Prüfung der Prämienkalkulation betraut.
Zivilgerichte müssen Berechnung, die der Erhöhung zugrunde liegt, selbst nachprüfen
Dieses für die Versichertengemeinschaft zunächst niederschmetternde Ergebnis führt nach dem Diktum des BGH allerdings nicht dazu, dass Zivilgerichte die Richtigkeit der Kalkulation der Versicherungsprämie nicht überprüfen könnten. Die Interessen der Versicherungsnehmer seien vielmehr dadurch zu wahren, dass in einem Rechtsstreit über die Prämienerhöhung das Zivilgericht eine eigenständige umfassende materielle Prüfung der Ordnungsgemäßheit der Beitragsanpassung vornimmt.
Unabhängigkeit des Treuhänders für rechtmäßige Prämienanpassung nicht zwingend
Zur Begründung seiner Rechtsansicht verwies der BGH auf die Regelungen des § 155 VAG (= §§ 12b, 2a VVG a.F.) sowie des § 203 Abs. 2 VVG. Dem Sinn dieser Vorschriften entspräche es nach Auffassung des Senats nicht, wenn eine Prämienerhöhung allein an der fehlenden Unabhängigkeit des zuständigen Treuhänders scheitert, obwohl ansonsten die Voraussetzungen für eine Erhöhung inhaltlich gegeben seien.
- Die gesetzliche Regelung habe nämlich vor allem den Sinn, im Interesse einer Beitragsstabilität dauerhafte Äquivalenzstörungen zu vermeiden.
- Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass der Versicherer zum Zwecke der Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit ggfs. zu einer Prämienerhöhung verpflichtet sei.
Würde eine Prämienerhöhung an der fehlenden Unabhängigkeit eines Treuhänders trotz Vorliegens der materiellen Voraussetzungen scheitern, so bestünde die Gefahr einer finanziellen Lücke bei den Versicherungen.
Rechtsschutzinteresse wird durch gerichtliche Prüfung gewahrt
Im Ergebnis ist nach Auffassung des BGH ein wirkungsvoller Rechtsschutz des Versicherungsnehmers ohne weiteres dadurch gegeben,
- dass das Zivilgericht eine Prämienanpassung anhand der ins einzelnen gehenden, engen und verbindlichen materiellen Vorgaben überprüft.
- Einer gesonderten Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders bedürfe es hierfür nicht.
- Die sachliche Richtigkeit der Zustimmung des Treuhänders zur Prämienanpassung würde bei der eigenen materiellen Prüfung durch das Zivilgericht dann inzident mitgeprüft.
LG muss Kalkulation nun selbst überprüfen
Vor diesem Hintergrund hat der BGH im konkreten Fall das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtstreit an das LG zurückverwiesen mit der Maßgabe, zu prüfen, ob die Prämienanpassung ausreichend begründet wurde und deren materielle Voraussetzungen vorlagen.
(BGH, Urteil v. 19.12.2018, IV ZR 255/17).
Anmerkung:
Schneller Rechtsschutz wird erschwert
Das Urteil des BGH bedeutet für die Kunden der privaten Krankenversicherungen eine Schlappe. Zwar betont der BGH, dass der Rechtsschutz des Versicherungsnehmers in vollem Umfange gewahrt sei, jedoch ist die Hoffnung auf eine schnelle gerichtliche Entscheidung in solchen Fällen mit dieser Entscheidung zunichte gemacht. Ein Zivilrichter dürfte in der Regel nämlich nicht in der Lage sein, die Beitragskalkulation einer Versicherung selbst zu überprüfen, sondern er ist auf Sachverständigenhilfe angewiesen, was das Zivilverfahren sowohl verlängert als auch verteuert.
Kritiker bezweifeln Unabhängigkeit der Treuhänder
Im Ergebnis haben Versicherungsnehmer nach dieser Entscheidung keinerlei Möglichkeiten, auf die Bestellung des Treuhänders Einfluss zu nehmen, obwohl das gesetzliche Erfordernis, im Rahmen der Beitragserhöhung einen Treuhänder einzuschalten, explizit auch dem Schutz des Versicherungsnehmers dienen soll. Kritiker monieren schon länger, dass die zurzeit tätigen 16 Treuhänder in der Bundesrepublik teilweise mit den Versicherungsunternehmen verflochten und daher nicht unabhängig seien. Der Verband der privaten Krankenversicherungen sieht das natürlich anders und hat das Urteil begrüßt.
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