Fortführungsprognose bei voraussichtlichen Zahlungen

Start-ups können sich im Rahmen der Überschuldungsprüfung unter bestimmten Voraussetzungen darauf berufen, dass ein Investor Finanzmittel in Aussicht gestellt hat.

Nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO (inhaltsgleich mit dem vor dem 1.1.2021 geltenden § 64 S. 1 GmbHG a. F.) muss der Geschäftsführer einer GmbH persönlich solche masseschmälernden Zahlungen erstatten, die er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft leistet. Dieser Anspruch ist haftungsrechtlich ein durchaus „scharfes Schwert“ und wird von Insolvenzverwaltern regelmäßig geltend gemacht, so auch im hier besprochenen Fall. 

Fortführungsprognose im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung 

„Überschuldung“ liegt vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens (nach neuem Recht seit 1.1.2021: in den nächsten zwölf Monaten) ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Wann eine derartige Unternehmensfortführung überwiegend wahrscheinlich und dem Unternehmen somit eine sogenannte „positive Fortführungsprognose“ oder „Fortbestehensprognose“ zu bescheinigen ist, hat der BGH in ständiger Rechtsprechung entwickelt: Neben dem Fortführungswillen der Geschäftsführung muss eine Prognose über die künftigen Geschehensabläufe ergeben, dass das Unternehmen mittelfristig zahlungsfähig ist. Die Finanzkraft und die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens muss aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept erkennbar sein. Dem Unternehmenskonzept muss ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen, der für einen angemessenen Prognosezeitraum aufzustellen ist. Die Beweislast für eine positive Fortbestehensprognose trägt der in Anspruch genommene Geschäftsführer der GmbH.


Hierum ging es in einer vom OLG Düsseldorf entschiedenen Streitfall. Eine GmbH hatte seit ihrer Gründung im Jahr 2014 von einem Investor in regelmäßigen Abständen befristete (Mezzanine-)Darlehen zur Verfügung gestellt bekommen. Es wurde allerdings kein qualifizierter Rangrücktritt für diese Darlehen vereinbart, womit eine Passivierungspflicht im insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus vermieden werden hätte können. Am 31.12.2015 wies die Gesellschaft einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 620.200,00 EUR auf. Sie war damit unstreitig bilanziell überschuldet. Zwischen Januar und September 2016 nahm der beklagte Geschäftsführer für die GmbH Zahlungen in Höhe von EUR 43.441,06 vor. Der Investor war bereit, die GmbH weiterhin so lange zu finanzieren, wie die Geschäftsführung ihm einen realistischen Finanzplan vorlegte, was jedenfalls bis September 2016 der Fall war. Der Insolvenzverwalter nahm den Geschäftsführer auf Erstattung der für die GmbH getätigten Zahlungen mit der Begründung in Anspruch, die GmbH sei seit Januar 2016 wegen Überschuldung insolvenzreif gewesen. Eine solche Erstattung lehnte der Geschäftsführer mit der Begründung ab, dass keine insolvenzrechtliche Überschuldung vorgelegen habe. Da bei Start-up-Unternehmen Anlaufverluste typisch seien, stehe die (auch kontinuierliche) Außenfinanzierung einer Fortführungsprognose nicht entgegen. Demnach sei durch die Zusage des Investors die Zahlungsfähigkeit sichergestellt gewesen, wodurch insgesamt bis September 2016 eine ausreichende Fortbestehensprognose bestanden habe.

 
Nach Auffassung des Insolvenzverwalters bestand keine positive Fortbestehensprognose. Der Investor habe die Darlehen immer nur im Nachhinein, also nach Begründung entsprechender GmbH-Verbindlichkeiten, gewährt. Die bloße Hoffnung auf weitere Darlehen reiche nicht aus, um eine Fortbestehensprognose zu begründen. Hier liege gerade der Unterschied zur Nutzung eines Überziehungskredits der Hausbank. Auch der Umstand, dass es sich bei dem Unternehmen um ein Start-up gehandelt habe, sei für sich genommen keine ausreichende Begründung. Das Landgericht Krefeld gab dem Geschäftsführer Recht und lehnte den Antrag des Insolvenzverwalters auf Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Klage ab. Hiergegen legte der Insolvenzverwalter sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein.

