Insolvenzrecht: BGH bestätigt Anfechtung aufgrund von Indizien

Der Tatbestand der bis zu zehn Jahre vor die Insolvenzantragstellung zurückreichenden sog. Vorsatzanfechtung kann durch Indizien belegt werden, die zur Zeit der angefochtenen Zahlungen die Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners nahelegen. Dies gilt nach einem aktuellen Urteil des BGH auch dann, wenn im weiteren Verlauf bis zur Insolvenzeröffnung die Forderungen des Anfechtungsgegners noch vollständig beglichen werden.

Hintergrund

Die Beklagte hatte auf dem Gelände der späteren Insolvenzschuldnerin eine Kühlanlage errichtet, die die Schuldnerin anschließend mietete. Für die Errichtung und mietweise Überlassung hatte die Schuldnerin unterschiedliche Vergütungen zu zahlen, die sie jedoch von Anfang an nicht vollständig termingerecht beglich. Zwischenzeitlich kündigte die Schuldnerin angesichts der bereits aufgelaufenen Zahlungsrückstände Teilzahlungen hierauf an, die dann aber wiederum nicht wie angekündigt erfolgten. Nachdem auf diese Weise seit November 2007 dauerhaft z.T. erhebliche Beträge nicht beglichen worden waren, gelang es der Schuldnerin schließlich im September 2008 sämtliche offenen Forderungen zu begleichen – dies erfolgte jedoch teilweise erst nachdem die Beklagte die Einstellung ihrer Leistung angedroht hatte. Die Insolvenz konnte die Schuldnerin ein Jahr später dennoch nicht vermeiden und stellte im Oktober 2009 Insolvenzantrag. Der Insolvenzverwalter verlangt nun im Wege der sog. Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO alle Zahlungen zurück, die die Beklagte zwischen Januar 2008 und November 2008 vereinnahmt hat.

BGH, Urteil v 10.09.2015, IX ZR 174/15

Das OLG Köln ist in der Berufungsinstanz nicht von der Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit ausgegangen, da die Schuldnerin zwar oft spät, aber schließlich doch alles gezahlt habe. Der Zahlungsverzug habe auch andere Ursachen haben können. Demgegenüber geht der BGH in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung anhand von Indizien von der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit aus. Wesentliche Indizien für Zahlungseinstellung, aus der die Zahlungsunfähigkeit abgeleitet wird, seien in der dauerhaft schleppenden Zahlungsweise, der Nichteinhaltung eigener Zahlungszusagen und der Zahlungen erst auf Druck der Beklagten hin zu sehen. Dies insbesondere deshalb, weil die Schuldnerin zur Fortführung ihres Betriebs auf die Benutzung der gemieteten Kühlanlage angewiesen gewesen sei. Von diesen Indizien habe die Beklagte auch Kenntnis gehabt. Schließlich könne die Tatsache, dass die Forderungen der Beklagten vor Verfahrenseröffnung vollständig beglichen worden seien, jedenfalls dann die Indizien für eine Zahlungseinstellung nicht entkräften, wenn Forderungen anderer Insolvenzgläubiger aus dieser Zeit bis zur Verfahrenseröffnung offen geblieben sind.

Anmerkung

Die Entscheidung ist für Experten nicht überraschend. Sie liegt auf der strengen Linie des BGH, der bei der Vorsatzanfechtung die gesetzlichen Vermutungsregelungen noch verstärkt und mit seiner Rechtsprechung zu den Indizien für eine Zahlungseinstellung umspannt hat. Hieraus ergibt sich inzwischen ein für Laien nicht mehr durchschaubares Netz aus Umständen und Verhaltensweisen, denen im Insolvenzfall indizielle Wirkung zur Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit und der Kenntnis hiervon zukommt. Gemessen an dieser Rechtsprechung des BGH war vorliegend in der Tat durch das Berufungsgericht außer Acht gelassen worden, dass eine dauerhaft schleppende Zahlungsweise und nicht eingehaltene Zahlungszusagen (zumal wenn diese erst getätigt werden, wenn bereits erhebliche Außenstände aufgelaufen sind) Indizien zum Beleg einer Zahlungsunfähigkeit sind.

Gewonnen ist das Verfahren für den Insolvenzverwalter damit aber noch nicht. Nach der Zurückverweisung wird nun im Einzelnen festzustellen sein, ob die Schuldnerin zur Zeit der angefochtenen Zahlungen zahlungsunfähig war oder nicht. Diese Feststellung hatte das Berufungsgericht noch nicht getroffen, da es davon ausgegangen war, es käme hierauf nicht an, weil keine Indizien für die Kenntnis der Beklagten sprächen.

Die erhebliche Rechtsunsicherheit, die das derzeitige Anfechtungsrecht durch die weitreichende Frist der Vorsatzanfechtung (10 Jahre) und die Menge an Indizien erzeugen, auf die sich der anfechtende Insolvenzverwalter stützen kann, ist bereits Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens, das im Herbst 2016 zur zweiten und dritten Lesung im Bundestag ansteht. Dem Regierungsentwurf zufolge ist insbesondere vorgesehen, die Anfechtungsfrist auf vier Jahre zu verkürzen, die Indizwirkung bei Vereinbarungen über Zahlungserleichterungen (Ratenzahlungen/Teilzahlungen etc.) zu beschränken und sog. Bargeschäfte (unmittelbarer gleichwertiger Leistungsaustausch mit dem später insolventen Unternehmen) von der Vorsatzanfechtung auszunehmen. Wann diese Neuerungen in Kraft treten, ist jedoch noch nicht absehbar. Derzeit sind Anfechtungsrisiken im Hinblick auf die Vorsatzanfechtung kaum auszuschließen. Bestmöglich reduzieren lassen sich diese durch ein konsequentes Inkasso, vorausschauende Regelungen in den Lieferbedingungen und Verträgen und einen möglichst unmittelbaren Leistungsaustausch.

 

Rechtsanwälte Dr. Stefan Lammel, Dr. Ingo Reinke, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

 

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