Leitsatz (redaktionell)

Der Grundsatz, daß der Versicherte bei einem Mehrpersonenhaushalt den überwiegenden Unterhalt eines Angehörigen (zB des Ehegatten) dann nicht bestritten hat, wenn aus dessen eigenem Beitrag zur gemeinsamen Haushaltskasse und dem Beitrag anderer Familienmitglieder bereits die Hälfte des auf diesen Angehörigen entfallenden Unterhaltsbedarfs gedeckt wird, gilt auch im Krankenversicherungsrecht.

Bei der Beurteilung des überwiegenden Unterhalts ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das Einkommen beider Ehegatten für das Unterhaltsaufwand der Familie bestimmt ist; dies gilt auch, wenn das Einkommen des einen Ehegatten für Anschaffungen verbraucht wird.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 4 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1967 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Krankengeldes und des Hausgeldes für den Kläger: umstritten ist dabei die Frage, ob bei der Berechnung dieser Leistungen auch seine Ehefrau als bisher überwiegend von ihm unterhaltene Angehörige nach § 182 Abs. 4 Satz 2 bzw. § 186 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu berücksichtigen ist.

Der Kläger befand sich vom 9. März bis zum 26. April 1963 in stationärer Behandlung und war weiterhin noch bis zum 23. Juli 1963 arbeitsunfähig krank. Im Monat Januar hatte er netto 527,98 DM und seine halbtägig beschäftigte Ehefrau 351,31 DM verdient; seine 17jährige Tochter erhielt eine Ausbildungsbeihilfe von 70,- DM, während sein 14jähriger Sohn noch die Schule besuchte. Bei der Berechnung der satzungsmäßigen Geldleistungen aus der Krankenversicherung berücksichtigte die Beklagte nur die beiden Kinder. Der Kläger wies darauf hin, daß seine Ehefrau regelmäßig monatlich nur 250,- DM verdient habe und daß dieser Arbeitsverdienst für notwendige Neuanschaffungen bestimmt gewesen und verwandt worden sei; seine Ehefrau sei daher ebenfalls überwiegend von ihm unterhalten worden. Die Beklagte lehnte die dementsprechend begehrte Erhöhung der Geldleistungen ab; der Widerspruch des Klägers war erfolglos.

