Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlungsversicherung. Rechtswidrigkeit von verschiedenen Ersattungssätzen im U-1-Verfahren
Leitsatz (amtlich)
- Krankenkassen sind nicht befugt, neben oder an Stelle des nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz vorgesehenen gesetzlichen Erstattungssatzes von 80 vH durch Satzung mehrere verschiedene Erstattungssätze unterhalb von 80 vH festzusetzen, zwischen denen der Arbeitgeber wählen kann.
- Ein durch Satzung auf 10 vH festgesetzter Erstattungssatz verfehlt den Ausgleichszweck des Aufwendungsausgleichsgesetzes.
Normenkette
AufAG § 1 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 9 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2 Nr. 1, § 10; LFZG § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1; RVO § 384; SGB V § 194 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. März 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob das Bundesversicherungsamt (BVA) der beklagten Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, eine Satzungsbestimmung der Klägerin zu genehmigen.
Die Klägerin ist eine bundesweit auftretende Ersatzkasse. Sie wurde erstmals mit Inkrafttreten des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (Aufwendungsausgleichsgesetz ≪AAG≫ = Art 1 des Gesetzes über den Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 22. Dezember 2005, BGBl I 3686) für die Durchführung des Erstattungs- und Umlageverfahrens nach dem AAG zuständig. Mit Inkrafttreten des AAG am 1. Januar 2006 trat das Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) außer Kraft. Nach § 1 Abs 1 AAG erstatten die Krankenkassen den Arbeitgebern, die in der Regel nicht mehr als 30 Arbeitnehmer beschäftigen, 80 vH des für den gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraum an Arbeitnehmer fortgezahlten Arbeitsentgelts und hierauf entfallender Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung (sog U1-Verfahren). Für Aufwendungen nach dem Mutterschutzgesetz ist zwingend eine Erstattung in Höhe von 100 vH vorgesehen (sog U2-Verfahren, vgl § 1 Abs 2 AAG). Nach § 9 Abs 2 Nr 1 AAG kann die Krankenkasse durch Satzung die Höhe der Erstattung für Aufwendungen für Entgeltfortzahlung nach § 1 Abs 1 AAG beschränken. Die Höhe der Umlagesätze für das U1- und das U2-Verfahren sind durch die Satzung der Krankenkasse festzusetzen (§ 9 Abs 1 Nr 1 AAG).
Die Klägerin beschloss zur Umsetzung des AAG am 1./2. Dezember 2005 einen Nachtrag zu ihrer Satzung. Danach beträgt ab 1. Januar 2006 die Höhe der Erstattungen im Krankheitsfall 50 vH des für Arbeitnehmer fortgezahlten Bruttoarbeitsentgelts (sog allgemeine Umlage). Auf Antrag des Arbeitgebers wird der Erstattungssatz auf 80 vH erhöht (sog erhöhte Umlage) oder auf 10 vH ermäßigt (sog ermäßigte Umlage). Der Arbeitgeber ist an seinen Antrag für ein Kalenderjahr gebunden. Der Umlagesatz beträgt 1,5 vH der Bemessungsgrundlage bei der allgemeinen, 2,8 vH bei der erhöhten und 0,3 vH bei der ermäßigten Umlage. Die Klägerin legte den Satzungsnachtrag dem BVA zur Genehmigung vor. Dieses genehmigte den Nachtrag bezüglich der Bestimmungen über den allgemeinen und den erhöhten Erstattungssatz (50 vH und 80 vH) sowie die insoweit festgesetzten Umlagesätze. Hingegen lehnte es eine Genehmigung des Nachtrags ab, soweit dieser einen auf 10 vH ermäßigten Erstattungssatz und einen korrespondierenden Umlagesatz von 0,3 vH vorsieht. Das BVA führte aus, der ermäßigte Erstattungssatz von 10 vH sei nicht genehmigungsfähig, da dieser auf eine Umgehung der gesetzlichen Umsetzungspflicht des Umlageverfahrens hinauslaufe. Damit sei der Umlagesatz von 0,3 vH nicht genehmigungsfähig (Bescheid vom 4. Januar 2006).
