Entscheidungsstichwort (Thema)
Waisenrentenanspruch bei Aufnahme eines Stiefkindes in gemeinsamen Haushalt. Entzug der Personensorge. Familiengemeinschaft. Dauerzustand
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Waisenrente aufgrund der Aufnahme eines Stiefkindes in den gemeinsamen Haushalt des Versicherten und der Kindesmutter kann auch dann bestehen, wenn der Mutter die Personensorge vorläufig entzogen und auf das Jugendamt übertragen worden war.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
RVO § 1267 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a, § 1263
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Waisenrente aus der Versicherung des am 4. November 1990 verstorbenen R. … K. … (Versicherter).
Der 1980 geborene Kläger lebte bis 1984 zusammen mit seiner Mutter und seinem leiblichen Vater in einem Haushalt. Im Mai 1985 heiratete die Mutter des Klägers den Versicherten. Aus dieser Ehe ist der 1989 geborene Sohn M. … hervorgegangen. Der Kläger hielt sich von Anfang an im gemeinsamen Haushalt der Eheleute auf. Der Kontakt zu seinem leiblichen Vater beschränkte sich auf Besuche. Ab Juni 1987 befand sich der Kläger wegen Sehbehinderung und Verhaltensstörungen auf Kosten des Jugendamtes in Heimpflege. Dabei besuchte er eine Schule für Blinde und Sehbehinderte.
Im Gefolge eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens wegen sexuellen Mißbrauchs an dem Kläger entzog das Amtsgericht (AG) Köln der Kindesmutter durch Beschluß vom 21. Juni 1990 im Wege der einstweiligen Anordnung die Personensorge und übertrug sie auf das Jugendamt als Pfleger. Aus der Begründung dieser Entscheidung geht hervor, daß sie sicherstellen sollte, die erheblichen Verhaltensstörungen des Klägers, die auch auf einem zumindest unverschuldeten Versagen der Kindesmutter beruhten, zu untersuchen. Die dagegen von der Mutter des Klägers erhobene Beschwerde wurde vom Landgericht (LG) Köln durch Beschluß vom 1. Oktober 1990 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die einstweilige Anordnung auf die Dauer von sechs Monaten, beginnend mit der Entscheidung der Kammer, befristet werde. Mit Beschluß vom 10. April 1991 entzog das AG der Mutter die Personensorge unter Verlängerung des Besuchsverbots bis auf weiteres. Diese Entscheidung wurde durch Beschluß des AG vom 11. Dezember 1991 wieder aufgehoben, nachdem weitere Gutachten zu dem Ergebnis gelangt waren, daß die Mutter des Klägers durchaus in der Lage sei, diesen zu erziehen.
Nach dem Tode des Versicherten gewährte die Beklagte sowohl der Mutter des Klägers als auch dem Kind M. … Hinterbliebenenrente. Den Antrag des Klägers vom 19. November 1990 lehnte sie mit Bescheid vom 25. März 1992 ab, weil der Kläger kein in den Haushalt des Versicherten aufgenommenes Stief- oder Pflegekind sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 21. April 1994, Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. Oktober 1996). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die erstinstanzliche Entscheidung durch Urteil vom 19. September 1997 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Halbwaisenrente zu gewähren. Zur Begründung heißt es darin ua:
Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Halbwaisenrente seien erfüllt, denn der Kläger, der durch die Heirat seiner Mutter mit dem Versicherten dessen Stiefkind geworden sei, sei unstreitig in den gemeinsamen Haushalt der Kindesmutter und des Versicherten aufgenommen worden. Aus diesem Haushalt sei der Kläger auch nicht im Juni 1987 ausgeschieden, als er auf Kosten des Jugendamtes wegen der bei ihm bestehenden Sehbehinderung und Verhaltensauffälligkeiten im Landesheim und in der Schule für Blinde und Sehbehinderte in N. … untergebracht worden sei. Das durch die Aufnahme in den Haushalt der Mutter und des Stiefvaters begründete familienhafte Band sei dadurch nicht aufgehoben worden, weil das primäre Erziehungs- und Fürsorgerecht der Mutter fortbestanden habe. Obwohl das AG Köln der Kindesmutter mit Beschluß vom 21. Juni 1990 die Personensorge entzogen und sie dem Jugendamt der Stadt Köln als Pfleger übertragen habe, sei die Aufnahme des Klägers in den Haushalt des Versicherten nicht beendet worden. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten lasse außer acht, daß die Entziehung des Personensorgerechtes einerseits nur vorläufigen Charakter gehabt und sich andererseits später als unbegründet erwiesen habe. Während des genannten Zeitraums hätten darüber hinaus sowohl die Mutter als auch der Versicherte ebenso wie der Kläger stets den deutlich erkennbaren Willen gehabt, die im Ergebnis unrechtmäßig unterbrochene häusliche Familiengemeinschaft fortzusetzen. Zwar habe das AG Köln mit Beschluß vom 10. April 1991 der Mutter bis auf weiteres die Personensorge entzogen; auch diese Entscheidung sei jedoch nicht endgültig gewesen, denn das AG habe eine weitere Sachaufklärung für notwendig gehalten.
