Einsichtnahme in die Bücher und Schriften einer GmbH während der Corona-Pandemie
Hintergrund
Der Unternehmensgegenstand der beklagten GmbH ist die Verwaltung eigenen Vermögens. An ihr sind zwei Gesellschafter beteiligt, die Antragstellerin und ihr Mitgesellschafter, der zugleich alleiniger Geschäftsführer ist.
Die Antragstellerin begehrte Einsicht in die Handelsbücher und Geschäftsunterlagen der GmbH einschließlich der Korrespondenz und Buchungsbelege der Jahre 2008 bis 2019. Mit rechtskräftigem Beschluss hat das Landgericht Frankfurt am Main der GmbH aufgegeben, der Antragstellerin diese Einsicht zu gewähren.
Am 15. Mai 2020 kam es zu einer Zusammenkunft der Parteien im Wohnhaus des Mitgesellschafters, wobei die Antragstellerin – wie vom Gericht gestattet – von ihren Rechtsanwälten begleitet wurde. Der Mitgesellschafter verwies zur Einsichtnahme auf den Geschäftsraum. Der GmbH stand als einziger Geschäftsraum nur ein ca. 13m² großer Raum in dem Wohnhaus des Mitgesellschafters zu Verfügung, in dem sich ein Schreibtisch, ein Computertisch und eine Couch mit einem weiteren Schreibtisch befanden. Zudem war der Raum zum Teil mit mehr als zehn Umzugskartons vollgestellt, in welchem sich die (ungeordneten) Geschäftsunterlagen der GmbH befanden.
Nach kurzer Diskussion, deren Inhalt im Einzelnen streitig ist, teilten die Vertreter der Antragstellerin mit, dass sie wegen der vorgefundenen Bedingungen die Einsichtnahme abbrechen werden. Auf den anschließenden Antrag der Antragstellerin verhängte das Landgericht Frankfurt am Main gegen die GmbH ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 5.000,00, ersatzweise für je EUR 250,00 einen Tag Ordnungshaft. Als Begründung führte es aus, dass der streitige Anspruch auf Einsichtsgewährung nicht erfüllt worden sei.
Gegen diesen Beschluss legte die GmbH sofortige Beschwerde ein. Im Wesentlichen führte die GmbH aus, dass sie den Anspruch erfüllt habe und dass die Corona-Pandemie nur ein vorgeschobener Grund gewesen sei. Darüber hinaus habe der Mitgesellschafter angeboten, mehrere Kartons aus dem Geschäftsraum herauszutragen, um dadurch mehr Platz zu schaffen.
Das Landgericht Frankfurt am Main hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Entscheidung dem OLG Frankfurt vorgelegt.
Der Beschluss des OLG Frankfurt vom 01.12.2020, Az. 21 W 137/20
Das OLG Frankfurt hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Die Antragstellerin und deren Vertreter hätten die Einsichtnahme zu Recht abgebrochen, da es vorliegend unzumutbar gewesen sei, die Einsicht in dem 13 m² großen Raum vorzunehmen.
Zwar habe die Einsicht nach geltendem Recht grundsätzlich in den Geschäftsräumen der GmbH zu erfolgen und die GmbH muss die Einsichtnahme lediglich passiv „dulden“, also selbst keine Unterstützungsmaßnahmen vornehmen. Allerdings sei die Einsichtnahme dann an einem anderen Ort vorzunehmen, wenn zwingende Gründe dafür sprechen. Dabei sei die Belastung der Gesellschaft einerseits und das Recht des Gesellschafters auf Einsichtnahme andererseits unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen.
Im Streitfall habe der Geschäftsraum nicht ausgereicht, um die geltenden Hygiene- und Gesundheitsvorschriften zur Eindämmung der Corona-Pandemie einhalten zu können. Nach § 1 Abs. 5 der Hessischen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung sind die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Hygiene bei jeglichen Zusammentreffen zu beachten. Das Robert Koch-Institut empfiehlt einen Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Personen. Dies sei in dem 13 Quadratmeter großen Geschäftsraum auch dann nicht der Fall gewesen, wenn der Geschäftsführer einige Kartons herausgeräumt hätte. Auch sei das Tragen einer Mund-Nasen-Schutzbedeckung nicht ausreichend gewesen. Denn durch den Umstand, dass die zu sichtenden Geschäftsunterlagen über Jahre nicht geordnet oder aufbereitet worden waren und diese sich in weit mehr als zehn Kartons und einem Aktenschrank befunden haben, sei von einer längeren Einsichtnahme auszugehen gewesen.
Weil die körperliche Unversehrtheit ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut sei, die GmbH keinen anderen Raum habe und auch kein tragfähiges alternatives Hygienekonzept entwickelt (oder auch nur vorgeschlagen) worden sei, hätte die GmbH einen anderen Raum anmieten und die Unterlagen zur Einsichtnahme dorthin verbringen müssen.