Auf die am 13. Januar 2006 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte unter sinngemäßer Abänderung des Bescheides vom 4. Januar 2006 verpflichtet, den vom Verwaltungsrat der Klägerin beschlossenen Satzungsnachtrag auch hinsichtlich des auf 10 vH ermäßigten Erstattungssatzes und den insoweit auf 0,3 vH festgesetzten Umlagesatz zu genehmigen. Der Satzungsnachtrag sei verfahrensmäßig ordnungsgemäß zu Stande gekommen. Die vom BVA nicht genehmigten Bestimmungen seien rechtmäßig. § 1 Abs 1 AAG lege zwar mit 80 vH der Entgeltfortzahlung eine Obergrenze für die dem Arbeitgeber zu gewährende Erstattung, jedoch keine Untergrenze fest. Detailregelungen bzgl einer Untergrenze seien dem Kompetenzbereich der Selbstverwaltung überlassen. Eine Erstattung von 10 vH sei eine “moderate” Erstattung, die ein risikofreudiger Unternehmer wählen könne. Solange überhaupt eine Erstattung der Aufwendungen und keine “Null-Erstattung” sowie eine Zahlung der Umlage erfolge, sei der Zweck des Gesetzes beachtet (Urteil vom 28. März 2006).
Die Bundesrepublik Deutschland – vertreten durch das BVA – (Beklagte) hat die zugelassene Sprungrevision eingelegt. Bei einem Erstattungssatz von 10 vH wären Kleinunternehmer oft nicht mehr in der Lage, den Ausfall mehrerer Mitarbeiter durch andere Mitarbeiter zu kompensieren oder Ersatzkräfte zu engagieren, da sie den erkrankten Mitarbeitern gegenüber Entgeltfortzahlung leisten müssten. Eine unzureichende Absicherung des Entgeltfortzahlungsrisikos führe zu einem erheblich erhöhten Insolvenzrisiko für Kleinbetriebe.
Die beklagte Bundesrepublik Deutschland – BVA – beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. März 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das Urteil des SG für zutreffend. Durch das AAG seien erstmals auch die Angestellten-Betriebe in das Umlageverfahren einbezogen worden. Jedoch hätten viele Kleinunternehmen und Selbstständige wie Anwaltskanzleien, Steuerberaterbüros, Werbeunternehmen usw mit wenigen Angestellten von ihrer Risikosituation her “überhaupt kein Absicherungsbedürfnis”. Für diese Betriebe sei das “10-vH-Angebot” gedacht. Sei der Schutzbedarf höher, könne der Regelsatz von 50 vH oder gar die Versicherung mit 80 vH als gesetzlichem Höchstsatz gewählt werden. Im Übrigen seien von landesrechtlichen Aufsichtsbehörden ebenfalls schon Erstattungsbeträge von 10 vH genehmigt worden.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Änderung des angefochtenen Genehmigungsbescheides verpflichtet, den streitigen Satzungsnachtrag zu genehmigen. Der von der Klägerin in der Entgeltfortzahlungsversicherung nach dem AAG satzungsrechtlich auf 10 vH ermäßigte Erstattungssatz war schon deshalb nicht genehmigungsfähig, weil die Klägerin neben dem gesetzlich vorgesehenen Erstattungssatz in ihrer Satzung zwei weitere Erstattungssätze unterhalb von 80 vH festgesetzt hat (dazu unter 2.). Zudem verfehlt der auf 10 vH festgesetzte Erstattungssatz den Zweck des § 1 Abs 1 AAG (dazu unter 3.).
1. Der Senat kann offen lassen, ob es sich bei der Klage um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) oder um eine Aufsichtsklage (§ 54 Abs 3 SGG) handelt. Auch mit der Aufsichtsklage kann nicht nur die Aufhebung des Versagungsbescheides der Beklagten, sondern auch die Vornahme einer begünstigenden Aufsichtsanordnung, nämlich die Erteilung der beantragten Genehmigung begehrt werden, wenn die Aufsichtsbehörde diese abgelehnt hat und der Versicherungsträger geltend macht, dass er auf Vornahme dieses Aktes einen Rechtsanspruch habe (BSGE 69, 72, 73 = SozR 3-2500 § 241 Nr 1 mwN). Dies ist hier der Fall.