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat - unter Zulassung der Berufung - die Beklagte antragsgemäß verurteilt, bei der Berechnung des Kranken- und Hausgeldes auch die Ehefrau nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen. Es ist dabei von einem regelmäßigen monatlichen Einkommen der Ehefrau von 250,- DM ausgegangen; der Mehrverdienst im Januar sei auf eine zusätzlich geleistete Urlaubsvertretung zurückzuführen. Der Kläger habe mit seinem Arbeitsverdienst von 527,98 DM sämtliche anderen Familienangehörigen überwiegend unterhalten, da deren eigene Arbeitsverdienste zusammengerechnet diesen Betrag nicht erreicht hätten.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es ist der Ansicht, in einem Fall wie dem vorliegenden könne ein Angehöriger nur dann als überwiegend unterhalten gelten, wenn seine eigenen, vorab voll anzurechnenden Einkünfte nicht ausreichten, seinen Unterhaltsbedarf zu mehr als zur Hälfte zu decken. Hiernach habe der Kläger seine Ehefrau nicht überwiegend unterhalten. Für sie sei ein monatliches Einkommen von jedenfalls 250,- DM zugrunde zu legen. Dieser Betrag reiche für ihren überwiegenden Unterhalt eindeutig aus, da ihr Unterhaltsbedarf keinesfalls höher als mit 499,- DM angesetzt werden könne. Das Gesamteinkommen der Familie habe nämlich nur 847,98 DM betragen; hiervon hätten die Eheleute und die beiden Kinder unterhalten werden müssen. Dieses Ergebnis könne für den Kläger auch nicht günstiger werden, wenn man die Hausarbeit der Familienangehörigen berücksichtige; hierauf brauche daher nicht eingegangen zu werden. Dem Kläger könne auch nicht in seiner Auffassung gefolgt werden, die notwendigen Neuanschaffungen, wegen derer seine Ehefrau die Beschäftigung aufgenommen habe, gehörten nicht zum Unterhalt der Familie. Es bedürfe keiner Prüfung, ob unter bestimmten Umständen von dem Grundsatz der gleichmäßigen Anrechnung der Einkünfte aller Familienmitglieder abzuweichen sei; dringend notwendige Anschaffungen, wie sie der Kläger hier behauptet habe, gehörten bei vernünftiger Betrachtungsweise jedenfalls immer zum Unterhaltsbedarf der Familie. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung materiellen Rechts. Es gehe um die umstrittene Auslegung des Begriffes "überwiegender Unterhalt" in den hier maßgeblichen Vorschriften. Von den sich dabei gegenüberstehenden Theorien führe die sogen. Kopfquotentheorie zu unmöglichen Ergebnissen. Um die Voraussetzungen des überwiegenden Unterhalts zu erfüllen, müsse hiernach in einem Zwei-Personen-Haushalt der eine Ehegatte mehr als das Dreifache, in einem Vier-Personen-Haushalt sogar mehr als das Siebenfache (und so weiter ansteigend) des anderen Ehegatten verdienen; solche Vorstellungen habe der Gesetzgeber aber mit dem Begriff des überwiegenden Unterhalts nie verbunden. Allein die sogen. "Topftheorie" werde dem Gleichberechtigungsprinzip des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) gerecht, sie sei zum Leitbild des neuen Familienrechts geworden. Durch das Hinzukommen von Kindern ändere sich nichts an der Gegenseitigkeit des Unterhalts im Verhältnis unter den Ehegatten. Überwiegender Unterhalt sei demnach gegeben, wenn der Verdienst des einen Ehegatten mehr als die Hälfte des Gesamtverdienstes betrage. Das SG habe also zutreffend der Klage stattgegeben.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 26. Februar 1965 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend erkannt, daß die Ehefrau des Klägers bei der Berechnung der hier streitigen Geldleistungen aus der Krankenversicherung nicht zu berücksichtigen ist. Nach § 182 Abs. 4 Satz 2 RVO erhöht sich das Krankengeld für einen Versicherten mit einem Angehörigen, den er bisher ganz oder überwiegend unterhalten hat, um 4 v.H. und für jeden weiteren solchen Angehörigen um je weitere 3 v.H. des Regellohns. Nach § 186 Abs. 1 Satz 2 RVO beträgt das Hausgeld, wenn der Versicherte bisher einen Angehörigen oder mehrere Angehörige ganz oder überwiegend unterhalten hat, beim Vorhandensein eines Angehörigen 66 2/3 v.H. des Krankengeldes und erhöht sich für jeden weiteren Angehörigen um 10 v.H. des Krankengeldes. Sowohl für die Höhe des Krankengeldes wie des Hausgeldes kommt es daher entscheidend darauf an, ob außer den beiden Kindern des Klägers auch seine mitverdienende Ehefrau von ihm überwiegend unterhalten worden ist. Hierbei kann es nicht zweifelhaft sein, daß als "überwiegend" unterhalten ein Angehöriger zu verstehen ist, den der Versicherte "zu mehr als der Hälfte" unterhalten hat. Die Regelung in den obengenannten Vorschriften entspricht insoweit nach Wortlaut und Sinn der Regelung in § 1241 Abs. 2 Satz 1 RVO (= § 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -, § 40 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -), wonach die Höhe des Übergangsgeldes unter Berücksichtigung der Zahl der von dem Betreuten überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen festgesetzt wird. Gemeinsam ist den drei Vorschriften, daß es auf die Zahl der unterhaltenen Angehörigen ankommt und demgemäß jeweils auf den "Unterhalt eines Familienangehörigen" abgestellt wird, nicht wie beispielsweise in den die Gewährung der Witwerrente betreffenden §§ 593, 1266 RVO auf den "Unterhalt der Familie". Da im übrigen Sinn und Zweck des Übergangsgeldes und der Geldleistungen der Krankenversicherung im wesentlichen die gleichen sind, kann auch die Frage, wann ein Angehöriger als überwiegend unterhalten anzusehen ist, für die genannten Vorschriften nur einheitlich beantwortet werden. Zu § 18 Abs. 2 AVG hat nun der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden, daß ein Ehegatte, der ohne weitere Angehörige mit dem anderen Ehegatten einen gemeinsamen Haushalt führt und sonst keine Angehörigen unterhält, den anderen Ehegatten nicht schon dann überwiegend unterhalten hat, wenn sein Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt größer ist als die Hälfte der Summe der Beiträge beider Ehegatten; sein Beitrag müsse nach Abzug der Hälfte des gemeinsamen Unterhalts größer sein als der Beitrag des anderen Ehegatten (Beschluß vom 21.5.1969 - BSG 29, 225). Das Ausgangsverfahren betraf einen Fall, in dem der Ehemann 609,- und die Ehefrau 336,- DM monatlich verdient hatten. Der Große Senat geht hier davon aus, daß unter solchen Verhältnissen die Beiträge jedes Ehegatten dem Unterhaltsaufwand der "Gemeinschaft" zugedacht seien, in jenem Falle also der Unterhaltsbedarf jedes der beiden Ehegatten - soweit Geldleistungen in Betracht kommen - zu 64 v.H. vom Ehemann und zu 36 v.H. von der Ehefrau herrührte. Daraus folge aber nicht, daß der Ehemann seine Ehefrau zu mehr als 50 v.H. unterhalten habe. Da in einem solchen Falle jeder Ehegatte zugleich Unterstützender und Unterstützter sei, ergebe sich vielmehr die tatsächliche Unterhaltsleistung aus der Differenz zwischen dem Gegebenen und Empfangenen. Wer seinem Ehegatten 64 v.H. des Unterhalts gewähre und von ihm gleichzeitig und gerade wegen seiner Leistung 36 v.H. der gleichen Unterhaltsgröße empfange, unterhalte den anderen nur in der Differenz von 28 v.H., also nicht überwiegend.

