Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen der Einforderung einer Sicherheitsleistung bei Aussetzung der Vollziehung und zur Verwirkung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und Verwertung von Grundpfandrechten
Leitsatz (NV)
1. Zur Annahme einer Verwirkung bedarf es eines Verhaltens der Finanzbehörde, aus dem der Steuerpflichtige bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden soll. Zeitablauf allein reicht nicht aus.
2. Die durch § 361 Abs. 2 Satz 5 AO 1977 eröffnete Möglichkeit der Einforderung einer Sicherheitsleistung bei gewährter Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Bescheids dient dem Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers und nicht dem Schutz eines Drittschuldners, der sich nicht an das ihm in einer Pfändungsverfügung auferlegte Zahlungsverbot gehalten hat und deshalb vom FA selbst in Anspruch genommen wird.
3. Die Entscheidung über die Verwertung eines Grundpfandrechts nach § 322 Abs. 4 AO 1977 steht im freien Ermessen der Finanzbehörde, dessen Ausübung gemäß § 102 FGO nur eingeschränkt überprüft werden kann.
4. Auf die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann sich nicht berufen, wer zwar einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, dieses Begehren jedoch bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht mehr weiterverfolgt hat.
5. Bei Erlass einer Einziehungsanordnung bedarf es der Wiederholung der zuvor ergangenen Pfändungsverfügung nicht.
Normenkette
FGO § 78 Abs. 1; AO 1977 §§ 125, 327, 260, 361 Abs. 2 S. 5, § 322 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Zur Sicherung von Einkommen- und Lohnsteuernachforderungen für 1979 bis 1981 ordnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) am 24. Juni 1981 den Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Steuerschuldners H (H), des Beigeladenen, an. Gestützt auf diese Arrestanordnung erließ das FA am 25. Juni 1981 eine Pfändungsverfügung gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), mit der u.a. die Forderungen aus Sparverträgen, sowie die gegenwärtigen und die bei den zukünftigen Rechnungsabschlüssen entstehenden Saldoansprüche aus einem Kontokorrentverhältnis und insbesondere ein näher bezeichnetes Festgeldkonto gepfändet wurden. Als Schuldgrund wurden Einkommensteuer- und Lohnsteuernachforderungen für die Jahre 1979 bis 1981 in Höhe von je … DM angegeben. Aufgrund der Ergebnisse einer Steuerfahndungsprüfung erließ das FA im Mai 1982 gegen H einen Lohnsteuerhaftungs- und Lohnsteuernachforderungsbescheid, in dem die Haftungssumme mit … DM und der Nachforderungsbetrag mit … DM ausgewiesen wurden. Nach erfolglosem Einspruch erhob H gegen diesen Bescheid Klage. Bis zum Abschluss des Verfahrens setzte das Finanzgericht (FG) die Vollziehung des Bescheides ohne Anforderung einer Sicherheitsleistung aus. Eine Mitteilung an die Klägerin erfolgte nicht.
Nachdem ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen H eingestellt worden war und das FA die Vollstreckung betreiben wollte, teilte die Klägerin dem FA in einem Gespräch im November 1988 mit, dass der Bestand des gepfändeten Festgeldkontos versehentlich ausbezahlt worden sei. Die Vertreter des FA stellten in dem Gespräch klar, dass das FA die Rechte aus der Pfändung weiterhin geltend machen wolle; wegen der konkreten Einziehungsanordnung warte man noch die Weisung des Finanzministeriums ab.
