Prüfung der mitgeteilten Tatsachen auf materielle Richtigkeit
Hintergrund
Die GmbH hatte – nach Veränderungen im Gesellschafterbestand – zwei Gesellschafter mit einer Beteiligung von jeweils 50 % am Stammkapital. Beide Gesellschafter beschlossen unter anderem folgende Satzungsregelung zur Geschäftsführung:
„Jeder Gesellschafter ist berechtigt, einen Geschäftsführer zu bestellen.“
In der Folgezeit wurden die Geschäftsanteile in der Weise auf neue Gesellschafter übertragen, dass 90 % von Herrn A und 10 % von Herrn B gehalten wurden. Herr B benannte sich selbst zum Geschäftsführer. Weiterer Geschäftsführer war Herr C. Im November 2019 wurde in Anwesenheit eines Notars eine Gesellschafterversammlung abgehalten. In dieser Versammlung beschloss der Mehrheitsgesellschafter A mit 90 % der Stimmen, dass unter anderem die vorstehende Satzungsregelung gestrichen und Herr B als Geschäftsführer abberufen wird. Hiergegen erhob der Minderheitsgesellschafter B Anfechtungsklage; das Landgericht Berlin untersagte einstweilen den Vollzug der Beschlüsse im Handelsregister.
Im Januar 2021 fand sodann eine weitere Gesellschafterversammlung statt, in der Herr K mit Mehrheitsbeschluss neben Herrn B und Herrn C zum weiteren (dritten) Geschäftsführer bestellt wurde. Die entsprechende Anmeldung des Notars wies das Registergericht zurück. Es war der Auffassung, dass die vorgenannte Satzungsregelung wie folgt zu lesen ist: Jeder Gesellschafter ist berechtigt, einen Geschäftsführer zu bestellen. Nach Auslegung des Gesellschaftsvertrages gelangte das Registergericht also zu der Auffassung, dass die GmbH derzeit nur zwei Geschäftsführer haben könne, die jeweils von einem Gesellschafter gestellt werden.
Gegen diese Entscheidung legte die GmbH Beschwerde ein. Sie ist der Auffassung, dass die Satzungsregelung einen einfachen Mehrheitsbeschluss zur Bestellung eines weiteren (dritten) Geschäftsführers nicht ausschließe.
Der Beschluss des Kammergerichts vom 4. April 2022, 22 W 15/22
Das Kammergericht gab der Beschwerde statt. Es stellte zunächst folgendes fest: Das Registergericht sei berechtigt, die mitgeteilten Tatsachen auf materielle Richtigkeit hin zu überprüfen. Dazu zähle auch die Auslegung des Gesellschaftsvertrages der GmbH. Der Gesellschaftsvertrag sei nach seinem objektiven Erklärungswert auszulegen. Eine objektive Auslegung sei bei der vorgenannten Satzungsregelung auch geboten, weil „jeder“ (auch zukünftige) Gesellschafter einen Geschäftsführer bestellen könne.
Das Kammergericht schloss sich der Auffassung der GmbH an und legte die Satzungsregelung dahingehend aus, dass neben den jeweils benannten Geschäftsführern auch weitere Geschäftsführer bestellt werden können. Es begründete diese Auslegung mit folgenden Argumenten:
Erstens gelte der Grundsatz, dass die Gesellschafterversammlung als Kollektivorgan Geschäftsführer bestellen könne (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Sie handele durch alle Gesellschafter. Bei dem Benennungsrecht im Gesellschaftsvertrag handele es sich indes um ein Sonderrecht eines jeden Gesellschafters, welches nur das Erfordernis einer Kollektiventscheidung durchbreche. Es beseitige aber nicht die Kompetenz der Gesellschafterversammlung als solche. Hierfür hätte es einer besonderen Begründung bedurft, die sich dem Gesellschaftsvertrag nicht entnehmen lasse.
Zweitens sei das Benennungsrecht zu einer Zeit in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen worden, als die GmbH zwei gleich hoch beteiligte Gesellschafter hatte. Bei einer solchen Gesellschafterstruktur könnten die Gesellschafter ohne ein Benennungsrecht und ohne die Mitwirkung des jeweils anderen Gesellschafters keinen Geschäftsführer bestellen. Das Benennungsrecht solle damit eine Pattsituation überwinden, nicht aber ein Recht der Gesellschafterversammlung dem Grunde nach beseitigen.
Drittens sei auch dem Wortlaut der Regelung nicht zu entnehmen, dass die Gesellschafterversammlung ihre Kompetenz zur Bestellung eines Gesellschafters verlieren sollte.
Praxishinweis
Das Kammergericht hat den Gesellschaftsvertrag vorliegend richtig ausgelegt. Bereits nach dem Wortlaut lässt sich das gefundene Ergebnis erzielen, sodass es weiterer Indizien nicht benötigt hätte. Denn wenn jeder Gesellschafter berechtigt ist, einen Geschäftsführer zu bestellen, handelt es sich dabei um ein individuelles Recht des betreffenden Gesellschafters als Einzelperson. Selbst wenn man hinzudenkt, dass jeder Gesellschafter berechtigt wäre, nur einen Geschäftsführer zu bestellen, ergäbe sich nichts anderes. Denn die Gesellschafterversammlung als Kollektivorgan ist bei dieser Satzungsklausel nicht adressiert. Wie das Kammergericht zu Recht erkennt, hätte es dafür einer besonderen Begründung bedurft oder einer entsprechen Anpassung des Wortlautes. Aber auch die Historie zeigt, dass ein solches Benennungsrecht üblich ist, wenn es darum geht, einem Gesellschafter unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftsführung zu gewähren. Zwar ist es für den Gesellschafter B vorliegend ärgerlich, dass nun die Geschäftsführer C und K gemeinschaftlich handeln, also aktive Entscheidungen durchsetzen können, allerdings muss man vorliegend drei Punkte beachten: Erstens hat der Mehrheitsgesellschafter 90 % der Stimmrechte, was nicht leichtfertig abgetan werden kann. Zweitens hat B als Geschäftsführer weitergehende Rechte, als ein Gesellschafter, kann also z.B. direkten Zugriff auf Informationen der Gesellschaft erhalten, die er als Gesellschafter über sein Informationsrecht geltend machen müsste. Drittens stünde B auch nicht besser da, wenn K nicht zum Geschäftsführer bestellt worden wäre, denn dann hätte er ebenfalls gemeinschaftlich mit C die GmbH vertreten müssen und könnte keine Entscheidungen allein treffen.
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