Gesteigerte Aufklärungspflichten beim Unternehmensverkauf
Hintergrund
Der Kläger veräußerte sein Unternehmen im Wege eines Verkaufs seiner Anteile an der Gesellschaft („Share Deal“) an die Beklagten. Der Kläger bewarb den Verkauf zuvor online unter anderem mit der Anzeige „Sehr schneller return of Invest […]“. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen legte der Kläger dem Beklagten mitunter Summen- und Saldenrechnungen sowie betriebswirtschaftliche Erfolgsrechnungen („BWA“) für Januar bis September 2013 vor. Die BWAs wiesen ein negatives Betriebsergebnis auf. Auf Rückfrage erklärte der Kläger zu den negativen Betriebsergebnissen
„Wie du siehst, bzw. von mir angekündigt, geht das ganze jetzt wieder erheblich ins Plus. Genauer können wir das beim Steuerberater besprechen.“
Erst ein Jahr nach Übertragung der Anteile wurde der Jahresabschluss der Gesellschaft für das Jahr 2013 vorgelegt. Der Jahresabschluss wies einen erheblichen Fehlbetrag aus. Die negativen Zahlen überstiegen bei weitem die in den BWAs ersichtlichen negativen Zahlen. Die Beklagten erklärten daraufhin die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung. Kurz darauf wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet.
Die Beklagten machen im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung insbesondere Schadensersatzansprüche wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung gegen den Kläger geltend und verlangen infolge der Anfechtung Rückabwicklung des Vertrages.
Das Urteil des OLG München vom 03.12.2020 - 23 U 5742/19
Der Kläger wurde zur Rückzahlung der Kaufpreise sowie Ersatz aller Schäden, die bei den Beklagten infolge des Abschlusses des Vertrages entstanden, verurteilt. Denn der Kläger hatte die Beklagten vor Abschluss des Vertrages arglistig über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft getäuscht. Das Gericht sah die Täuschung in der Vorspiegelung einer unzutreffenden wirtschaftlichen Situation sowie in der unterlassenen Unterrichtung über die damals schon gewichtigen Anzeichen einer dauerhaften Krise der Gesellschaft.
Bei einem Unternehmensverkauf ist der Verkäufer grundsätzlich verpflichtet, den Käufer auch ungefragt über konkrete Vorkommnisse zu informieren, sofern diese gewichtige Anzeichen für eine anhaltende Krise der Gesellschaft darstellen. Das betrifft beispielsweise erhebliche Zahlungsrückstände, mehrfache Mahnungen oder Liquiditätsengpässe. In gleicher Weise hat der Verkäufer deutlich und unmissverständlich darüber aufzuklären, dass und in welcher Höhe die Gesellschaft bislang nur negative Ergebnisse erzielt hat. Die gesteigerte Aufklärungspflicht umfasst dabei alle Umstände, die sich negativ auf die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens auswirken, wie eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Denn die Information, dass sich die Gesellschaft bislang noch nie wirtschaftlich selbst getragen, geschweige denn Gewinne erwirtschaftet hat, ist vertragswesentlich.
Die Täuschungen des Klägers durch unwahre, irreführenden Angaben (hier „return of invest“, „das Ganze jetzt wieder erheblich ins Plus“) entfallen nicht dadurch, dass dem Beklagten Geschäftsunterlagen übergeben wurden, die ihrerseits kein klares, vollständiges Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zeichnen. Die Täuschungen wurden auch nicht durch Besprechungen mit dem Steuerberater richtig gestellt. Den Steuerberater treffen im Übrigen ebenfalls Aufklärungspflichten bei entsprechender Kenntnis.
Der Kläger konnte sich außerdem nicht auf den vertraglich vereinbarten Haftungsausschluss betreffend Rechte und Ansprüche des Beklagten wegen Mängeln berufen. Dieser erfasst grundsätzlich nicht die Haftung des Unternehmensverkäufers für schuldhafte vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzungen. Er greift auch nicht bei Arglist des Verkäufers ein (§ 276 Abs. 3 BGB).
Anmerkung
Das OLG München befindet sich mit seinem Urteil in einer Linie mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Den Verkäufer eines Unternehmens trifft eine gesteigerte Aufklärungspflicht mit strengem Sorgfaltsmaßstab. Denn für ihn erkennbar kann sich der Kaufinteressent ein einigermaßen zutreffendes Bild von den wertbildenden Faktoren in erster Linie nur anhand der Bilanzen, der laufenden betriebswirtschaftlichen Auswertungen, sonstiger Buchführungsunterlagen und ergänzender Auskünfte des Inhabers oder Geschäftsführers machen. Das gilt auch für den sachkundigen Kaufinteressenten, da dieser als Außenstehender besonders abhängig von der Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Informationen zu Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens ist.
Bei einer Beteiligung des Erwerbers an einem lebensfähigen Unternehmen erstreckt sich die Aufklärungspflicht namentlich auf Umstände, welche die Überlebensfähigkeit ernsthaft gefährden, insbesondere also eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Der Verkäufer muss dabei auch ungefragt über Vorkommnisse, die gewichtige Anzeichen für eine anhaltende Krise der Gesellschaft sind, umfassend und wahrheitsgemäß unterrichten. In gleicher Weise muss er im Zuge der Vertragsverhandlungen die Erwerber grundsätzlich auch auf die Verluste der vergangenen Jahre, die den Vertragszweck gefährden können, hinweisen. Denn der Erwerber ist mangels anderweitiger Informationsbeschaffungsmöglichkeiten besonders schutzwürdig.
Das Urteil zeigt einmal mehr, wie wichtig nicht nur die Vertragsgestaltung bei Unternehmens(ver)käufen, sondern auch die professionelle Durchführung der Due Diligence (Unternehmensprüfung aus rechtlicher und steuerlicher Sicht) ist. Ein perfekt gestalteter Unternehmenskaufvertrag führt, alleine für sich betrachtet, noch nicht zu einem rechtssicheren Verkauf des Unternehmens, wenn, wie in diesem Fall, Fehler oder sogar Täuschungen im Rahmen der Verhandlungen auftreten. Im Rahmen der Due Diligence und der Verhandlungen des Kaufvertrags sollte genauestens darauf geachtet werden, dass der Verkäufer den Käufer richtig, zutreffend und ausreichend informiert, soweit ihm entsprechende Fragen im Rahmen der Due Diligence gestellt werden und seine Aufklärungspflichten reichen.
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