Nach Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens erließ das FA am 11. April 2000 einen geänderten Lohnsteuerhaftungs- und Lohnsteuernachforderungsbescheid und forderte H zur Begleichung der danach verbleibenden Lohnsteuer 1978 bis 1981 in Höhe von insgesamt … DM auf. Mit Änderungsbescheid vom 14. Dezember 2001 setzte das FA die Haftungssumme geringfügig herab. Mit Schreiben vom 26. November 2002 kündigte das FA gegenüber H hinsichtlich der Lohnsteueransprüche für das Jahr 1981 in Höhe von … € die Verwertung der Sicherheit an. Nachdem ein Ausgleich durch H nicht erfolgte, ordnete das FA mit Verfügung vom 9. Dezember 2002 die Einziehung der durch die Pfändungsverfügung vom 25. Juni 1981 in Beschlag genommenen Forderungen in Höhe von … € an und wies darauf hin, dass im Übrigen der Inhalt der Pfändungsverfügung unberührt bleibe.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG urteilte, dass die vom FA erlassene Pfändungsverfügung rechtmäßig sei. In der Pfändungsverfügung sei die gepfändete Forderung unter Angabe der Kontonummer des Festgeldkontos hinreichend bestimmt worden. Für die Wirksamkeit der Pfändung sei die zutreffende Angabe des Schuldgrundes nicht erforderlich. Im Streitfall habe sich das durch die Arrestanordnung bestehende Sicherungspfandrecht infolge der Vollstreckbarkeit der Lohnsteuerforderungen in ein Vollstreckungspfandrecht gewandelt, so dass sich das FA aus der erlangten Sicherheit durch Einziehung der gepfändeten Forderung habe befriedigen können. Dabei erfasse die Bezeichnung des zu sichernden Steueranspruchs in der Arrestanordnung und in der Pfändungsverfügung auch den Haftungsanspruch. Denn aus der Begründung der Arrestanordnung gehe hervor, dass der gegen H geltend gemachte Steueranspruch darauf beruhe, dass er ein …büro betrieben habe, ohne für die eingestellten Arbeitnehmer Lohnsteuern einbehalten und abgeführt zu haben. Auf diesen Lebenssachverhalt habe das FA auch den Haftungsbescheid gestützt. Der fehlende Hinweis auf das Bestehen einer Haftungsschuld führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Einziehungsverfügung. Nach § 314 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 309 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) genüge die Mitteilung der Summe des beizutreibenden Geldbetrages. Weder Verwirkung noch der Grundsatz von Treu und Glauben stünden der Einziehung entgegen. Aufgrund der telefonischen Vollstreckungsankündigung hätte die Klägerin nicht darauf vertrauen dürfen, nicht mehr als Drittschuldnerin in Anspruch genommen zu werden. Vielmehr habe sie durch die pflichtwidrige Auszahlung des gepfändeten Betrages selbst zum Schadenseintritt beigetragen. Zudem sei das FA aufgrund der Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheides an einer früheren Einziehung gehindert gewesen. Schließlich sei es nicht zu beanstanden, dass das FA bei Anordnung der AdV keine Sicherheitsleistung verlangt und es unterlassen habe, aufgrund einer bestehenden Sicherungshypothek in einen Grundstücksanteil des H zu vollstrecken.
Zur Begründung der Revision beruft sich die Klägerin auf eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht aus § 78 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe in der Sache geurteilt, ohne zuvor den Antrag auf Akteneinsicht überhaupt beschieden zu haben. Zudem habe das FG durch die Nichterteilung eines Hinweises auf die von den Lohnsteuerhaftungs- und Lohnsteuernachforderungsbescheiden erfassten Veranlagungszeiträume Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie § 155 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) verletzt. Dadurch handle es sich um eine Überraschungsentscheidung. Darüber hinaus seien im Streitfall die Voraussetzungen des § 327 Satz 1 AO 1977 nicht erfüllt. Denn das FA habe in der Einziehungsverfügung den ursprünglichen Arrestanspruch --nämlich Einkommen- und Lohnsteuernachforderungen 1979 bis 1981-- gegen einen Haftungsanspruch aus § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgetauscht. Die Rechtsansicht des FG verstoße gegen das Gebot der Titelbestimmtheit und gegen das Prinzip der Formalisierung in der Zwangsvollstreckung. Die unterschiedliche Bezeichnung des Schuldgrundes und der Veranlagungszeiträume führten zur Rechtswidrigkeit der Einziehungsverfügung. Diese verstoße zudem gegen das Bestimmtheitsgebot. Denn die Angabe der Höhe der eingezogenen Forderung allein reiche nicht aus. Dem FA wäre es durchaus möglich gewesen, das Festgeldkonto genau zu benennen. Auch sei die Bezugnahme auf die Pfändungsverfügung vom 25. Juni 1981 irreführend. Aufgrund des fehlenden Hinweises auf eine Haftungsschuld und der infolgedessen unzureichenden und unzutreffenden Angabe des Schuldgrundes sei bereits die Pfändungsverfügung unwirksam. Das FA hätte die pauschal ausgewiesenen Beträge auf die einzelnen Veranlagungszeiträume aufteilen müssen. Insoweit liege ein Verstoß gegen § 260 AO 1977 vor, der zur Nichtigkeit der Pfändungsverfügung führe. Aber selbst wenn nur von deren Rechtswidrigkeit auszugehen sei, schlage diese auf die Einziehungsverfügung durch. Eine rückwirkende Heilung der Rechtsmängel sei nicht möglich.
