Zur Bedeutung von Brexit für Anwälte und Justiz
Der Schock über Brexit in der deutschen Wirtschaft ist groß, die wirtschaftlichen Verknüpfungen sind eng und es gibt viele in Niederlassungen deutscher Konzerne auf der Insel. Viele deutsche Kanzleien sind eng mit solchen in Großbritannien verbunden oder auch "Ableger" britischer Kanzleien.
Auf Wirtschaftskanzleien kommen von den Mandanten Fragen zu organisatorischen, gesellschafts- und und handelsrechtlichen Problemen zu, die zunächst kaum abschließend zu beantworten sind, den nun gilt es zunächst politische Vertragsänderungen und Neuordnungen einzuleiten.
Bedeutung für Zusammenarbeit mit Kanzleien
Da Rechtsberatung mittlerweile kaum noch ausschließlich national abläuft, wird für deutsche und kontinentaleuropäische Anwälte die Kooperation mit britischen Kanzleien dringend, für Kanzleien die sich schon in Kooperation mit britischen Großkanzleien befinden steht auf der anderen Seite Neuorganisation und Unsicherheit im Raum. Insgesamt wird sich der Beratungsbedarf aber erhöhen.
Limited ade?
Eine der ersten handfesten Rechtsfolge ist die Frage, ob die Limited in Deutschland noch eine Zukunft hat. Denn nach der Gründungstheorie gilt die Niederlassungsfreiheit für ausländische Gesellschaftsformen grundsätzlich nur für Mitgliedsstaaten.
Für das EU-Recht ein Schlag
Jahr für Jahr war das europäische Recht für die Mitgliedsländer wichtiger geworden und hatte stärker auf die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung eingewirkt. Nun kommt, mit dem Ausscheiden eines störrischen, aber wichtigen Partner, das Zusammenwachsen zum Stocken.
Patenschutzreform und EU-Patent wackeln
Nur ein Beispiel ist die Vereinheitlichung des Patentschutzes in der EU. Laut Gesetzentwurf geplant sind ein EU-Einheitspatent und einheitliche Patentgerichte. Das wäre ein Meilenstein im Kampf gegen Patent-Piraten, der bisher in den verschiedenen Ländern vor Gericht nach jeweils nationale Patentschutz-Regelungen mit erheblichen Kosten einzeln ausgefochten werden muss. Damit diese Reform in Kraft treten kann, müssen die Länder mit den höchsten Patent-Anmeldezahlen - Deutschland, Frankreich und Großbritannien – zwingend zustimmen. Nach Brexit steht die Reform nun auf der Kippe.
Halb-EU-Mitgliedschaft klammert Thema Justiz aus
Selbst wenn es zu einer Halb-EU-Mitgliedschaft nachdem Vorbild Norwegens käme und Großbritannien Mitglied des seit 1994 bestehenden Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden würde, gäbe es im Unterschied zur EU-Vollmitgliedschaft keine gemeinsame Justizpolitik.
Übergangsfrist
Während der Austrittsverhandlungen bleibt Großbritannien zunächst mit allen Rechten und Pflichten Mitglied der EU und das EU-Recht gilt solange vollständig weiter.
Die EU-Verträge sehen einen Zeitraum von zwei Jahren vor, um Fragen der internationalen Kooperation durch bilaterale Abkommen zu klären. Darin würde, wie etwa mit der Schweiz, der Umfang und die Art des Verhältnisses und die künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geregelt.
Es bleibt zu hoffen, dass die sachlich und zügig geschieht, um den absehbaren Schaden des Austritts zu begrenzen.
Rufe nach schneller Klärung
Volkswirte und andere Experten mahnen an, dass rasch Klarheit geschaffen werden muss:
- Der Direktor des IW-Instituts, Michael Hüther, glaubt nicht, dass die Eurokrise erneut aufbricht. Die Reformen in den Krisenstaaten seien weit genug fortgeschritten, das Finanzsystem habe Risikopuffer aufgebaut und der Austritt Großbritanniens komme "letztlich ohne Überraschungsmoment daher".
- Die EU müsse aber dafür sorgen, dass der der Brexit kein Präzedenzfall für andere Länder werde.
"Es darf keine neue Ära des Rosinenpickens anbrechen."
- Die deutschen Banken sind zuversichtlich, dass die Aktienmärkte sich rasch von den Schockwellen des Referendums erholen.