2. Das BVA hat die Genehmigung des streitigen Satzungsnachtrags im Ergebnis zu Recht versagt.
Der Satzungsnachtrag betrifft eine auf der Regelungsermächtigung in § 9 AAG beruhende Satzungsbestimmung. Das Erfordernis der Genehmigung des Nachtrags ergibt sich aus § 10 AAG iVm der für Satzungen im Krankenversicherungsbereich geltenden Vorschrift des § 195 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Zuständige (Aufsichts-)Behörde für die Genehmigung der Satzung der bundesweit auftretenden Klägerin ist das BVA (§ 90 Abs 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch).
Der Satzungsnachtrag der Klägerin ist nicht genehmigungsfähig. Zwar ist der Nachtrag – worüber kein Streit besteht – verfahrensmäßig ordnungsgemäß zu Stande gekommen. Er enthält jedoch Satzungsbestimmungen, die den Aufgaben der Krankenkassen im Zuständigkeitsbereich des AAG widersprechen (vgl § 194 Abs 1 SGB V iVm § 1 Abs 1 AAG und §§ 9, 10 AAG). Im Ausgleichs- und Umlageverfahren für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall können die Krankenkassen an Stelle des gesetzlich vorgesehen Erstattungssatzes von 80 vH satzungsrechtlich einen, aber auch nur einen unter 80 vH liegenden, für sämtliche am Umlageverfahren U1 teilnehmenden Arbeitgeber gleichermaßen geltenden Erstattungssatz festsetzen. Hingegen sind die Krankenkassen nicht ermächtigt, neben oder an Stelle des gesetzlichen Erstattungssatzes mehrere verschiedene Erstattungs-vH-Sätze unterhalb von 80 vH festzusetzen.
Der vom Gesetz vorgesehene Erstattungssatz beträgt 80 vH “des für den in § 3 Abs 1 und 2 und den in § 9 Abs 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes bezeichneten Zeitraum an Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen fortgezahlten Arbeitsentgelts” (§ 1 Abs 1 Nr 1 AAG) sowie der auf dieses Arbeitsentgelt entfallenden, in § 1 Abs 1 Nr 2 AAG näher definierten Arbeitgeber-Abgaben. Hierbei bleibt es, soweit die Krankenkasse nicht durch Satzung eine abweichende Regelung getroffen hat. § 9 Abs 2 Nr 1 AAG ermächtigt die Krankenkassen dazu, dass sie durch ihre Satzung “die Höhe der Erstattung nach § 1 Abs 1 beschränken”. Durch eine entsprechende Satzungsregelung können Krankenkassen dem Arbeitgeber somit das von ihm fortgezahlte Arbeitsentgelt alternativ in Höhe der gesetzlich vorgesehen 80 vH des Arbeitsentgelts nach Maßgabe eines darunter liegenden vH-Satzes erstatten. Entgegen der Ansicht sowohl der Klägerin als auch des BVA lässt es § 9 Abs 2 Nr 1 AAG jedoch nicht zu, neben dem gesetzlich vorgesehenen Erstattungssatz von 80 vH (§ 1 Abs 1 AAG) satzungsrechtlich weitere Begrenzungen vorzunehmen, um dadurch kumulativ zum gesetzlichen Erstattungssatz von 80 vH eine oder mehrere weitere satzungsrechtliche “Erstattungsstufen” unterhalb von 80 vH einzurichten, wie die Klägerin dies mit ihren Stufen von 80 vH, 50 vH und 10 vH vorhatte. § 9 Abs 2 Nr 1 AAG ermächtigt auch nicht dazu, alternativ zum gesetzlichen Erstattungssatz von 80 vH mehrere satzungsrechtliche “Erstattungsstufen” unterhalb von 80 vH einzurichten.
