Entscheidungsstichwort (Thema)

Entziehung der Kassenarztzulassung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch wenn der Berufungsausschuß die Vollziehung einer von ihm bestätigten Entziehung der Kassenzulassung angeordnet, ein Gericht die Vollziehung jedoch wieder ausgesetzt hat, sind Änderungen der Sachlage während des Rechtsstreits vom SG und vom LSG zu berücksichtigen (Ergänzung zu BSG 1971-10-19 6 RKa 15/70 = BSGE 33, 161).

2. Zur Frage, ob ein Kassen(zahn)arzt die infolge gröblicher Pflichtverletzung verlorene Eignung zur weiteren Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung während des Rechtsstreits wiedererlangt hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die gröbliche Pflichtverletzung eines Kassen(zahn)arztes rechtfertigt nur dann die Entziehung der Kassenzulassung, wenn die begangenen Verstöße den Kassen(zahn)arzt ungeeignet für die weitere Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung machen.

2. Ein Kassen(zahn)arzt hat dann die Eignung für die weitere Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung verloren, wenn das Vertrauensverhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen so schwer gestört ist, daß diesen die weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden kann.

3. Die weitere Zusammenarbeit wird unzumutbar, wenn der Kassen(zahn)arzt vorsätzlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet hat; ein Wohlverhalten während des Zulassungsstreits hat für die Beurteilung der Eignung weniger Gewicht als das vorwerfbare Verhalten in der Zeit vor der Zulassungsentziehung.

4. Auch Pflichtverletzungen, die sich ihrer Zahl oder ihrem Umfange nach nicht als sehr erheblich darstellen, können "gröblich" iS des § 368a Abs 6 RVO sein, wenn ihnen entsprechende Verfehlungen vorausgegangen sind, und es sich insbesondere um einen "notorischen Wiederholungstäter" handelt.

 

Normenkette

BGB § 242 Fassung: 1896-08-18; RVO § 368a Abs. 6 Fassung: 1955-08-17, § 368b Abs. 5 Fassung: 1955-08-17; SGG § 97 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1955-08-17

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1976 und des Sozialgerichts Speyer - Zweigstelle Mainz - vom 4. Juni 1975 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, der 1904 geboren und seit 1931 als Dentist bzw Zahnarzt tätig ist, wendet sich gegen die - wiederholte - Entziehung seiner Kassenzulassung.

Nachdem er seit 1949 wegen Abrechnung nicht erbrachter Leistungen mehrfach disziplinarisch und berufsgerichtlich gemaßregelt und (1951 befristet, 1960 endgültig) von der Tätigkeit für die Ersatzkassen ausgeschlossen worden war - einer 1954 beantragten Zulassungsentziehung ist er durch Verlegung der Praxis zuvorgekommen -, wurde ihm 1964, wiederum wegen Falschabrechnung, die Kassenzulassung entzogen. Ein Jahr nach Rechtskraft der Entziehung (im November 1968) wurde er wieder zugelassen. Schon im Februar 1971 wurde jedoch auf Antrag von Krankenkassen ein neues Entziehungsverfahren eingeleitet, weil er nicht erbrachte prothetische Leistungen in Höhe von 127,30 DM (Fall W) und 110,30 DM (Fall F) abgerechnet und dafür Krankenkassenzuschüsse von 76,38 und 102,95 DM erhalten habe. Daraufhin entzog ihm der Zulassungsausschuß (ZA) mit Beschluß vom 26. Mai 1971 die Zulassung erneut. Der beklagte Berufungsausschuß (BA) wies seinen Widerspruch zurück und ordnete den Vollzug des Entziehungsbeschlusses an (Beschluß vom 6. November 1971).

