Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw. -freiheit: Tätigkeit als Physiotherapeut in einer Physiotherapiepraxis auf Grundlage eines freien Mitarbeitervertrags
Leitsatz (amtlich)
- Zur Frage der Eingliederung auf Grundlage freier Mitarbeiterverträge tätiger Physiotherapeuten in die Organisationsstruktur gemäß § 125 SGB V zur Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassener Physiotherapiepraxen.
- Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach den regulatorischen Rahmenbedingungen und einer dadurch bedingten Eingliederung in die Organisations- und Weisungsstruktur einer stationären Einrichtung bei der Abgrenzung selbständiger Tätigkeiten von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen maßgebliche Bedeutung zukommt, ist auch für die Beurteilung von Tätigkeiten in ambulanten Einrichtungen (hier: Physiotherapiepraxis) maßgeblich.
- VGL. BSG, 7. Juni 2019, B 12 R 6/18 R, BSG, 4. Juni 2019, B 12 R 12/18 R, BSG, 24. März 2016, B 12 KR 20/14 R.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 09. Mai 2018 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2017 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darum, ob der Kläger in seiner Tätigkeit für den Beigeladenen zu 1) (im Folgenden Beigeladener) als Physiotherapeut abhängig beschäftigt oder selbstständig war.
Der 1979 geborene Kläger ist ausgebildeter Physiotherapeut. Am 08.06.2015 stellte er einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status hinsichtlich seiner Tätigkeit in der Praxis S.. Mit Bescheid vom 12.11.2015 stellte die Beklagte insoweit Versicherungspflicht ab 01.02.2015 fest, da die Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 30.05.2016 als unbegründet zurück.
Am 01.06.2016 stellte der Kläger einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status hinsichtlich seiner Tätigkeit als Physiotherapeut in der Praxis für Physiotherapie des Beigeladenen. Er sei darüber hinaus in der Praxis S. tätig. Er hat dazu angegeben, seine Arbeitszeiten richteten sich nach der Nachfrage der Patienten je nach Auftragslage. Er organisiere seine Arbeitsabläufe selbständig. Die Patienten müssten ihn ausdrücklich verlangen bzw. ihn direkt ansprechen, um von ihm therapiert zu werden. Er trage ein Unternehmerrisiko, da er bei entsprechender niedriger oder keiner Anfrage von Patienten nur einen geringen Umsatz habe. Er legte dazu einen "Vertrag freie Mitarbeiter" vom 30.12.2016 mit dem Beigeladenen vor. Der Kläger erhält danach ein Honorar von 70 % des von ihm erzielten Umsatzes. Die Abrechnung erfolge monatlich auf der Grundlage der jeweils gültigen Honorarvereinbarungen mit den Krankenkassen bzw. bei Privatpatienten auf Grundlage der im Einzelfall mit diesen getroffenen Honorarvereinbarungen. Der freie Mitarbeiter habe keinen Anspruch auf Gehalt oder die Übernahme von Versicherungspflichten. Anfallende Steuern trage der freie Mitarbeiter für sich selbst. Eine Entgeltfortzahlung werde nicht gewährt. Es sei ein Nachweis über den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung, die Anmeldung beim Gesundheitsamt sowie bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege und die Meldung beim Finanzamt innerhalb eines Monats vorzulegen.
Hinsichtlich der Tätigkeit für Herrn F. wurde ein Klageverfahren anhängig (SG Landshut, S 10 R 8058/16).
Die Beklagte zog eine Auskunft des Beigeladenen vom 27.09.2016 bei. Dieser führte aus, die Patienten müssten ausdrücklich den Kläger verlangen, um auch von ihm behandelt zu werden. Die Behandlungen fänden in den Praxisräumen statt. Die Terminierungen und die Festlegung der Arbeitszeiten würden vom Kläger selbst durchgeführt. Der Kläger nütze die Räumlichkeiten der Praxis. Die Belegung der Räume erfolge nach Vereinbarung. Der Kläger kümmere sich eigenständig um seine Termine und führe einen eigenen Terminkalender. Der Kläger nutze lediglich die Räume der Praxis und die Therapieliegen, der Rest an Therapiemitteln werde von ihm gestellt. Die Abrechnung erfolge mit der Abrechnungsstelle der Praxis. Die Rezeptgebühren kassiere der Kläger. Diese Einnahmen würden über das Kassensystem des Beigeladenen laufen. Der Kläger stelle Rechnungen an den Beigeladenen in Höhe von 70 % hinsichtlich "aktiver Leistungen".
Der Kläger hat weiter angegeben, seine Arbeitszeiten seien abhängig von der Nachfrage der Patienten. Dienstags und donnerstags befinde er sich in der Praxis des Beigeladenen, Montags und Freitags in der Praxis S.. Er trage seine eigene Arbeitskleidung. Die Erstterminierung erfolge von ihm in der Praxis vor Ort, am Telefon oder...