Die Zulässigkeit nur eines (einzigen) satzungsrechtlichen Erstattungssatzes unterhalb von 80 vH ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit schon aus dem Wortlaut des § 9 Abs 2 Nr 1 AAG. Danach kann die Satzung “die Höhe der Erstattung nach § 1 Abs 1 beschränken”. Hat eine Krankenkasse von dieser Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, muss der maßgebliche vH-Satz für die Erstattung anschließend unterhalb von 80 vH liegen, weil andernfalls eine Beschränkung nicht stattgefunden hat. An einer Beschränkung fehlt es jedoch, wenn es – wie im Falle der Klägerin – auch nach einem entsprechenden Satzungsbeschluss nach § 9 Abs 2 Nr 1 AAG zumindest wahlweise beim Erstattungssatz von 80 vH verbleibt. Das Gesetz spricht im Übrigen auch nicht davon, dass “die Höhe der Erstattung nach § 1 Abs 1” in mehreren Stufen beschränkt werden darf. Hätte es der Gesetzgeber zulassen wollen, dass kumulativ neben oder alternativ zum gesetzlich vorgesehen 80-vH-Satz des § 1 Abs 1 AAG weitere, niedrigere satzungsrechtlich vH-Sätze beschlossen werden können, so wäre dies klarer zum Ausdruck gebracht worden. Er hat dies jedoch weder bei § 9 Abs 2 Nr 1 AAG noch bei der annähernd wortgleichen Vorgängervorschrift des § 16 Abs 2 Nr 1 LFZG getan.
Der Wortlaut des § 9 Abs 1 Nr 1 AAG steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift muss die Satzung Bestimmungen über die “Höhe der Umlagesätze” enthalten (vgl wortgleich § 16 Abs 1 Nr 1 LFZG). Soweit § 9 Abs 1 Nr 1 AAG von “der Umlagesätze” im Plural spricht, sind diejenigen des U1-Umlageverfahrens sowie des U2-Umlageverfahrens gemeint, sodass jede Krankenkassensatzung insoweit zwei Umlagesätze enthalten muss, aber auch nicht mehr enthalten darf (vgl Becher, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 3. Aufl 1994, S 98 unter 3.9.1; aA Müller/Berenz, Entgeltfortzahlungsgesetz, 1997, § 16 RdNr 2, die im Hinblick auf möglicherweise unterschiedliche Höhe der Entgeltfortzahlung für unterschiedliche Entgeltfortzahlungssätze und Erstattungsquoten auch verschiedene Umlagesätze zulassen wollen; Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Aufl 1979, § 16 RdNr 2 unter Berufung auf die nicht ins SGB V übernommene Regelung des § 384 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫; ähnlich Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, Entgeltfortzahlungsgesetz, 5. Aufl 2000, § 16 RdNr 3).
