Wann darf der Bürge Einsicht beim Gläubiger nehmen?
Hintergrund
Die Beklagte war Geschäftsführerin einer GmbH & Co. KG und übernahm für deren Darlehensverbindlichkeiten eine Bürgschaft gegenüber der klagenden Bank. Nach der Kündigung der Darlehensverträge wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Hauptschuldnerin eröffnet und u.a. die Zwangsverwaltung für das Betriebsgrundstück der Hauptschuldnerin angeordnet. Die Klägerin erlangte aus der Verwertung von Sicherheiten diverse Zahlungen und nahm anschließend die Beklagte aus der Bürgschaft auf den Restbetrag in Anspruch.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, weil nach ihrer Ansicht nicht festgestellt sei, welche Zahlungen die Klägerin bereits auf die Hauptschuld erhalten habe und in welcher Höhe noch Verbindlichkeiten der Hauptschuldnerin bestehen. Die Beklagte hatte Einsicht in die Unterlagen der Klägerin gefordert, insbesondere in die Aktenordner, die die zwischen der Klägerin und dem Zwangsverwalter bzw. dem Insolvenzverwalter geführte Korrespondenz enthielten. Die Klägerin weigerte sich, die Einsicht zu gewähren.
BGH, Urteil v. 27.5.2014, XI ZR 264/13
Der BGH hat entschieden, dass dem Bürgen ein Einsichtsrecht in die das Rechtsverhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner betreffenden Urkunden nach § 810 Alternative 2 BGB zustehe. Dieses Einsichtsrecht bestehe jedoch nicht unbeschränkt. Insbesondere habe der Bürge kein Recht, Einsicht in mehrere Aktenordner zu verlangen, die den kompletten Schriftwechsel der Gläubigerin mit Dritten beinhalten. Vielmehr müsse der Bürge in einem solchen Fall genau darlegen, in welchem objektiven Zusammenhang die Unterlagen zu dem Bürgschaftsverhältnis stünden, sowie die Urkunde selbst und deren angeblichen Inhalt genau bezeichnen. Anderenfalls handle es sich um eine unzulässige Ausforschung.
Anmerkung
Wenn ein Gläubiger einen Bürgen auf Zahlung aus der Bürgschaft in Anspruch nimmt, kann der Bürge verlangen, die Unterlagen, die der Gläubiger zur Hauptschuld erstellt hat, einsehen zu dürfen. In der hier besprochenen Entscheidung stellt der BGH aber hohe Anforderungen an die Geltendmachung dieses Einsichtsrechts. Denn oftmals wird der Bürge nur rudimentäre Kenntnis darüber haben, welche Urkunden der Gläubiger hinsichtlich der Rückzahlung der Hauptschuld erstellte. Die vom BGH geforderte genaue Benennung dieser Urkunden und ihres vermuteten Inhalts wird daher nicht immer gelingen. Unklar bleibt, unter welchen Voraussetzungen Unterlagen im Zusammenhang mit einer Zahlung an den Gläubiger als ausreichend genau benannt gelten, wenn (anders als im hier besprochenen Fall) dem Bürgen überhaupt nicht bekannt ist bzw. bekannt sein kann, ob und welche Unterlagen zu einem Vorgang erstellt wurden.
Praxistipp
Die Entscheidung könnte darüber hinaus auch Bedeutung für andere gesetzlich verankerte Einsichtsrechte erlangen. So ist z.B. bislang nicht abschließend geklärt, ob der GmbH-Gesellschafter im Wege seines Rechts auf Einsicht in die Geschäftsbücher der Gesellschaft aus § 51a GmbHG nur Einsicht in bestimmte, konkret zu bezeichnende Unterlagen nehmen darf, oder ob auch ein unspezifisches Einsichtsverlangen in alle geschäftlichen Unterlagen zulässig ist.
Rechtsanwälte Dr. Hendrik Thies, Dr. Oliver Wasmeier, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg
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