Zudem sei die vom AG auf § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gestützte vormundschaftsgerichtliche Maßnahme nicht begründet gewesen. Glaubhafte und gewichtige Anhaltspunkte, die auf einen sexuellen Mißbrauch des Klägers durch die Kindesmutter und/oder den Versicherten hingedeutet hätten, seien im Juni 1990 nicht vorhanden gewesen.
Der Senat habe keinen Zweifel, daß die Kindesmutter und der Versicherte während der öffentlichen Erziehungsmaßnahmen deutlich erkennbar den Willen gehabt und diesen auch durch ihr Verhalten geäußerten hätten, die unterbrochene häusliche Familiengemeinschaft so bald wie möglich fortzusetzen. Dieser Wille habe sich in dem gegen die Entscheidungen des AG Köln von der Kindesmutter betriebenen Beschwerdeverfahren manifestiert, mit dem sie die Aufhebung des Entzuges der Personensorge angestrebt habe. Auch die nicht zu billigende „Entführung” des Klägers aus dem Kinderheim und der Einsatz der Presse zeigten unmißverständlich, mit welchem Engagement und welcher Energie die Kindesmutter den Kläger in den Familienverband habe zurückführen wollen.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte im wesentlichen geltend: Im Hinblick auf die seit 1987 bestehende Heimpflege auf Kosten des Jugendamtes sowie die im Juni 1990 erfolgte Übertragung der Personensorge auf das Jugendamt habe im Zeitpunkt des Todes des Versicherten zwischen diesem und dem Kläger kein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienähnlicher Art vorgelegen, in welchem dem Kläger regelmäßig Lebensunterhalt gewährt worden sei. Entgegen der Auffassung des LSG bestehe kein Anlaß, die Beschlüsse des AG vom 21. Juni 1990 und 10. April 1991 im nachhinein als rechtswidrig zu betrachten. Seinerzeit habe es Indizien für einen sexuellen Mißbrauch des Klägers aus dem Bereich der Kindesmutter und des Versicherten gegeben. Diese Beschlüsse hätten also jedenfalls zu einer Unterbrechung der Haushaltsaufnahme geführt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. September 1997 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. Oktober 1996 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das Berufungsurteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen reichten nicht für die Beantwortung der Frage aus, ob dem Kläger die begehrte Waisenrente zusteht.
Der Anspruch des Klägers auf Waisenrente richtet sich gemäß § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) noch nach den durch Art 6 Nr 24 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) gestrichenen Vorschriften des Vierten Buches Reichsversicherungsordnung (RVO), weil er sich auch auf die Zeit vor dem Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 (vgl Art 85 Abs 1 RRG 1992) bezieht und – angesichts der Antragstellung im November 1990 – innerhalb von drei Monaten nach der Aufhebung des alten Rentenrechts (also bis zum 31. März 1992) geltend gemacht worden ist (vgl dazu Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 3-2200 § 1265 Nr 11).
Nach § 1263 Abs 2 RVO werden Hinterbliebenenrenten nur gewährt, wenn dem Versicherten zur Zeit seines Todes Versichertenrente zustand oder zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (vgl §§ 1249, 1250 RVO) von ihm erfüllt war oder nach § 1252 RVO als erfüllt gilt. Dazu hat das LSG zwar keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen; im Hinblick darauf, daß aus der Versicherung des Versicherten bereits an die Mutter und den Stiefbruder des Klägers Hinterbliebenenrenten gewährt werden, ist jedoch davon auszugehen, daß die Voraussetzungen dieser Bestimmung gegeben sind.
Gemäß § 1267 Abs 1 Satz 1 RVO erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Waisenrente. Als Kinder gelten dabei ua auch die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommenen Stiefkinder des Verstorbenen (vgl § 1267 Abs 1a RVO). Als leibliches Kind der Ehefrau des Versicherten war der Kläger dessen Stiefkind (vgl dazu BSG SozR Nr 9 zu § 1262 RVO). Fraglich ist allein, ob der Kläger „in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen” war. Dies vermag der Senat mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen nicht zu beurteilen.