Vor allem Sinn und Zweck der Krankengeldversicherung des AAG gebieten es, die Höhe des Umlagesatzes für alle am U1-Verfahren teilnehmenden Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die konkrete Art und Situation des Betriebes oder das jeweilige Erstattungsrisiko einheitlich festzusetzen (wie hier Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz, 5. Aufl 2005, § 16 RdNr 10; Knorr/Krasney, Engeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Stand März 2006, § 9 AAG RdNr 7; Worzalla/Süllwald, Kommentar zum Entgeltfortzahlungsgesetz, 2. Aufl 1998, § 16 RdNr 3). Eine Mehrzahl von Erstattungssätzen von weniger als 80 vH, die kumulativ neben oder alternativ zum gesetzlich vorgesehen 80-vH-Satz des § 1 Abs 1 AAG hinzutreten, widerspräche den Grundlagen der Entgeltfortzahlungsversicherung der Arbeitgeber. Das Ausgleichs- und Umlageverfahren für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dient dazu, die finanzielle Belastung des individuell betroffenen Arbeitgebers auszugleichen, der neben dem zeitweiligen Ausfall der Arbeitskraft auch noch Entgeltfortzahlung leisten muss und daher häufig gehindert sein wird, eine Ersatzkraft einzustellen (so BVerfGE 109, 64, 94). Das Ausgleichs- und Umlageverfahren gehört zwar nicht zur beitragsfinanzierten Sozialversicherung. Es ist jedoch ebenfalls als Pflichtversicherung bestimmter Arbeitgeber (“Kleinbetriebe”) ausgestaltet, die der Gesetzgeber typischerweise als schutzbedürftig angesehen hat (vgl dazu Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 27. September 2005 – B 1 KR 31/03 R – BSGE 95, 119 = SozR 4-7860 § 10 Nr 2 RdNr 20 ff). Die finanziellen Mittel werden durch das Umlageverfahren U1 nach ähnlichen Grundsätzen finanziert wie Sozialleistungen iS von § 11 Erstes Buch Sozialgesetzbuch. Der erkennende Senat hat daher zB im Sozialgerichtsprozess eine kostenrechtliche Privilegierung der am U1-Verfahren teilnehmenden Arbeitgeber angenommen und sie, soweit um die Erstattung ihrer Aufwendung für Entgeltfortzahlung gestritten wird, wie versicherte Empfänger von Sozialleistungen als Leistungsempfänger iS des § 183 Satz 1 SGG angesehen (BSG, Beschluss vom 20. Dezember 2005 – B 1 KR 5/05 B – SozR 4-1500 § 183 Nr 3). Der Senat sieht die am Ausgleichs- und Umlageverfahren für die Entgeltfortzahlung teilnehmenden Arbeitgeber als Solidargemeinschaft an (vgl zB BSG, Urteil vom 25. September 2000 – B 1 KR 2/00 R – SozR 3-7860 § 11 Nr 1 S 5) und vertritt die Auffassung, dass auch im LFZG (jetzt AAG) der Gedanke des sozialen Ausgleichs zum Ausdruck kommt (BSG, Urteil vom 10. Mai 2005 – B 1 KR 22/03 R – SozR 4-7860 § 10 Nr 1 RdNr 11; ähnlich bereits BVerfGE 48, 227, 235 f = SozR 7860 § 14 Nr 2). Hieran ist auch unter Geltung des AAG festzuhalten. Das AAG hat gegenüber dem LFZG die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten in der Entgeltfortzahlungsversicherung aufgehoben und nunmehr für den Vollzug des AAG auch die Ersatzkassen – wie die Klägerin – für zuständig erklärt. Indessen ist es hinsichtlich der Struktur der Entgeltfortzahlungsversicherung bei den schon unter dem LFZG maßgeblichen Grundsätzen geblieben bzw ist der Gedanke des solidarischen Ausgleichs durch die Einbeziehung der Arbeitgeber von Angestellten in das Ausgleichsverfahren sogar noch verstärkt worden.
Die Bildung stabiler Solidargemeinschaften und der Gedanke des sozialen Ausgleichs verbieten es den Krankenkassen auch unter Geltung des AAG, durch ihre Satzung mehrere Erstattungsklassen und Umlageklassen zu schaffen und es letztlich der Wahl des Arbeitgebers zu überlassen, in welcher Klasse er sich versichern will. Die Situation ist insoweit der Beitragssatzgestaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar, die hinsichtlich der denkbaren Beitragssätze durch die §§ 241 bis 243 SGB V abschließend geregelt wird. Auch dazu hat es das BSG als unzulässig angesehen, dass die Krankenkassen neben den gesetzlich vorgesehenen Beitragssätzen durch Satzung weitere Beitragssätze einführen. Es hat insoweit ausgeführt, dass es Aufgabe der Solidargemeinschaft sei, die bei den verschiedenen Versicherten