Zwar betrifft die vorgenannte Entscheidung ausdrücklich nur die Ehegattenfamilie ohne weitere Angehörige, jedoch hat der Große Senat dazu in den Gründen ausgeführt, die Frage nach der überwiegenden Unterhaltsgewährung an den Ehegatten dürfe nicht nach grundsätzlich verschiedenen Methoden beantwortet werden, je nachdem ob Kinder vorhanden sind oder nicht. Er hat dazu das Beispiel eines Ehepaares mit drei minderjährigen Kindern angeführt; hier sei es evident, daß die mitverdienende Ehefrau nicht eine den Ehemann wirtschaftlich belastende Familienangehörige, sondern eine hocheinzuschätzende Miternährerin der Familie sei. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise, wonach es darauf ankommt, inwiefern sich die Unterhaltssituation der Familienangehörigen durch den Ausfall des Arbeitsverdienstes des Betreuten bzw. Versicherten verschlechtert, entspricht auch allein dem Sinn und Zweck der Regelung sowohl beim Übergangsgeld wie beim Kranken- bzw. Hausgeld.

Inzwischen hat der 12. Senat mit Urteil vom 21. November 1969 - 12 RJ 110/66 - entschieden, daß die Grundsätze dieser Entscheidung des Großen Senats bei der Auslegung des § 1241 Abs. 2 RVO auch für den Fall verdienender Ehegatten mit Kindern anzuwenden sind. Damit ist im Ergebnis die frühere Entscheidung des 4. Senats vom 23. August 1966 (BSG 25, 157) bestätigt worden, wonach in einem Mehrpersonenhaushalt ein Familienangehöriger von dem Betreuten nicht überwiegend unterhalten worden ist, wenn aus seinem Beitrag oder dem Beitrag eines anderen zur gemeinsamen Haushaltsführung wenigstens die Hälfte des auf ihn entfallenden Unterhaltsaufwandes gedeckt ist. Der erkennende Senat hat keine Bedenken, der Auffassung der genannten Senate auch hinsichtlich der hier in Betracht kommenden Berechnungsvorschriften für das Krankengeld und das Hausgeld zu folgen, zumal keine Gründe ersichtlich sind, die hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.

Hiernach ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß die Ehefrau des Klägers, wenn überhaupt, dann jedenfalls nicht überwiegend von ihm unterhalten worden ist. Bei einem Familieneinkommen von rund 850,- DM lag ihr eigenes Einkommen von 250,- DM jedenfalls über der Hälfte ihres eigenen Unterhaltsanteils, auch wenn man die Ausbildungsbeihilfe der Tochter in Höhe von 70,- DM berücksichtigt.

Wenn die Revision es für ungerecht ansieht, daß bei höherer Kinderzahl die Chance der mitverdienenden Ehefrau, selbst bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigt zu werden, absinkt, so verkennt sie, daß dies der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation entspricht, weil ihr eigener Beitrag zum gemeinsamen Bedarf dadurch relativ bedeutsamer wird. Außerdem kommt es dadurch praktisch nicht zu einer effektiven Verringerung der Leistung, weil ja in solchen Fällen die Kinder leistungserhöhend berücksichtigt werden. Im übrigen würde im vorliegenden Fall die Ehefrau des Klägers bei der Leistungsberechnung auch dann nicht berücksichtigt werden können, wenn keine weiteren Angehörigen vorhanden gewesen wären; der Beitrag des Klägers zum gemeinsamen Unterhalt von (in diesem Fall) rund 780,- DM wäre nach Abzug der Hälfte des gemeinsamen Unterhalts mit (530,- DM - 390,- DM =) 140,- DM wesentlich geringer gewesen als ihr Beitrag von 250,- DM.

Das LSG hat auch zu Recht angenommen, daß bei Prüfung der Frage, ob der Kläger seine Ehefrau überwiegend unterhalten hat, deren Einkommen voll zu berücksichtigen ist.

Bei den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie des Klägers kann davon ausgegangen werden, daß das Einkommen jedes Ehegatten für den Unterhaltsaufwand der Familie bestimmt ist. Daran ändert sich auch nichts, wenn rechnerisch ein dem Einkommen eines Ehegatten - hier der Ehefrau - entsprechender Teil des Gesamteinkommens für "notwendige Anschaffungen" verbraucht wird; solche Anschaffungen gehören ebenso zum Unterhaltsbedarf der Familie wie die laufenden Unterhaltskosten. Die Frage, ob und wie die Arbeitsleistung der Familienangehörigen im Haushalt etwa noch zu berücksichtigen wäre, bedarf hier keiner Erörterung, da das Ergebnis für den Kläger keinesfalls günstiger ausfallen könnte.

Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 in Verbindung mit § 153 und § 165 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670257

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