"Die Lage an den Finanzmärkten dürfte sich nach dem ersten Schock rasch beruhigen",
so der Präsident des Bankenverbandes, Hans-Walter Peters: Finanzplätze Kontinentaleuropas wie Frankfurt könnten mittelfristig nach dem Brexit an Bedeutung gewinnen. Absehbar sei einer Konjunkturdelle in der EU und eine Rezession in Großbritannien, immerhin liegt der EU-Anteil des britischen Außenhandels bei 45 Prozent.
Schottland will die Talfahrt nicht begleiten: Die schottische Regierungspartei SNP plant nach dem Brexit-Referendum Großbritanniens einen zweiten Volksentscheid zur Loslösung vom Königreich. Unter den Deutschen sieht seit dem Lärm um Brexit erstmals eine Mehrheit der Deutschen an deutliche Vorteile durch die EU-Mitgliedschaft.
Brexit-Stopper laufen sich warm
Wie Beobachter nach dem Brexit-Kater erwartet hatten, laufen nun qualifizierte Bemühungen an, um den Brexit zu kippen.
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Unter Verfassungsrechtlern ist stark umstritten, ob die britische Regierung den Austritt erklären darf, ohne vorher eine Abstimmung des Parlaments zum Thema durchzuführen. Die britischen Parlamentarier aber sind überwiegend dagegen.
Von einigen Briten, die schon lange im Ausland leben und deshalb beim Referendum nicht mitstimmen durften, wird eine Klage gegen den Austritt Großbritanniens aus der EU vorbereitet.
Großbritannien und die EU
Seit mehr als 43 Jahren sind die Briten Mitglied der Europäischen Union. Schwierig waren die Beziehungen von Anfang an. Ein Rückblick:
1960: Als Gegengewicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wird auf Initiative Londons die Europäische Freihandelszone (EFTA) gegründet, die keine politische Integration anstrebt.
1963: Der französische Präsident Charles de Gaulle legt sein Veto gegen eine Mitgliedschaft der Briten in der EWG ein. 1973 tritt Großbritannien schließlich doch bei.
1975: Erst nachdem Premier Harold Wilson die Vertragsbedingungen nachverhandelt hat, sprechen sich die Briten in einem Referendum mit 67,2 Prozent für einen Verbleib in der Gemeinschaft aus.
1984: Mit den legendären Worten "I want my money back" (Ich will mein Geld zurück) handelt die konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher den sogenannten Britenrabatt aus. London muss fortan weniger in den Haushalt der Europäischen Gemeinschaft (EG) einzahlen.
1990: EG-Länder beschließen im Schengener Abkommen die Aufhebung der Passkontrollen an den Binnengrenzen. Großbritannien macht nicht mit.
1991: Der britische Premier John Major kündigt eine europafreundliche Politik seiner Konservativen Partei an, scheitert damit aber parteiintern. Er handelt aus, dass London nicht am Europäischen Währungssystem teilnimmt.
2004: Der britische Premier Tony Blair gerät mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac über ein «Europa der zwei Geschwindigkeiten» in Streit.
2005: Blair lässt einen EU-Gipfel zum mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union (EU) scheitern, stimmt Monate später aber doch zu und akzeptiert ein Abschmelzen des Britenrabatts.
2009: Mit Inkrafttreten des EU-Vertrages von Lissabon kann London wählen, an welchen Gesetzen im Bereich Inneres und Justiz es sich beteiligt. Zudem erwirkt die britische Regierung den Ausstieg aus mehr als 100 Gesetzen aus der Zeit vor dem Lissabon-Vertrag.
2011: Der britische Premier David Cameron verweigert seine Zustimmung zum EU-Fiskalpakt.
2012: Cameron droht mit einem Veto bei den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU.
2013: Cameron kündigt eine Volksabstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU bis spätestens 2017 an. Bis dahin will er die Rolle seines Landes in der EU neu aushandeln und Befugnisse aus Brüssel nach London zurückholen.
2015: London blockiert den Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion und lehnt grundsätzlich Doppelstrukturen von EU und Nato ab.
Februar 2016: Nach Zugeständnissen der EU kündigt Cameron für den 23. Juni ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU an.
Juni 2016: Bei der Volksabstimmung votieren fast 52 Prozent der Briten für den Austritt. Cameron hat seinen Rücktritt angekündigt.
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