Darüber hinaus sei im Streitfall eine Verwirkung durch bloßen Zeitablauf eingetreten. Nach über 21 Jahren dürfe das FA die Ansprüche aus der Pfändungsverfügung nicht mehr verwirklichen. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass das FA im November 1988 ausdrücklich die Einziehungsabsicht bekundet habe. Denn das FA habe es unterlassen, die Klägerin über die AdV des Haftungsbescheides zu unterrichten. Darüber hinaus verstoße das Absehen von der Anforderung einer Sicherheitsleistung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Da im Streitfall ein Auslandsbezug bestehe, hätte das FA eine Sicherheit einfordern müssen. Schließlich könne sich das FA nicht auf § 322 Abs. 4 AO 1977 berufen. Aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls hätte das FA zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Befriedigung vorrangig aus der Sicherungshypothek suchen müssen. Da das FA einen atypischen Fall überhaupt nicht in Erwägung gezogen habe, liege ein Ermessensausfall vor, den das FG übersehen habe.
Die Klägerin beantragt die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie die Feststellung der Nichtigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen, hilfsweise die Aufhebung dieser Entscheidungen.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision. Mit dem Beigeladenen H schließt es sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an. Das FA ist der Ansicht, dass der Arrestanspruch nicht ausgetauscht worden sei. Im Übrigen könne die Angabe des Schuldgrundes bis zur Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme nachgeholt werden. Im Streitfall sei die Pfändungsverfügung mangels rechtzeitigen Einspruchs bestandskräftig geworden. Dies müsse auch die Klägerin gegen sich gelten lassen. Folglich sei die Einziehungsverfügung rechtmäßig ergangen. Eine Verwirkung könne ebenso wenig angenommen werden, wie ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das angefochtene Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Zu Recht hat das FG die Einziehungsverfügung als rechtmäßig erachtet.
1. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs wegen Nichtbescheidung eines Antrages auf Akteneinsicht ist bereits nicht ordnungsgemäß erhoben.
Nach § 78 Abs. 1 FGO steht den Beteiligten das Recht auf Einsichtnahme in die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten zu. Eine Verweigerung der verfahrensrechtlich garantierten Akteneinsicht kann den Anspruch des Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzen. Auf einen solchen Verfahrensmangel kann sich jedoch nicht berufen, wer sich nicht in ausreichendem Maße um die begehrte Akteneinsicht bemüht. Hierzu gehört nicht nur, dass ein Antrag auf Akteneinsicht überhaupt gestellt, sondern auch, dass dieses Begehren im Laufe des Verfahrens weiter verfolgt wird. Erkennt der Beteiligte, dass das Gericht seinen Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung unberücksichtigt lässt, darf er nicht untätig bleiben. Vielmehr ist von ihm zu verlangen, dass er das Übergehen seines Antrages rügt und dem Gericht Gelegenheit gibt, zu dem Versäumnis Stellung zu nehmen bzw. den Antrag zu bescheiden. Ein Verfahrensmangel kann in der Revisionsinstanz nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO verzichtet haben. Zu den verzichtbaren Mängeln gehört nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch die Verletzung rechtlichen Gehörs (Senatsentscheidung vom 20. August 1999 VII B 4/99, BFH/NV 2000, 214, und BFH-Urteil vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348). Wird eine Verfahrensrüge auf die Verletzung einer Vorschrift des Prozessrechts gestützt, auf deren Beachtung die Beteiligten verzichten konnten, gehört zur ordnungsgemäßen Darlegung, dass dieser Verstoß vor dem FG gerügt wurde oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich war. Diese Anforderungen erfüllt die Revision nicht.