bestehenden ungleichen Risiken auszugleichen, wobei der Ausgleich der gesamten Solidargemeinschaft obliege und nach sozialen Gesichtspunkten zu erfolgen habe (BSG SozR 3-2500 § 243 Nr 2 S 4 mwN). Zwar ist der Grundsatz des sozialen Ausgleichs (Solidaritätsprinzip) im Bereich der Entgeltfortzahlungsversicherung weniger stark ausgeprägt als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Jedoch liefe es dem auch mit dem AAG verfolgten solidarischen Ausgleich unter den pflichtversicherten Kleinunternehmern zuwider, wenn die Umlage nicht einheitlich, sondern nach Risikogruppen gestaffelt werden könnte und es möglich wäre, neben oder unterhalb des Erstattungssatzes von 80 vH mehrere Erstattungsklassen mit verschiedenen Erstattungssätzen einzurichten. Arbeitgeber, die Arbeitnehmer mit einem in ihrer Berufsgruppe typischerweise hohen Risiko krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit beschäftigen, würden interessengerecht regelmäßig eine Erstattungsklasse mit einem hohen Erstattungssatz wählen (zB Baugewerbe), während Arbeitgeber, deren Arbeitnehmer ein in ihrer Berufsgruppe typischerweise niedriges Risiko krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aufweisen, regelmäßig eine Erstattungsklasse mit einem niedrigen Erstattungssatz und entsprechend niedrigen Umlagesätzen wählen dürften. Da die Aufwendungen innerhalb der jeweiligen Klassen jeweils von den in dieser Klasse versicherten Arbeitgebern aufgebracht werden müssen, ergäbe sich eine relativ große Spreizung der Umlagebeiträge zwischen den “Beitragsklassen mit hohem Arbeitsunfähigkeitsrisiko” und solchen mit “niedrigem” Arbeitsunfähigkeitsrisiko. Eine vergleichbare Beitragsabstufung nach Risikogruppen war für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bis Ende 1988 satzungsrechtlich zulässig. Nach § 384 RVO konnte die Satzung die Höhe der Beiträge nach Erwerbszweigen und Berufsgruppen der Versicherten abstufen und eine höhere Bemessung der Beitragsteile des Arbeitgebers für einzelne Betriebe zulassen, soweit die Erkrankungsgefahr dort erheblich höher war. Eine entsprechende Regelung wurde jedoch weder in das SGB V übernommen noch war eine vergleichbare Regelung mit dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung vom 27. Juli 1969 (BGBl I 946) ins LFZG übernommen worden. Die jetzigen Satzungsbestimmungen der Klägerin laufen der Sache nach auf die unzulässige Wiedereinführung einer dem § 384 RVO vergleichbaren Regelung hinaus.
Keine rechtliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass im Wirtschaftsleben möglicherweise der Wunsch nach derart gestaffelten Erstattungsklassen besteht, insbesondere in Branchen, bei denen das Entgeltfortzahlungsrisiko typischerweise als gering anzusehen ist. Die Klägerin möchte diesem Bedürfnis vor allem durch ihren Erstattungssatz von 10 vH und einem Umlagesatz von 0,3 vH entgegenkommen und führt hierzu sinngemäß aus, diese Arbeitgeber benötigten die Entgeltfortzahlungsversicherung im Grunde nicht. Dabei berücksichtigt sie indessen nicht hinreichend, dass einem gesetzlich angeordneten Versicherungszwang nicht entgegengehalten werden kann, der Versicherungspflichtige verfüge über ausreichende eigene oder fremde Geldquellen, um Notfälle ohne Rückgriff auf Versicherungsansprüche überwinden zu können (vgl BSG, Urteile vom 27. September 2005 – B 1 KR 31/03 R – BSGE 95, 119 = SozR 4-7860 § 10 Nr 2 RdNr 19; – B 1 KR 1/04 R – USK 2005-29 S 235 = juris-Dokument KSRE101081518 RdNr 21; BSGE 36, 16, 21 = SozR Nr 1 zu § 10 LFZG; BSG, SozR 3-2400 § 28p Nr 1 S 5). Der solidarische Ausgleich beruht gerade darauf, dass allein an das generelle Risiko angeknüpft wird und die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherungspflichtigen für den Versicherungszwang im Übrigen keine Rolle spielen, sie gleichsam “wegtypisiert” werden. Nichts anderes kann im Bereich des AAG für die Arbeitgeber (Kleinunternehmer) gelten. Auch insoweit schließt es der Zweck des AAG aus, einen solidarischen Ausgleich zu gewährleisten, wenn der Arbeitgeber zwischen mehreren Erstattungssätzen nach Belieben wählen könnte.
