Zur isolierten Verlegung des Satzungssitzes in anderen EU-Staat

Die Verlegung des Satzungssitzes einer nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat, ohne zugleich den tatsächlichen Sitz zu verlegen, ist durch die europäische Niederlassungsfreiheit gem. Artikeln 49 und 52 AEUV geschützt. Es verstößt daher gegen die Niederlassungsfreiheit, wenn die Verlegung des Satzungssitzes vom Wegzugsstaat nur bei vorheriger Liquidation erlaubt wird.

Hintergrund

Die Gesellschafter der Polbud Wykonawstwo sp. z o.o., einer nach polnischem Recht gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung, beschlossen 2011 die Verlegung des Satzungssitzes nach Luxemburg ohne Änderung des Ortes ihrer wirtschaftlichen Betätigung. Anschließend beurkundeten die Gesellschafter vor einem Luxemburger Notar den Formwechsel in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach luxemburgischem Recht unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit. Das polnische Registergericht weigerte sich, die zur Vollendung der Umwandlung erforderliche Löschung in das polnische Handelsregister der Gesellschaft einzutragen, da das polnische Recht hierfür die vorherige Liquidation der Gesellschaft verlangt. Der in dritter Instanz befasste Oberste Gerichtshof Polens (Sąd Najwyższy) ersuchte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung der relevanten europarechtlichen Fragen.

Das Urteil des EuGH vom 25.10.2017, Rs. C-106/16

Der EuGH stellt erstmals fest, dass die europarechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit den Anspruch einer nach dem Recht eines Mitgliedstaates (nachfolgend: „Herkunftsstaat“) gegründeten Gesellschaft auf Umwandlung in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaates (nachfolgend: „Aufnahmestaat“) unterliegenden Gesellschaft umfasst, soweit die Voraussetzungen des Rechts des Aufnahmestaats eingehalten sind und insbesondere das Kriterium erfüllt ist, das in dem Aufnahmestaat für die Verbundenheit einer Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung erforderlich ist. Dies konnte mit Blick auf die bisherigen Entscheidungen in den Rechtssachen Daily Mail and General Trust (Urteil vom 27.09.1988, Rs. C-81/87), Cartesio (Urteil vom 16.12. 2008, C‑210/06) und VALE (Urteil vom 12. Juli 2012, Rs. C‑378/10) bislang bezweifelt werden.

Weiter weist der EuGH den Einwand der österreichischen Regierung, wonach die Niederlassungsfreiheit nur geltend gemacht werden könne, wenn die Sitzverlegung durch die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmestaat begründet werde, ausdrücklich zurück. Allein entscheidend sei, dass die nach luxemburgischem Recht für die Gründung einer Gesellschaft und Verbundenheit mit deren nationalem Recht (d.h. des internationalen Privatrechts) geltenden Voraussetzungen erfüllt sind.

Im Ergebnis lösen sich die Luxemburger Richter damit von der bislang vorherrschenden autonomen europarechtlichen Definition der Gesellschaften und stellen stattdessen auf die Erfüllung nationaler Kriterien ab.

Hiervon ausgehend kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass es eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von Polbud darstelle, wenn nach polnischem Recht nur dann eine Löschung im Handelsregister eingetragen werden könne, wenn zuvor ein Liquidationsverfahren durchgeführt wurde. Eine solche Beschränkung könne zwar grundsätzlich durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie etwa den Schutz der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter und der Arbeitnehmer gerechtfertigt sein. Eine allgemeine Verpflichtung zur Liquidation, ohne dabei zu berücksichtigen, ob tatsächlich eine Gefahr für diese Interessen besteht, und ohne eine Möglichkeit vorzusehen, weniger einschneidende Maßnahmen zu wählen, durch die diese Interessen ebenso geschützt werden könnten, gehe aber über das hinaus, was zum Schutz der genannten Interessen erforderlich sei.

Anmerkung

Auch wenn der EuGH dogmatisch einige Haken schlagen muss, um dorthin zu kommen: das Ergebnis ist schlüssig. Denn wäre umgekehrt Polbud in Luxemburg gegründet worden und hätte seinen tatsächlichen Sitz nach Polen verlegt, wäre dies auf der Grundlage der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zweifellos niederlassungsrechtlich geschützt, das Ergebnis aber dasselbe. Auch leuchtet es nicht ein, warum der Schutz der Interessen inländischer stakeholder (Minderheitsgesellschafter, Arbeitnehmer und anderer Gläubiger) im Fall des grenzüberschreitenden Formwechsels nur durch die Auflösung adäquat geschützt werden sollen, während bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung andere Mechanismen genügen.

Folgen für die Praxis

Ob die Entscheidung des EuGH Folgen für die der Europäischen Kommission angekündigte EU-Sitzverlegungsrichtlinie haben wird, ist offen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kommission in dieser hinter die extensive Lesart des EuGH, wonach es möglich ist, isoliert nur den Satzungssitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu verlegen, zurückgeht und einen zwingenden Gleichlauf von Satzungs- und Verwaltungssitz festschreibt, wie dies kraft Unionsrecht bereits bei der Verlegung der Europäischen Aktiengesellschaft erforderlich ist.

Bis es soweit ist, eröffnet die Entscheidung des EuGH interessante Spielräume für die Gestaltungspraxis. Mangels gesetzgeberischer Vorgaben ist dabei vor allem die Abstimmung mit dem jeweiligen Registergericht entscheidend.

 

Rechtsanwälte Dr. Stefan Lammel, Dr. Oliver Wasmeier, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg


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