Virtuelle Versammlungen in Pandemiezeiten
Zum Sachverhalt
Der vom BGH entschiedenen Fall betraf die Verschmelzung von zwei Genossenschaften. Der Verschmelzungsbeschluss war nicht in Präsenz, sondern in einer virtuellen Vertreterversammlung (unter Anwesenheit eines Notars) gefasst worden. Die Genossenschaften beriefen sich insofern auf die pandemiebedingten Sonderregelungen u.a. für das Genossenschafts- und Gesellschaftsrecht (sog. GesRuaCOVBekG). Dieses erlaube eine virtuelle Beschlussfassung auch in Umwandlungsfällen. Das Registergericht sah dies anders und wies den Antrag auf Eintragung der Verschmelzung in das Genossenschaftsregister zurück. Über die dagegen eingereichte Beschwerde entschied zunächst das OLG Karlsruhe und später der BGH.
Der Beschluss des BGH vom 05.10.2021 (Az. II ZB 7/21)
Der BGH entschied, dass umwandlungsrechtliche Beschlüsse einer Genossenschaft in einer nach dem GesRuaCOVBekG zulässigen, virtuellen Mitglieder- oder Vertreterversammlung gefasst werden könnten. In Pandemiezeiten brauche es dafür keine entsprechende Satzungsregelung. Dem stehe das in § 13 Abs. 1 S. 1 UmwG geregelte Versammlungserfordernis („Der Beschluss kann nur in einer Versammlung der Anteilsinhaber gefasst werden.“) nicht entgegen, solange in der virtuellen Versammlung die Mitgliederrechte (insbesondere die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich mit anderen Teilnehmern abzustimmen) gewahrt sind. Es sei zudem auch in einer virtuellen Versammlung die in § 13 Abs. 3 S. 1 UmwG gesetzlich vorgeschriebene Beurkundung eines Verschmelzungsbeschlusses möglich. Der Notar könne für die Beurkundung am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters zugegen sein, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens überzeugen und sodann die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das zuständige Gesellschaftsorgan beurkunden. Unter diesen Rahmenbedingungen sei der vorliegende Umwandlungsbeschluss nicht zu beanstanden.
Eine Besonderheit der Entscheidung war dabei, dass das OLG Karlsruhe noch über eine alte Fassung von § 3 GesRuaCOVBekG entschieden hatte. Bis zur Entscheidung des BGH war die Vorschrift – und zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Beschluss des OLG Karlsruhe und rückwirkend für den streitgegenständlichen Zeitraum – geändert worden, sodass der BGH seiner Entscheidung die neue Fassung der Vorschrift zugrunde legte.
Im Ergebnis hob der BGH die Beschlüsse der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Registergericht zurück. Zu klären sei, ob bei der virtuellen Versammlung die Mitgliederrechte (insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit, sich mit den Genossenschaftsorganen und anderen Mitgliedern auszutauschen) gewahrt wurden.
Praxishinweis
In Pandemiezeiten, in denen die Abhaltung von Präsenzveranstaltungen manchmal nicht oder nur mit einem großen organisatorischen Aufwand möglich ist, stellt sich für viele Gesellschaften und Körperschaften die Frage, wie sie Mitglieder- oder Gesellschafterversammlungen (rechts-)sicher durchführen können. Der Gesetzgeber hat das erkannt. Er hat bereits im März 2020 das „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ (GesRuaCOVBekG) erlassen und seitdem mehrfach – zuletzt für Sachverhalte bis zum 31.08.2022 – verlängert. Das GesRuaCOVBekG enthält u.a. für Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften, Vereine und Stiftungen Sonderregelungen z.B. zur Beschlussfassung. Unter anderem die Möglichkeiten zur Abhaltung virtueller Versammlungen und zur Beschlussfassung im Umlaufverfahren wurden erweitert.
Mit den neuen Vorschriften kamen neue Fragen, die in den vergangenen Monaten Gegenstand verschiedener gerichtlicher Entscheidungen waren. Eine offene Frage war immer wieder, ob virtuelle Versammlungen auch für Umwandlungsmaßnahmen zulässig seien. Hintergrund war die vom BGH in seiner Entscheidung vom 05.10.2021 angesprochenen Regelung in § 13 UmwG (Versammlungs- und Beurkundungserfordernis). Dass der Gesetzgeber und der BGH nun für Genossenschaften die Klarstellung getroffen haben, dass und unter welchen Voraussetzungen Umwandlungsbeschlüsse virtuell gefasst werden können, ist unter dem Aspekt der Rechtssicherheit zu begrüßen. Aktiengesellschaften und Vereine, für die das GesRuaCOVBekG die Möglichkeit virtueller Haupt- bzw. Mitgliederversammlungen ebenfalls ausdrücklich regelt, können der Entscheidung des BGH zumindest mittelbar die Option einer virtuellen Versammlung auch bei Umwandlungsmaßnahmen entnehmen. Ob sich der mit einer virtuellen Versammlung einhergehende Zusatzaufwand für die Organisation lohnt (technische Vorbereitung, Abstimmung mit dem Notar, Sicherstellung der Mitwirkungsbefugnisse von Gesellschaftern und Mitgliedern usw.), hängt jedoch vom Einzelfall ab.
Für die GmbH, die als Rechtsform in der Praxis am häufigsten vorkommt, kann man solche Rückschlüsse nicht ziehen. Für GmbHs sieht das GesRuaCOVBekG nämlich nur die Möglichkeit vereinfachter Umlaufbeschlüsse (also einer schriftlichen Stimmabgabe) vor, für die abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG ausnahmsweise nicht die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist. Das Verhältnis dieser allgemeinen gesetzlichen Regelung zu Bestimmungen in der Satzung der GmbH ist durch die Rechtsprechung bislang nicht eindeutig geklärt. Virtuelle Versammlungen (für Umwandlungsmaßnahmen ebenso wie für sonstige Beschlüsse) sind für die GmbH im GesRuaCOVBekG nicht zugelassen und daher nur auf Grundlage entsprechender Satzungsregelungen möglich.
Besonders die Gesellschafter von GmbHs – und ebenso die Gesellschafter von Personengesellschaften, die im GesRuaCOVBekG überhaupt nicht angesprochen sind – sollten angesichts dessen prüfen, ob eine „Modernisierung“ ihrer Satzung mit Regelungen zur Beschlussfassung außerhalb von Präsenzversammlungen sinnvoll ist. Das gilt gerade, aber nicht nur für Pandemiezeiten. Als Behelfslösung, wenn solche Regelungen fehlen, kommt eine Vorabstimmung über die Beschlussgegenstände per Telefon- oder Videokonferenz mit einem anschließenden Abstimmungsvorgang im schriftlichen Umlaufverfahren oder einer Präsenzversammlung, in der sich die meisten Gesellschafter auf Grundlage einer Vollmacht vertreten lassen, in Betracht.
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