2. Die behauptete Verletzung der Hinweispflicht liegt ebenso wenig vor wie ein den Gehörsanspruch verletzendes Überraschungsurteil. Dem FG oblag in Bezug auf die in den Lohnsteuerhaftungs- und Lohnsteuernachforderungsbescheiden angegebenen Veranlagungszeiträume keine gesteigerte Hinweispflicht. Wie bereits ausgeführt, hat die Klägerin die beantragte Akteneinsicht trotz der Nichtbescheidung ihres Begehrens nicht weiterverfolgt und sich damit selbst der Möglichkeit begeben, den genauen Inhalt der Bescheide zur Kenntnis zu nehmen.
Eine Überraschungsentscheidung liegt deshalb nicht vor, weil das FG in der Urteilsbegründung nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abgestellt hat, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl. BFH-Entscheidungen vom 1. Juli 2004 IV B 187/02, BFH/NV 2004, 1421, und vom 21. März 1995 XI R 85/93, BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732, m.w.N.). Vielmehr hat das FG Unterschiede in den Veranlagungszeiträumen und das Veranlagungsjahr 1978 überhaupt nicht angesprochen, sondern generell darauf verwiesen, dass die Arrestanordnung und die Pfändungsverfügung die Abführung der vorauszuzahlenden Lohnsteuer für den in den Bescheiden angegebenen Zeitraum unabhängig davon sicherten, ob das FA diese als Haftungs- oder als Nachforderungsschuld erhoben habe. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Einziehungsverfügung hat das FG den Rechtsstandpunkt vertreten, dass die Angabe des Schuldgrundes und damit ein Hinweis auf die Haftungsschuld nicht erforderlich gewesen sei. In Anbetracht dieser Ausführungen ist für den Senat nicht ersichtlich, dass das FG eine Überraschungsentscheidung getroffen haben soll.
3. Zu Recht hat das FG geurteilt, dass im Streitfall die in § 327 AO 1977 normierten Voraussetzungen für eine Überleitung des Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahren erfüllt sind und die Einziehungsverfügung damit zu Recht ergangen ist. Nach § 327 Satz 1 AO 1977 kann sich das FA wegen vollstreckbarer Forderungen aus Sicherheiten befriedigen, die es zur Sicherung dieser Ansprüche erlangt hat.
a) Die vom FG angeordnete AdV hatte sich mit Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens und dem Erlass des geänderten Lohnsteuerhaftungs- und Lohnsteuernachforderungsbescheides vom 11. April 2000, der sich auf verbleibende Lohnsteuer 1978 bis 1981 bezog, erledigt. Damit trat die Vollziehbarkeit und Fälligkeit der vom FA geltend gemachten Lohnsteuerforderung ein. Nach Bekanntgabe der Verwertungsabsicht in Bezug auf die für 1981 geschuldete Lohnsteuer hat H Zahlungen nicht geleistet, so dass zumindest in Bezug auf diese Teilforderung ein Verwertungshindernis nicht mehr bestand.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG zutreffend entschieden, dass der durch die Arrestanordnung gesicherte Anspruch bei Erlass der Einziehungsverfügung nicht durch einen anderen Anspruch ausgetauscht worden ist. Die Arrestanordnung sowie die Pfändungsverfügung erfassen Einkommensteuer- und Lohnsteuernachforderungen für 1979 bis 1981. Zur Präzisierung des Schuldgrundes nimmt die Pfändungsverfügung auf die Arrestanordnung vom 24. Juni 1981 ausdrücklich Bezug. Aus dieser geht hervor, dass sich der Arrestanspruch aus den Prüfungsfeststellungen der Steuerfahndung ergab und darauf beruhte, dass H seit 1979 in erheblichem Maße Gewinne aus dem Betrieb eines …büros erzielte und Arbeitslöhne zahlte, ohne hierfür die entsprechenden Steuern einbehalten bzw. an das FA abgeführt zu haben. Mit diesen Ausführungen und dem Begriff Lohnsteuernachforderungen wird ein Lebenssachverhalt beschrieben, der Lohnsteuern und nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG wegen nicht abgeführter Lohnsteuern entstandene Haftungsansprüche gleichermaßen erfasst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz den Begriff der Nachforderung vorrangig dann verwendet, wenn ein Lohnsteueranspruch unmittelbar gegenüber dem Arbeitnehmer geltend gemacht wird (§ 38 Abs. 4 Satz 4, § 39 Abs. 4 Satz 4, § 39a Abs. 5 und § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG). Im Streitfall erfasst die Arrestanordnung ausschließlich das Vermögen des Arbeitgebers, so dass sich der Arrestanspruch nicht auf Lohnsteueransprüche beziehen kann, die gegenüber den Arbeitnehmern geltend zu machen wären. Auch liegt die Annahme fern, dass das FA durch die von ihm verwendete Ansprache der Steuerrückstände als Lohnsteuernachforderungen auf die Geltendmachung eines auf § 42d Abs. 1 EStG gestützten Haftungsanspruchs verzichten wollte. Der vom FA verwendete Begriff der Lohnsteuernachforderungen konnte vom Empfänger daher nur in dem Sinne verstanden werden, dass er auch nach § 42d Abs. 1 EStG entstandene Haftungsansprüche mit einbezog.
