Sozialversicherungspflicht von Minderheitsgesellschaftern auch bei Stimmrechtsbindungsverträgen
Hintergrund
1. Im ersten Fall hielt die Klägerin 40%, ihr Ehemann, zugleich Geschäftsführer, 60% der GmbH-Anteile. Zwischen den Parteien bestand seit Ende 2008 ein „Stimmbindungsvertrag“, nach dem die Klägerin erbrechtlich mindestens 50% der GmbH-Geschäftsanteile halten solle. Eine entsprechende Übertragung sei erbschaftsteuerrechtlich nicht sinnvoll. Daher solle die Klägerin gesellschaftsrechtlich jedoch schon aktuell so gestellt werden, als sei sie bereits mit mindestens 50% an der GmbH beteiligt. Die Klägerin hatte bei Gesellschafterbeschlüssen bei der Stimmabgabe die Stimmführerschaft; ihr Ehemann war an das Abstimmungsverhalten der Klägerin gebunden; auch durfte die Klägerin seine Stimmrechte verbindlich für ihn ausüben. Am 05.01.2009 schlossen die Klägerin und die GmbH – das bestehende Arbeitsverhältnis fixierend – einen "Anstellungsvertrag" über die Tätigkeit als alleinvertretungsberechtigte "leitende Angestellte" mit Prokura. Die DRV stellte bei einem Statusfeststellungsverfahren Versicherungspflicht fest. Hiergegen wendete sich die Klägerin.
2. Im zweiten Fall war der Kläger mit 30.000 EUR, sein Mitgesellschafter mit 70.000 EUR am Stammkapital der GmbH beteiligt. Beide waren alleinvertretungsbefugt. Nach einem zwischen dem Kläger und der GmbH geschlossenen schriftlichen "Geschäftsführer-Anstellungsvertrag" hatte der Kläger u.a. ein Veto-Recht bei der Bestimmung weiterer Geschäftsführer, ferner wegen seiner fachlichen Kompetenz ein Veto-Recht bei grundsätzlichen, die Geschäfte der GmbH betreffenden Entscheidungen. Die DRV stellt auf Antrag auch hier die Sozialversicherungspflicht fest.
BSG, Urteile v. 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R und B 12 KR 10/14 R
Das BSG argumentierte, in beiden Fällen hätten die Kläger nach den vertraglichen Vereinbarungen klassische arbeitnehmertypische Rechte und Pflichten. Sie könnten ihnen nicht genehme Weisungen und Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nicht abwenden und die Geschicke der GmbH in der Weise nicht maßgebend beeinflussen, dass sie als nicht versicherungspflichtiger Selbstständige anzusehen seien.
Sperrminorität entscheidend
Im ersten Fall stellte das BSG fest, dass die Klägerin aufgrund ihrer Beteiligung von 40% und der fehlenden gesellschaftsvertraglich festgeschriebenen Sperrminorität nicht Selbstständige war. Der mit ihrem Ehemann geschlossene „Stimmbindungsvertrag“ räume ihr auch im Innenverhältnis keine Rechtsmacht ein, die es ihr gestattet hätte, Einzelweisungen des Alleingeschäftsführers zu verhindern. Nicht alles, was gesellschaftsrechtlich zulässig sei, entfalte automatisch entsprechende Wirkungen, was im Rahmen der nach § 7 Abs. 1 SGB IV vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen sei. Auch wenn daher eine außerhalb des formgebundenen Gesellschaftsvertrags schriftlich getroffene Stimmrechtsvereinbarung gesellschaftsrechtlich zulässig sein könne, sei sie jedenfalls nicht geeignet, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse ohne weiteres mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben. Denn der Stimmbindungsvertrag könne von jedem Gesellschafter – und damit auch vom Ehemann der Klägerin – zumindest aus wichtigem Grund, wenn nicht sogar ordentlich nach § 723 Abs. 1 BGB gekündigt werden. Bei Eintreten eines Konfliktfalls zwischen den Gesellschaftern/Ehepartnern käme es daher allein auf die den Beteiligten aufgrund des Kündigungsrechts zustehende Rechtsmacht an.
Bloße Minderheitsbeteiligung
Auch im zweiten Urteil begründete das BSG seine Entscheidung zum einen damit, dass der Kläger nur über eine bloße Minderheitsbeteiligung ohne gesellschaftsvertraglich begründete Sperrminorität verfüge. Sein ihm nur vermittelt über den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag eingeräumtes Vetorecht verschaffe ihm nicht ohne weiteres eine so starke Stellung wie eine im Gesellschaftsvertrag selbst begründete Sperrminorität. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, 24.09.1992, 7 RAr 12/92) genüge das nur auf einzelne Entscheidungsgegenstände bezogene Recht, Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern, nicht schon für eine Bejahung des Selbstständigen-Status des Betroffenen. Jedenfalls könne eine nur in einem Anstellungsvertrag eingeräumte Sperrminorität durch einseitige Kündigung leicht beendet werden, so dass das Vetorecht des Klägers wieder entfallen würde. An der Entscheidung über eine Abberufung des Geschäftsführers dürfte der Betroffene selbst zudem nicht einmal mitwirken.
In Anlehnung an die Entscheidungen des BSG entschied bereits am 23.11.2015 das LSG Bayern, dass eine Versicherungspflicht auch dann besteht, wenn der Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer „Kopf und Seele“ des Unternehmens sei (Az. L 7 R 173/14).
Anmerkung
Die Entscheidungen überraschen nicht vollständig. Denn bereits seit der „Schönwetter“-Entscheidung des BSG (29.8.2012, 12 KR 25/10 R), ist eine klare Tendenz der Rechtsprechung hin zur strengeren Bewertung der Selbständigen-Eigenschaft zu erkennen. In jenem Urteil hat das BSG die Versicherungspflicht von Familienangehörigen bejaht. Auf der Grundlage dieser neuen Entscheidungen werden Betriebsprüfer voraussichtlich verschärft Minderheitsgesellschafter ins Visier nehmen.
Praxishinweis
Eine Sozialversicherungspflicht wird sich bei einem Minderheitsgesellschafter nun wohl nur wirksam ausschließen lassen, wenn auch die Stimmrechtsbindung direkt im Gesellschaftsvertrag geregelt wird. Denkbar ist auch, dem Geschäftsführer umfassende Vetorechte im Gesellschaftsvertrag einzuräumen.
Ein Statusfeststellungsverfahren bringt zwar Sicherheit für die Betroffenen, begründet allerdings die Gefahr von hohen Nachforderungen bei Ablehnung der Sozialversicherungsfreiheit.
Rechtsanwälte Stephanie Mayer, Dr. Jan Henning Martens, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg
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