Das BSG hat das Tatbestandsmerkmal der Haushaltsaufnahme im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen Formulierungen umschrieben (vgl zB BSGE 12, 288 = SozR Nr 7 zu § 1258 RVO aF; BSGE 13, 265 = SozR Nr 4 zu § 2 KGG; BSGE 20, 26 = SozR Nr 8 zu § 1262 RVO; BSGE 20, 91 = SozR Nr 10 zu § 2 KGG; BSGE 25, 109 = SozR Nr 14 zu § 2 KGG; BSGE 29, 294 = SozR Nr 20 zu § 1262 RVO, BSGE SozR Nr 43 zu § 1267 RVO; BSGE 33, 105 = SozR Nr 45 zu § 1267 RVO; BSG SozR Nrn 30, 31 zu § 1262 RVO; BSGE 45, 67 = SozR 2200 § 1262 Nr 11; BSG SozR 5870 § 2 Nr 16). Nach seiner neueren Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, kommt es insoweit auf das Bestehen einer Familiengemeinschaft an, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstellt (vgl BSG SozR 2200 § 1262 Nr 14; BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 22). Diese drei Arten von Kriterien stehen zwar in enger Beziehung zueinander und mögen sich auch teilweise überschneiden, keines davon darf jedoch gänzlich fehlen.
Abzustellen ist insoweit – ähnlich wie bei der Geschiedenenwitwenrente nach § 1265 RVO – auf den letzten Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (vgl BSG SozR Nr 43 zu § 1267 RVO). Demnach kann eine bis Juni 1990 vorhandene Haushaltsaufnahme des Klägers beim Versicherten – wie das LSG im Ergebnis zu Recht angenommen hat – nicht allein aufgrund der Beschlüsse des AG vom 21. Juni 1990 und des LG vom 1. Oktober 1990 entfallen sein. Zwar ist dadurch offenbar der Kontakt zwischen dem Versicherten und dem Kläger gänzlich abgeschnitten worden, dabei handelte es sich jedoch um eine im Wege der einstweiligen Anordnung getroffene, letztlich bis April 1991 befristete Maßnahme, die schon ihrer Art nach nicht geeignet war, in der Zeit bis zum Tode des Versicherten einen im Rahmen des § 1267 Abs 1a RVO relevanten Dauerzustand zu schaffen. Entsprechendes gilt für etwaige aus der vorläufigen Übertragung der Personensorge abgeleitete Maßnahmen des Jugendamtes. Auf die vom LSG erörterte Frage, ob die vormundschaftsgerichtlichen Entscheidungen sachlich gerechtfertigt waren, kommt es deshalb nach Auffassung des erkennenden Senats ebensowenig an wie auf die Entwicklungen in der Zeit nach dem Tode des Versicherten (vgl dazu BSG SozR Nr 43 zu § 1267 RVO).
Ansonsten erlauben es die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen gegenwärtig noch nicht, die Auffassung des LSG zu bestätigen, daß eine Haushaltsaufnahme iS von § 1267 Abs 1a RVO vorgelegen habe. Insbesondere läßt sich nicht sagen, ob im maßgeblichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten zwischen diesem und dem Kläger in immaterieller, materieller und örtlicher Hinsicht eine Familiengemeinschaft bestanden hat.
Als immaterielles Merkmal ist zunächst ein elternähnliches, auf Dauer berechnetes Band (vgl zB BSGE 20, 91, 94 = SozR Nr 10 zu § 2 KGG), dh ein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienähnlicher Art (vgl zB BSGE 29, 292 = SozR Nr 19 zu § 1263 RVO), erforderlich. Der Versicherte muß dem Kläger seine Fürsorge in ähnlicher Weise zugewandt haben, wie er dies seinem leiblichen Sohn M. … gegenüber getan hat. Nähere Feststellungen zur Art der Beziehungen zwischen dem Kläger und dem Versicherten hat das LSG nicht getroffen. Es hat zwar ausgeführt, daß der Kläger unstreitig in den gemeinsamen Haushalt der Kindesmutter und des Versicherten aufgenommen und daß auch durch die im Juni 1987 erfolgte Heimunterbringung des Klägers das zwischen ihm und dem Versicherten begründete familienhafte Band nicht aufgehoben worden sei. Damit werden jedoch nur allgemeine, unter Einbeziehung rechtlicher Wertungen zustande gekommene Schlußfolgerungen wiedergegeben, hingegen nicht die tatsächlichen Verhältnisse konkret beschrieben. Wenn auch keine deutlichen Anhaltspunkte für ein Fehlen des immateriellen Tatbestandsmerkmals ersichtlich sind, vermag der erkennende Senat diesen Punkt somit nicht sicher zu beurteilen.