b) Einer Wiederholung der Pfändungsverfügung, auf die das FA in der Verwertungsankündigung ausdrücklich hingewiesen hat, bedurfte es zur Einleitung der angekündigten Vollstreckungsmaßnahme nicht (BFH-Beschluss vom 28. August 1968 I B 18/68, BFHE 93, 405, BStBl II 1968, 832). Denn die durch den Vollzug des Arrestes erlangte Sicherheit --im Streitfall das Arrestpfandrecht-- wandelt sich nach Eintritt der Vollziehbarkeit und Fälligkeit der Geldforderung in ein Vollstreckungspfandrecht, aus dem sich das FA nach § 327 AO 1977 durch Erlass einer Einziehungsanordnung befriedigen kann (vgl. Hohrmann in Hübschman/ Hepp/Spitaler --HHSp--, § 327 AO Rz. 18).
4. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz leidet die Pfändungsverfügung nicht an einem besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler, der gemäß § 125 AO 1977 zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führt. Auch eine Rechtswidrigkeit vermag der Senat nicht zu erkennen, denn die von der Klägerin behauptete unzureichende Angabe des Schuldgrundes liegt nicht vor.
a) Ein zur Unwirksamkeit führender Fehler wird von der Rechtsprechung insbesondere dann angenommen, wenn der Veraltungsakt die an eine ordnungmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maß verletzt, dass von niemand erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (BFH-Urteil vom 13. Mai 1987 II R 140/84, BFHE 150, 70, BStBl II 1987 592). Der Fehler muss von einem solchen Ausmaß und einer solchen Schwere sein, dass er den davon betroffenen Akt der öffentlichen Gewalt als mit der rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar und damit schlechterdings unerträglich erscheinen lässt (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 125 AO Tz. 4, m.w.N.). Im Streitfall liegt ein solch schwerer und offenkundiger Fehler nicht vor.
b) Im Übrigen entspricht die Angabe des Schuldgrundes in der Pfändungsverfügung den von § 260 AO 1977 aufgestellten Anforderungen. Denn in ihr werden sowohl die Steuerarten (Einkommen- und Lohnsteuer) einschließlich des Anlasses der Inanspruchnahme (Nachforderung) und der erfassten Jahreszeiträume (1979 bis 1981) als auch die Höhe der Forderungen (für jede Steuerart … DM) angegeben. Damit genügt der Inhalt der Pfändungsverfügung den von der BFH-Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen. Entgegen der Auffassung der Klägerin weicht das erstinstanzliche Urteil nicht von der BFH-Entscheidung vom 19. November 1963 VII 18/61 U (BFHE 78, 59, BStBl III 1964, 22) ab, die zur Auslegung von § 69 Abs. 2 Nr. 2 der Beitreibungsordnung ergangen ist. In ihr hatte der BFH über die Angabe "Umsatzsteuer 5500 DM" zu befinden und geurteilt, dass sich das Recht des Vollstreckungsschuldners zur Bestimmung der Tilgungswirkung im Falle freiwilliger Zahlung erst durch die genaue Bezeichnung der nach Zeitabschnitten zusammengefassten, einzelnen Ansprüche verwirklichen lasse. Daher gehöre bei Veranlagungssteuern zur Angabe des Schuldgrundes auch die Bezeichnung des geschuldeten Geldbetrages nach den für die einzelnen Steuerarten üblichen Veranlagungszeiträumen. Veranlagungszeitraum für die Einkommensteuer ist nach § 25 Abs. 1 EStG das Kalenderjahr. Die Steuer entsteht mit dem Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres, sofern die Steuerpflicht für das ganze Jahr bestand. Im Streitfall kann die Angabe "Einkommensteuernachforderungen für 1979 bis 1981" nur dahin gehend verstanden werden, dass die vom FA geltend gemachte Nachforderung die genannten Kalenderjahre und damit die Veranlagungszeiträume 1979, 1980 und 1981 erfasst. Der Schuldgrund ist damit in ausreichender Weise bezeichnet. Die behauptete Unwirksamkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügung liegt folglich nicht vor.