3. Der beantragte Satzungsnachtrag war zudem aus einem weiteren – tragenden – Grund nicht genehmigungsfähig. Eine Begrenzung des Erstattungssatzes auf einen vH-Satz unterhalb von 80 vH läuft dem Gesetzeszweck nach Ansicht des erkennenden Senats nicht erst zuwider, wenn die Erstattungen überhaupt nicht mehr geleistet werden (zum Verbot einer “Reduzierung auf Null”, vgl Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz, 5. Aufl 2005, § 16 RdNr 16; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, Entgeltfortzahlungsgesetz, 5. Aufl 2000, § 16 RdNr 10; Boecken in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd 1, 2. Aufl 2000, § 87 RdNr 78; Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Aufl 1979, § 16 RdNr 10; Berning, Die Lohnfortzahlungsversicherung, 2. Aufl 2003, S 70 unter 7.4.1) oder wenn die Erstattungsleistungen nicht mehr in einem “vernünftigen Verhältnis” zu dem bei der Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen erforderlichen Verwaltungsaufwand stehen (so etwa Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Stand März 2006, § 9 AAG RdNr 17). Der satzungsrechtlich bestimmte Erstattungssatz steht bereits dann wegen Verfehlung des Gesetzeszweckes nicht mehr mit objektivem Recht in Einklang, wenn der Arbeitgeber bei Eintritt des Entgeltfortzahlungsrisikos keine nennenswerte Entlastung erfährt. Der Senat kann hier offen lassen, bei welchem unter 80 vH liegenden satzungsrechtlichen Erstattungssatz typischerweise der vom AAG verfolgte Gesetzeszweck nicht mehr erreicht werden kann; er neigt dazu, dass der Mindesterstattungssatz bei 50 vH liegen sollte. Bei einem generellen Erstattungssatz von 10 vH jedenfalls erscheint die Erreichung des Gesetzeszweckes des AAG ausgeschlossen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass es die Rechtssicherheit fördern würde, wenn der Gesetzgeber selbst einen Mindesterstattungssatz festlegen würde, der satzungsrechtlich nicht mehr unterschritten werden darf.
4. Der erkennende Senat verkennt nicht, dass die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit über diesen hinaus erhebliche Breitenwirkung hat. Sowohl die Klägerin wie auch das BVA haben berichtet und durch entsprechende Unterlagen belegt, dass zahlreiche Krankenkassen kumulativ oder alternativ zur gesetzlichen Begrenzung auf 80 vH unterhalb dieser Grenze Erstattungsregelungen mit unterschiedlichen vH-Sätzen schon unter Geltung des mit § 9 Abs 2 Nr 1 AAG übereinstimmenden § 16 Abs 2 Nr 1 LFZG und nunmehr unter Geltung des § 9 Abs 2 Nr 1 AAG beschlossen haben. Diese Bestimmungen sind von den jeweiligen Aufsichtsbehörden auch genehmigt worden. Der Umstand, dass unter Berücksichtigung der vorliegenden Entscheidung Satzungsbestimmungen zahlreicher Kassen gegen das Gesetz verstoßen und damit unwirksam sind, kann den Senat jedoch nicht veranlassen, über die objektiv fehlende Genehmigungsfähigkeit der hier streitigen Satzungsbestimmung hinwegzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
BSGE 2008, 16 |
NJW 2007, 1837 |
KrV 2006, 259 |
LGP 2006, 165 |
NZA-RR 2007, 84 |
NZS 2007, 138 |
NZS 2007, 259 |
SGb 2007, 160 |
RdW 2007, 219 |
AB 2006, 2 |
DPL 2006, 281 |
FuBW 2007, 613 |
SJ 2006, 41 |