Der Beschluss des OLG Düsseldorf v. 20.07.2021 (12 W 7/21)

Das OLG Düsseldorf hat die Beschwerde abgewiesen. Im Zeitpunkt der Zahlungen durch den Geschäftsführer bestand bei der GmbH im insolvenzrechtlichen Sinne keine Überschuldungssituation, da eine positive Fortführungsprognose bestanden habe. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf sind die von dem BGH aufgestellten Grundsätze für eine positive Fortführungsprognose auf Start-ups nicht uneingeschränkt anwendbar. Start-ups seien in einer Anfangsphase zwar meist nicht aus sich heraus ertragsfähig, jedoch seien in derartigen Fällen operative Geschäftschancen nicht auf Dauer ausgeschlossen. Es liege in der Natur eines solchen Unternehmens, dass es zunächst Schulden mache und von regelmäßiger Zuführung von Eigen- oder Fremdkapital abhängig sei. Insofern müssen – so das OLG Düsseldorf – für die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum ebenso Finanzierungszusagen von Gesellschaftern oder Dritten mitbeachtet werden. Schon der BGH habe die Ertragsfähigkeit bei Start-ups nicht als Voraussetzung für eine positive Fortführungsprognose angesehen (BGH, Urteil v. 14.5.2007, II ZR 48/06).

Dabei sei es gerade nicht erforderlich, dass die eingeplanten Finanzierungsbeiträge rechtlich gesichert und daher einklagbar sind. Vielmehr genüge bereits die dokumentierte Zahlungszusage des Investors. Dessen Finanzierungswille während der Gründungsphase manifestiere sich schon in den regelmäßig wiederkehrenden Finanzierungsleistungen in Form von Darlehen. Auch die von dem Investor auferlegte (und vom Geschäftsführer erfüllte) Bedingung, realistische Planungen vorzulegen und den Liquiditätsbedarf nachzuweisen, steht einer positiven Fortführungsprognose nicht entgegen. Die Behauptung des Insolvenzverwalters, die Darlehen seien nur im Nachhinein, also nach Begründung entsprechender GmbH-Verbindlichkeiten, gewährt worden, traf nach dem Beschluss des OLG Düsseldorf tatsächlich nicht zu.

Anmerkung

Die insolvenzrechtlichen Haftungsrisiken für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Start-ups sind bekanntlich nicht zu unterschätzen und bei solchen Unternehmen gedanklich sicher überdurchschnittlich präsent. Nicht umsonst spielt die noch verfügbare Runway oft eine entscheidende Rolle bei strategischen Entscheidungen des Managements. Investor Relations und Fundraising sind zurecht Chefsache bei Start-ups. 

Bilanzielle Überschuldung dürfte nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein bei Start-ups. Umso größere Bedeutung kommt Aspekten wie möglichst eigenkapitalschonenden Finanzierungen, qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen und sauber dokumentierter kontinuierlicher Liquiditätsplanung zu. Wer diesbezüglich regelmäßig „hart am Wind segelt“, braucht Rechtssicherheit auch und gerade als Grundlage für den nicht immer leichten Dialog mit den Investoren im Ringen um den Zeitpunkt für die nächste Eigenkapitalfinanzierungsrunde oder kurzfristige (Wandel-)Darlehen zur Überbrückung. Sind Fremdkapital-Investoren nicht bereit, einen qualifizierten Rangrücktritt mit der Gesellschaft zu vereinbaren, bleibt in der Überschuldungssituation nur die richtige (und belastbare) Einschätzung der Fortführungsprognose. Besonders im Hinblick auf die möglichen schwerwiegenden Rechtsfolgen, die auf Geschäftsführer in solchen Situationen zukommen, sollte eine Fortführungsprognose stets in enger regelmäßiger Abstimmung mit fachlich kompetenten Beratern beurteilt werden. Nicht nur formal von Bedeutung ist hier auch die saubere Dokumentation.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf verdient insoweit Zustimmung und bringt wichtige zusätzliche Rechtssicherheit für den Start-up-Geschäftsführer. Eine solche Rechtsprechung legt die Grundlage dafür, dass sich Geschäftsführer auf zukünftige Zusagen finanzierungswilliger Investoren voraussichtlich auch dann verlassen dürfen, wenn die Investoren sich hierzu noch nicht vertraglich verpflichtet haben und sie noch Bedingungen an diese Finanzierungszusagen knüpfen. Mathematische Genauigkeit bei der Einschätzung der Fortführungsprognose – etwa im Sinne einer Schwelle für die prozentuale Wahrscheinlichkeit der Anschlussfinanzierung – ist hier dennoch nicht zu erhoffen. Umso wichtiger sind regelmäßiger Dialog zwischen Geschäftsführung und Investoren sowie objektive Belegbarkeit und Dokumentation von Finanzierungszusagen.


Schlagworte zum Thema:  Insolvenz, Startup, Investment