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) setzte am 12. Juli 1972 den Vollzug der Entziehung aus, nachdem der Kläger im Falle Wilms ein Geständnis abgelegt hatte; außerdem sollte eine "vorzeitige Terminierung" der Sache nur im Falle eines neuen Fehlverhaltens des Klägers erfolgen. Mit Urteil vom 4. Juni 1975 hob das SG die angefochtene Entziehung auf, weil der Kläger sich während des Verfahrens keine weiteren Verfehlungen habe zuschulden kommen lassen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des beklagten BA zurückgewiesen und ausgeführt: Zwar habe der Kläger im Falle W und in einem weiteren Falle (L), in dem er eine allenfalls vorgenommene Umarbeitung einer Prothese als Neuanfertigung abgerechnet habe, seine Pflichten als Kassenzahnarzt gröblich verletzt; ob dies auch im Falle F zutreffe, könne offenbleiben. Schon die festgestellten Verfehlungen hätten bei ihm als einem "notorischen Wiederholungstäter" die Zulassungsentziehung durchaus gerechtfertigt. Nachdem der Vollzug der Entziehung jedoch seit etwa drei Jahren ausgesetzt sei, könne das Verhalten des Klägers während des Verfahrens nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sich auch in der Regel erst aufgrund eines Verhaltens nach Beendigung des Entziehungsverfahrens abschließend beurteilen lasse, ob der Zahnarzt wieder als Kassenzahnarzt geeignet sei. Hier lägen besondere Umstände vor, die es geboten erscheinen ließen, ausnahmsweise auf eine zusätzliche Bewährung des Klägers nach Abschluß des Verfahrens zu verzichten. Wegen seines Lebensalters würde er von einer Entziehung besonders hart betroffen. Sein Verschulden sei geringfügig, 1968 sei er bereits nach einer Bewährungszeit von knapp einem Jahr wieder zugelassen worden; auch seien die beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) und die beteiligten Krankenkassen offenbar bereit, mit ihm weiter abzurechnen. Das SG habe ihm, indem es die Vollziehung ausgesetzt und das Verfahren praktisch zum Ruhen gebracht habe, Gelegenheit geben wollen, sich vor der endgültigen Entscheidung des Rechtsstreits zu bewähren, und ihm bei entsprechendem Wohlverhalten die Belassung der Zulassung in Aussicht gestellt. Auch der Beklagte und die Beigeladene hätten "trotz der zumindest ungewöhnlichen Verfahrensweise des Sozialgerichts" nicht auf eine schnelle Entscheidung gedrängt und durch jahrelanges Stillschweigen den Kläger in dem Glauben bestärkt, bei künftigem Wohlverhalten werde ihm die Zulassung verbleiben. Wenn der Beklagte nunmehr ohne besonderen Grund im Gegensatz zu den Beigeladenen auf der Entziehung bestehe, so verstoße dies gegen Treu und Glauben; denn damit setze er sich in unerträglichen Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten. Auch die Kosten des Klägers im Berufungsverfahren habe der Beklagte zu tragen, nicht dagegen die vor dem SG entstandenen (Urteil vom 30. Januar 1976).

Der Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision, die Vorinstanzen hätten, nachdem der Vollzug der Zulassungsentziehung angeordnet worden sei, die Rechtmäßigkeit der Entziehung allein nach der Sachlage bei Erlaß des Entziehungsbeschlusses prüfen dürfen und, da die Entziehung damals auch nach ihrer Ansicht rechtmäßig gewesen sei, die Klage abweisen müssen. Wenn das SG die Vollziehungsanordnung entsprechend einer - unzulässigen - Zusage an den Kläger für den Fall eines Geständnisses aufgehoben und eine neue Terminierung von besonderen Vorkommnissen abhängig gemacht habe, so habe es sich damit unter Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips "in die Rolle einer Zulassungsinstanz begeben". Über die Erteilung einer neuen Zulassung hätten allein die Zulassungsinstanzen zu entscheiden. Es treffe auch nicht zu, daß der Beklagte und die Beigeladenen durch Nichtbetreibung des Verfahrens den Kläger in dem Glauben bestärkt hätten, bei künftigem Wohlverhalten werde ihm die Zulassung verbleiben. Der Kläger werde schließlich durch eine Entziehung der Zulassung angesichts der Vielzahl seiner Verfehlungen nicht besonders hart betroffen.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Seiner Ansicht nach haben die Gerichte zutreffend die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde gelegt. Den - im übrigen unanfechtbar gewesenen - Beschluß des SG vom 12. Juli 1972 hätten sämtliche Krankenkassen anstandslos hingenommen und mit dem Kläger weiter abgerechnet.

Die übrigen Beteiligten haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

II

Die Revision des beklagten BA ist begründet. Die vom ZA ausgesprochene und vom BA bestätigte Entziehung der Kassenzulassung des Klägers ist zu Unrecht aufgehoben worden.