Schließlich, so das Oberlandesgericht, sei es auch angesichts der erkennbar unzureichenden Umstände nicht erforderlich gewesen, dass sich die Antragstellerin bei der Ablehnung der Einsichtnahme auf die konkreten Umstände der Unzumutbarkeit, namentlich die nicht eingehaltenen Hygieneregeln im Hinblick auf die Corona-Pandemie, im Einzelnen beruft.
Praxishinweise
Das Recht, von der GmbH Auskunft zu verlangen oder Einsicht in deren Bücher und Schriften zu nehmen, ist eines der unerschütterlichen, grundlegenden Rechte eines GmbH-Gesellschafters. Es ist in § 51a Abs. 1 GmbHG normiert; von diesem Recht kann auch die Satzung nicht abweichen (§ 51a Abs. 3 GmbHG). Das Recht des Gesellschafters, Einsicht in die Bücher und Schriften der Gesellschaft zu nehmen, ist sehr umfassend. Beispielsweise hat der Gesellschafter das uneingeschränkte Recht, sich sämtliche Geschäftsunterlagen, sämtliche geschäftsbezogene Korrespondenz, sämtliche Buchungen, Buchungssätze (Primanoten), Rechnungen etc. anzusehen. In der (digitalisierten) Praxis kann der Gesellschafter den Geschäftsführer auffordern, den Geschäfts-PC hochzufahren, das Passwort einzugeben, um dann die geschäftlichen Unterlagen durchzusehen.
Allerdings ist das Einsichtsrecht an gewisse Grenzen gebunden. Je umfangreicher es begehrt wird, desto eher ist es anzukündigen. Eine Behinderung der Geschäftsführung, etwa durch spontanes Erscheinen mit dem Begehren, umfassend Einsicht in bestimmte Unterlagen zu nehmen, ist beispielsweise unzulässig. Der Gesellschafter kann auf eigene Kosten Fotokopien von den jeweiligen Unterlagen machen.
Die GmbH hat die Einsichtnahme grundsätzlich nur passiv zu dulden. Insbesondere muss sie kein Kopiergerät bereitstellen, die Unterlagen nicht aufbereiten oder ordnen. Dort, wo Einsicht in elektronische Daten gefordert wird (z.B. E-Mails oder Buchungen), hat die Geschäftsführung entsprechende EDV bereitzustellen; das Ausdrucken der Daten genügt nicht, es sei denn, der Gesellschafter erklärt sich damit einverstanden und nimmt dies als Erfüllung an. Die Einsichtnahme hat – wie das OLG Frankfurt zu Recht erkennt – grundsätzlich in den Geschäftsräumen der GmbH zu erfolgen.
Von den Grundsätzen der passiven Duldung und der Einsichtnahme in den Geschäftsräumen sind jedoch dann Ausnahmen zu machen, wenn andernfalls die Einsichtnahme unmöglich gemacht werden würde. Dabei sind die Interessen der GmbH gegen die Interessen des Gesellschafters gegeneinander abzuwägen. Ist ein Gesellschafter beispielsweise gehbehindert, muss der Raum mit dem Rollstuhl erreichbar sein.
Im konkreten Fall hat das OLG Frankfurt die Interessen der Parteien gegeneinander abgewogen und erkannt, dass der von der GmbH zur Verfügung gestellte Raum vor dem Hintergrund der geltenden Hygiene- und Gesundheitsvorschriften zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht ausreichte, um die Einsichtnahme ungehindert zu ermöglichen. Im vorliegenden Fall war das Gericht übrigens großzügig im Hinblick auf die hier unterbliebene Anmahnung des fehlenden Hygieneschutzes vor Ort und bezeichnete eine Pflicht zur Benennung der unzureichenden Bedingungen vor dem Abbruch der Einsichtnahme eine „unnötige Förmelei“. Darauf sollte man sich aber in der Praxis nicht verlassen. Deshalb ist den Betroffenen grundsätzlich zu raten, etwaige „Mängel“ der Einsichtsgewährung (sei es im Hinblick auf Ort, Zeit oder Umfang) in jedem Fall unverzüglich und nachweisbar anzumahnen.
An diesem Fall zeigen sich erneut, welche Fallstricke auftreten können, wenn es um die Wahrung der Rechte von GmbH-Gesellschaftern in sich anbahnenden streitigen Auseinandersetzungen geht. Dabei kommt es für etwaige Mitwirkungspflichten der GmbH immer auf die Einzelheiten des jeweils zu beurteilenden Fall an. Sind sich die Parteien darüber uneinig, wie die Einsichtnahme konkret zu gewähren ist, ist es empfehlenswert, zuvor rechtlichen Rat einzuholen, um ein Zwangsgeld zu vermeiden.
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