5. Die Ansprüche des FA aus den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen sind nicht verwirkt. Verwirkung setzt ein bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Behörde werde den Anspruch nicht oder nicht mehr geltend machen (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975, unter II.B.5. der Gründe). Neben diesem Zeitmoment muss als vertrauensgeprägtes Umstandsmoment ein Verhalten der Finanzbehörde hinzukommen, aus dem der Steuerpflichtige bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden soll. Allerdings führt bloße Untätigkeit und allein der Zeitablauf noch nicht zur Verwirkung (BFH-Entscheidungen vom 26. Oktober 2005 II R 9/01, BFH/NV 2006, 478, und vom 1. Juli 2003 II B 84/02, BFH/NV 2003, 1534, sowie Neumann in Beermann/Gosch, AO § 4 Rz. 69). Schließlich muss der Steuerpflichtige als sog. Vertrauensfolge auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen begegnet der Erlass der Einziehungsverfügung keinen rechtlichen Bedenken. Eine Verwirkung der mit der Einziehungsverfügung geltend gemachten Ansprüche ist weder durch bloßen Zeitablauf noch durch treuwidriges Verhalten des FA eingetreten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin über das mit der Pfändung bewirkte Zahlungsverbot hinweggesetzt und den Bestand des gepfändeten Festgeldkontos an H ausbezahlt hat. Allein dieses verbotswidrige Verhalten steht der Annahme der Bildung eines Vertrauenstatbestandes entgegen. Nach den Feststellungen des FG, gegen die Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind, hat das FA zudem in einem 1988 geführten Gespräch ausdrücklich klargestellt, dass es die Rechte aus der Pfändung weiterhin geltend machen wolle und dass wegen der konkreten Einziehungsanordnung eine Weisung des Ministeriums abgewartet werde. Aus diesen Äußerungen konnte die Klägerin keinesfalls schließen, dass das FA die Angelegenheit auf sich beruhen lassen würde. Auch aufgrund der sich anschließenden jahrelangen Untätigkeit des FA konnte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass infolge einer inzwischen erteilten Weisung des Ministeriums der Anspruch endgültig nicht mehr geltend gemacht werde. Vielmehr hätte sie noch mit einem --wenn auch erheblich verspäteten-- Erlass einer Einziehungsverfügung rechnen müssen. Den aktuellen Stand der Dinge hätte die Klägerin durch eine Nachfrage beim FA leicht in Erfahrung bringen können. Dies hat sie jedoch nicht getan und wie das FG ausgeführt hat, auch keine Versuche unternommen, den zu Unrecht ausgezahlten Betrag von ihrem ehemaligen Kunden zurückzufordern. Ein Drittschuldner, der im Bewusstsein seines eigenen verbotswidrigen Tuns und der Möglichkeit einer Rückgängigmachung dieses Handelns in Untätigkeit verharrt, kann sich später nicht darauf berufen, er habe über Jahre hinweg darauf vertrauen können und auch darauf vertraut, dass der Vollstreckungsgläubiger trotz entsprechender Ankündigung die Ansprüche nicht mehr geltend machen werde.