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger durch Abrechnung nicht erbrachter Leistungen seine kassenärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Daß die - vom Kläger zum Teil zugegebenen - Verfehlungen nur wenige Abrechnungsfälle betreffen (Fälle W und I, während der Fall F ungeklärt geblieben ist) und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nach nicht sehr erheblich sind, ist nicht entscheidend. Auch Pflichtverletzungen, die sich ihrer Zahl oder ihrem Umfang nach nicht als besonders schwerwiegend darstellen, können "gröblich" im Sinne des § 368 a Abs 6 RVO sein, wenn ihnen entsprechende Verfehlungen vorangegangen sind, es sich insbesondere um einen "notorischen Wiederholungstäter" handelt, als den das LSG den Kläger mit Recht bezeichnet hat. Damit werden nicht frühere Pflichtverletzungen, die - wie im Falle des Klägers geschehen - bereits disziplinarisch, berufsgerichtlich oder durch Zulassungsentziehung geahndet worden sind, nochmals "bestraft", indem sie zur Begründung einer weiteren Maßnahme herangezogen werden; vielmehr erhalten die neuerlichen Verfehlungen des Klägers durch seine zahlreichen früheren und im wesentlichen gleichartigen Verstöße lediglich ein stärkeres Gewicht.

Der Kläger hat durch die in Rede stehenden Pflichtverletzungen seine Eignung als Kassenzahnarzt verloren. Wie der Senat schon wiederholt entschieden hat, kann nur unter dieser Voraussetzung - Verlust der Eignung als Kassen(zahn)arzt - die Kassenzulassung entzogen werden: Denn eine Zulassungsentziehung wegen gröblicher Pflichtverletzung ist nicht Sanktion für strafwürdiges Verhalten, sondern eine Maßnahme der Verwaltung, die allein dazu dient, das System der kassenärztlichen Versorgung vor Störungen zu bewahren und damit funktionsfähig zu erhalten. Wegen dieses objektiven Sicherungszweckes rechtfertigen selbst gröbliche Pflichtverletzungen eine Entziehung der Kassenzulassung - als den letzten und schwersten, nicht selten die wirtschaftliche Existenz berührenden Eingriff in den Kassenarztstatus - nur, wenn die begangenen Verstöße den Arzt oder Zahnarzt ungeeignet für die weitere Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung machen. Denn nur dann ist die Entziehung zur Sicherung der Versorgung der Versicherten notwendig und sind disziplinarische Maßnahmen nach § 368 m Abs 4 RVO nicht ausreichend. Nur dann entspricht die Entziehung auch dem - Verfassungsrang genießenden - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der insbesondere im Bereich der grundrechtlich verbürgten Berufsfreiheit zu beachten ist (vgl BSGE 34, 252, 253 f).

Ob ein Kassen(zahn)arzt durch eine gröbliche Pflichtverletzung seine Eignung verloren hat, wird in der Regel davon abhängen, ob das Vertrauensverhältnis zur KÄV und zu den Krankenkassen so schwer gestört ist, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht zugemutet werden kann, er also für sie - jedenfalls auf Zeit - untragbar geworden ist (BSGE aaO S. 254). Das wird im allgemeinen der Fall sein, wenn der Kassen(zahn)arzt , wie der Kläger, vorsätzlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet hat; denn sowohl die KÄV, bei der die Leistungen abzurechnen sind, wie die zahlungspflichtigen Krankenkassen müssen sich wegen der großen Zahl der Abrechnungsfälle, die sie - solange keine konkreten Verdachtsgründe vorliegen - nicht im einzelnen auf ihre Richtigkeit überprüfen können, auf die unbedingte Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit des abrechnenden Arztes oder Zahnarztes verlassen. Eine peinlich genaue Leistungsabrechnung gehört deshalb zu den Grundpflichten des Kassen(zahn)arztes . Ein vorsätzlicher Verstoß dagegen macht ihn für die weitere Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung in aller Regel ungeeignet (vgl Urteil des Senats vom 18. August 1972, 6 RKa 28/71, BKK 1973, 70, 71). Im Falle des Klägers kommt hinzu, daß er seit der früheren, im November 1968 rechtskräftig gewordenen Zulassungsentziehung erst kurze Zeit wieder als Kassenzahnarzt zugelassen war. Durch seine neuerlichen Verfehlungen hat er das ihm mit der Wiederzulassung entgegengebrachte Vertrauen so schwer enttäuscht, daß der KÄV und den Krankenkassen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm bis auf weiteres nicht zuzumuten ist.

