Kleinere Vorschäden nicht angegeben - muss die Kaskoversicherung trotzdem leisten?
Bei der Ausfahrt aus einem Hof wurde der Fahrer durch Geräusche irritiert, von denen er meinte, dass sie von der Unterseite seines Autos kamen. Der Mann machte in der Überraschung eine unkontrollierte Lenkbewegung, die dazu führte, dass das Auto einen Pfosten und die darunter liegende Betonkante touchierte.
Die Aktion führte zu zahlreichen Kratzern und Abrieben im Bereich der rechten vorderen und der hinteren Fahrzeugtür, am Seitenschweller und am Spiegel. Den Sachschaden bezifferte der Sachverständige auf 5.360 EUR.
Versicherung moniert verschwiegene Vorschäden
Zu der gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Versicherung kam es, weil diese weitere Kratzspuren am rechten Kotflügel und im Bereich der vorderen rechten Fahrzeugtür feststellte, die nicht auf den Unfall zurückgeführt werden konnten. Die Versicherung weigerte sich die Schadenshöhe anzuerkennen, weil eine Teilüberlagerung von Vor- und Unfallschäden vorliege. Dieser Einschätzung schloss ich das OLG Dresden nicht an.
Unfallschaden und Vorschäden klar abgegrenzt
Zwar trage der Geschädigte die volle Beweislast für die Abgrenzung eines Neuschadens von Vorschäden. In diesem Fall habe der Sachverständige aber den Unfallverlauf bejaht und die Unfallschäden eindeutig von den Vorschäden abgegrenzt.
Hat der Autofahrer seine Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verletzt?
Strittig war auch, ob der Anspruch des Autofahrers nicht wegen einer vorsätzlichen oder arglistigen Verletzung der Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verletzt. Schließlich war der Autofahrer verpflichtet, die Fragen zu den Umständen des Schadensereignisses wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten.
Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich dabei maßgeblich nach den von den Versicherern gestellten Fragen der Schadenanzeigeformulare. Bereits die Nichtbeantwortung oder die Falschbeantwortung einer Frage ist eine Verletzung der Aufklärungspflicht.
OLG sieht keine Verletzung der Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers
Das Gericht erkannte in dem vorliegenden Fall keine Verletzung der Aufklärungspflicht des Autofahrers. Denn dazu müsse dieser von der aufklärungspflichtigen Tatsache Kenntnis gehabt haben. Davon könne in diesem Fall nicht ausgegangen werden. Es sei nicht ersichtlich, ob und wann der Autofahrer die Kratzer auf der rechten Fahrzeugseite, die vom Sachverständigen als Vorschäden eingestuft wurden, bemerkt habe.
Autofahrer müssen Fahrzeug nicht regelmäßig auf Kratzer und Parkschäden prüfen
Einem durchschnittlich aufmerksamen und verständigen Versicherungsnehmer mussten diese Schäden nicht ohne Weiteres auffallen, so das Gericht. Von einem Autofahrer könne keine regelmäßige Sichtprüfung des Fahrzeugs auf Kratzer und Parkschäden verlangt werden.
Selbst wenn der Mann vor dem Unfall vom Vorhandensein bestimmter Kratzer wusste, läge in deren Nichtangabe in der Schadensmeldung allenfalls eine leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung, so das Gericht. Denn die vom Sachverständigen als Vorschäden qualifizierten Kratzer seien optisch eher unauffällig.
Fazit: Die Versicherung muss den vom Sachverständigen festgestellten, unfallbedingten Schaden abzüglich des vertraglich vereinbarten Selbstbehalts ersetzen.
(OLG Dresden, Urteil v. 16.02.2021, 4 U 1909/20).
Hintergrund: Folgen von Obliegenheitsverletzungen
Eine vorsätzliche und kausale Obliegenheitsverletzung führt zur Leistungsfreiheit des Versicherers, bei einer grob fahrlässigen und kausalen Obliegenheitsverletzung kann die Leistung des Versicherers entsprechend dem Grad des Verschuldens gemindert werden.
Obliegenheitsverletzung und Belehrungspflicht
Ein Recht zur Leistungskürzung nach § 28 Abs. 2 VVG bei der Verletzung einer Auskunfts- oder Anzeigeobliegenheit besteht für den Versicherer nur dann, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat (§ 28 Abs. 4 VVG). Aber Obacht: Im Fall eines arglistigen Fehlverhaltens ist der Versicherungsnehmer auch nicht schützenswert und es bedarf keiner Belehrung über die Folgen einer falschen Auskunft (BGH, Urteil vom 12.03.2014, IV ZR 306/13).
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