6. Das FA war am Erlass der Einziehungsverfügung auch nicht deshalb gehindert, weil die Vollziehung des Haftungsbescheides ohne Anforderung einer entsprechenden Sicherheit ausgesetzt worden ist. Denn nach den Feststellungen des FG ist die AdV zunächst durch das Hessische FG und nicht durch das FA erfolgt. Aber selbst wenn das FA danach ebenfalls die Vollziehung des angefochtenen Bescheides ohne Anforderung einer Sicherheitsleistung ausgesetzt haben sollte, könnte die Klägerin aus diesem Vorgehen keine Rechte herleiten. Denn nach § 361 Abs. 2 Satz 5 AO 1977 steht es im freien Ermessen der Finanzbehörde, ob sie als unselbstständige Nebenbestimmung zur Aussetzungsverfügung eine Sicherheit verlangt oder von einer solchen absieht. Ihre Überlegungen hat die Finanzbehörde insbesondere an dem Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers und an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auszurichten. Entgegen der Ansicht der Klägerin braucht die Finanzbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung nicht die Interessen eines Drittschuldners zu berücksichtigen, der sich nicht an das ihm in einer Pfändungsverfügung auferlegte Zahlungsverbot gehalten und gepfändete Beträge an den Vollstreckungsschuldner ausbezahlt hat. Denn dem Schutz des Drittschuldners vor einer eigenen Inanspruchnahme dient § 361 Abs. 2 Satz 5 AO 1977 nicht. Im Übrigen vermag der Umstand, dass der Antragsteller seinen Wohnsitz im Ausland hat oder dass der Steuerbescheid im Ausland vollstreckt werden müsste, die Anordnung einer Sicherheitsleistung zwar zu rechtfertigen (Birkenfeld in HHSp, § 361 AO Rz. 240, m.w.N.), jedoch kann daraus keine Verpflichtung der Finanzbehörde zur Anforderung einer solchen abgeleitet werden. Ein treuwidriges Verhalten des FA gegenüber der Klägerin vermag der Senat daher nicht zu erkennen.
7. Zutreffend hat das FG geurteilt, dass die Einziehungsverfügung nicht deshalb rechtswidrig ist, weil das FA eine Verwertung der Sicherungshypothek unterlassen hat. Nach § 322 Abs. 4 AO 1977 soll die Finanzbehörde eine Zwangsversteigerung nur beantragen, wenn festgestellt ist, dass der Geldbetrag durch Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht beigetrieben werden kann. Die als Sollvorschrift gefasste Regelung trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Denn es sind Fälle denkbar, in denen eine Zwangsversteigerung den Vollstreckungsschuldner weniger belastet, als eine Vollstreckung in sein bewegliches Vermögen. Die Entscheidung über die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen (§ 249 Abs. 1 AO 1977) und damit auch die Entscheidung darüber, ob ein Grundpfandrecht verwertet werden soll, steht im Ermessen der Finanzbehörde. Die gerichtliche Überprüfung einer solchen Ermessensentscheidung ist gemäß § 102 FGO darauf beschränkt, ob die Finanzbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hat das FG in nachvollziehbarer Weise dargelegt, warum das FA unter Beachtung von § 322 Abs. 4 AO 1977 die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat. Nicht zu befinden brauchte das FG über die Frage, ob die Entscheidung des FA die zweckmäßigste und effektivste Lösung gewesen ist. Im Kern ihres Vorbringens macht die Klägerin geltend, dass die Zwangsversteigerung des Miteigentumsanteils des Vollstreckungsschuldners problemloser und aussichtsreicher gewesen wäre, als der Versuch, durch den Erlass einer Einziehungsverfügung und einer Inanspruchnahme der Klägerin Befriedigung aus den gepfändeten Forderungen zu erlangen. Diese Überlegungen können jedoch nicht dazu führen, die Einziehungsverfügung gegenüber der Klägerin als unverhältnismäßig und daher rechtswidrig erscheinen zu lassen. Das Vorbringen der Klägerin, dass ein vom Regelfall des § 322 Abs. 4 AO 1977 abweichender Fall vorliege, weil sich der Vollstreckungsschuldner durch Anforderung und Entgegennahme der ausgezahlten Beträge der Vollstreckung entzogen und damit die Vollstreckung insgesamt erschwert habe, lässt außer Acht, dass insbesondere die verbotswidrige Auszahlung der Geldbeträge den Erfolg der Vollstreckung vereitelt hat. Einen atypischen Fall, der die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen des Vollstreckungsschuldners geboten hätte, vermag die Klägerin mit ihren Ausführungen nicht zu belegen. Ein solcher liegt nicht bereits deshalb vor, weil der Vollstreckungsschuldner die Auszahlung einer größeren Geldsumme bewirkt hat. Daher bestand für das FA auch kein Anlass, entsprechende Überlegungen in der Begründung der Einziehungsverfügung anzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 1581467 |
BFH/NV 2006, 2024 |