Zur Frage einer materiellen Unterhaltsgewährung des Versicherten an den Kläger fehlt es ebenfalls an berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen. Insoweit kommen Geld-, Sach- und Betreuungsleistungen in Betracht. Barunterhalt und Naturalunterhalt sind grundsätzlich gleich zu bewerten (vgl BSGE 63, 79, 80 f = SozR 2200 § 1267 Nr 35). Da der Kläger ab Juni 1987 auf Kosten des Jugendamtes in einem Heim untergebracht war, ist unklar, ob der Versicherte ihm in diesem Sinne überhaupt einen nennenswerten materiellen Unterhalt geleistet hat. Im Hinblick darauf hält es der erkennende Senat gegenwärtig nicht für geboten, darüber zu befinden, ob zur Begründung eines Waisenrentenanspruchs in jedem Fall (insbesondere auch bei Heimunterbringung eines behinderten Kindes) ein Mindestmaß von einem Viertel des insgesamt für das Kind aufzubringenden Betreuungs- oder Barunterhalts zu fordern ist (so BSGE 63, 79, 82 f = SozR 2200 § 1267 Nr 35; BSG SozR 3-2200 § 1267 Nr 2) oder nicht (so die Rechtsprechung zum Kindergeldrecht; vgl BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 22; BSG, Urteil vom 19. November 1997 – 14/10 RKg 18/96 –, in FEVS 48, 188).
Schließlich läßt sich auch das örtliche Merkmal einer Familiengemeinschaft mit dem Versicherten mangels hinreichender Feststellungen des LSG zu den Lebensumständen des Klägers nicht ohne weiteres annehmen. Danach muß in dem letzten Dauerzeitraum vor dem 4. November 1990 eine Familienwohnung als Mittelpunkt der gemeinschaftlichen Lebensinteressen des Versicherten und des Klägers bestanden haben (vgl zB BSG SozR 2200 § 1262 Nr 14).
Sollten die materiellen und immateriellen Merkmale für eine Familiengemeinschaft zwischen dem Versicherten und dem Kläger bejaht werden können, so wäre bei natürlicher Betrachtungsweise mit dem LSG davon auszugehen, daß eine Haushaltsaufnahme des Klägers iS von § 1267 Abs 1a RVO jedenfalls so lange vorlag, wie er bei dem Versicherten und seiner Mutter wohnte. Ob dieser Zustand dann durch die Heimunterbringung des Klägers ab Juni 1987 beendet worden ist, hängt zunächst davon ab, ob der auswärtige Aufenthalt nur einen vorübergehenden Charakter hatte oder auf Dauer angelegt war. Eine bloß vorübergehende räumliche Trennung wäre von vornherein grundsätzlich unschädlich (vgl zB BSGE 39, 207 = SozR 2200 § 1267 Nr 10). Hier spricht allerdings schon der Umstand, daß von Juni 1987 jedenfalls bis Juni 1990 offenbar mehrere Jahre ohne wesentliche örtliche Veränderungen verstrichen sind, eher für eine dauerhafte Situation. In diesem Fall darf der Versicherte nicht – wie etwa bei einer endgültig angeordneten Fürsorgeerziehung (vgl BSGE 29, 294 = SozR Nr 20 zu § 1262 RVO; BSG SozEntsch 5 § 1262 Nr 14; BSGE 33, 105 = SozR Nr 45 zu § 1267 RVO) – von der Betreuung und Erziehung des Klägers ausgeschlossen gewesen sein oder diese von sich aus abgebrochen haben. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob ein hinreichender Bezug des Klägers zur bisherigen Familienwohnung fortbestanden hat. Indizien dafür wären insbesondere das dortige Vorhandensein von Gegenständen (zB Möbel, Kleidung, Spielzeug), die für die Benutzung durch den Kläger bestimmt waren, sowie dortige Aufenthalte des Klägers in zeitlich bedeutsamem Umfang (vgl dazu BSG SozR 3-5870 § 2 NR 22). Solchen Gegebenheiten ist das LSG nicht nachgegangen; vielmehr hat es für die Zeit der Heimunterbringung lediglich auf das Fortbestehen eines familienhaften Bandes abgestellt.
Da nach alledem zur Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Haushaltsaufnahme weitere Ermittlungen erforderlich sind, die das BSG im Revisionsverfahren nicht selbst nachholen kann (vgl § 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), ist das Berufungsurteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
NJWE-FER 1999, 46 |
FEVS 1999, 427 |
NZS 1999, 91 |
SozR 3-2200 § 1267, Nr.6 |
SozSi 1999, 191 |