Daran hat auch sein Verhalten während des Rechtstreits - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - nichts geändert. Daß sich das LSG für befugt gehalten hat, dieses Verhalten bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, ist allerdings im Grundsatz nicht zu beanstanden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats haben die Gerichte, die die Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Zulassungsentziehung überprüfen, Änderungen der Sachlage während des Rechtsstreits grundsätzlich zu berücksichtigen, sofern die sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung nicht angeordnet worden ist, der betroffene Arzt oder Zahnarzt also seine Kassenarzttätigkeit zunächst weiter ausübt (vgl BSGE 33, 161 in einem Falle, in dem der Widerruf einer Ersatzkassenbeteiligung nicht für vollziehbar erklärt worden war, sowie das bereits erwähnte Urteil des Senats vom 18. August 1972 und das Urteil vom 16. März 1973, 6 RKa 17/71, beide in Fällen, in denen die Entziehung der Kassenzulassung nicht vollzogen worden war).

Im vorliegenden Fall hat zwar der beklagte BA die Vollziehung seiner Widerspruchsentscheidung vom 6. November 1971 nach § 368 b Abs 5 RVO angeordnet. Das SG hat jedoch nach § 97 Abs 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die angeordnete Vollziehung wieder ausgesetzt (Beschluß vom 12. Juli 1972). Dabei ist es in der Folgezeit geblieben. Dieser - durch die Gerichtsbarkeit herbeigeführte - Zustand entspricht demjenigen, der bestanden hätte, wenn der BA die Vollziehung seiner Entscheidung nicht angeordnet hätte. Auch hier gilt deshalb der Grundsatz, daß Tatsachen, die während der Zeit eintreten, in der die Vollziehung der Zulassungsentziehung ausgesetzt ist, der Kassen(zahn)arzt also weiter praktiziert hat, von den Gerichten zu berücksichtigen sind. Das gilt insbesondere für den Fall, daß der Kassen(zahn)arzt die durch eine gröbliche Pflichtverletzung verlorene Eignung zur weiteren Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung im Laufe des - möglicherweise lange dauernden - Rechtsstreits wiedererlangt. Insofern hat jedoch, wie der Senat schon mehrfach ausdrücklich betont hat (vgl BSGE 33, 161, 164 und die anderen genannten Urteile), ein Wohlverhalten des Anfechtungsklägers während des Prozesses weniger Gewicht als sein vorwerfbares Verhalten in der Zeit vor der Zulassungsentziehung.

Soweit hiernach Fälle denkbar sind, in denen das Verhalten des Kassenarztes oder -zahnarztes allein während des Rechtsstreits zur Aufhebung einer - zunächst rechtmäßig ausgesprochenen - Zulassungsentziehung führen kann, kann es sich allerdings nur um seltene Ausnahmefälle handeln, in denen der betroffene Arzt oder Zahnarzt seiner Persönlichkeit nach allen Beteiligten die volle Gewähr bietet, daß es zu keinen weiteren Verstößen gegen die Abrechnungsbestimmungen kommen wird. Würde auch sonst ein Wohlverhalten während des Rechtsstreits genügen, um der Anfechtungsklage gegen eine Zulassungsentziehung zum Erfolg zu verhelfen, so könnte dies zu Ergebnissen führen, die vom Standpunkt einer gerechten Ordnung schwer erträglich wären. Angesichts der Neigung der Tatsachengerichte, im Falle einer vom BA angeordneten Vollziehung der Zulassungsentziehung die Vollziehung auszusetzen - diese Neigung könnte nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1975 (BVerfGE 40, 179, mit kritischen Anmerkungen von Martens in DOK 1976, 93) noch zunehmen -, hätte das Entziehungsverfahren, wenn es letztlich mit einer Aufhebung der Entziehung allein wegen des vom betroffenen Arzt oder Zahnarzt im Laufe des Prozesses gezeigten Wohlverhaltens enden würde, für diesen praktisch keine Folgen, während in einem - wegen geringerer Verfehlungen durchgeführten - Disziplinarverfahren seit dem 1. Januar 1977 immerhin Geldbußen bis zu 5.000 DM verhängt werden können (vgl § 368 m Abs 4 Satz 1 RVO idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts vom 28. Dezember 1976, BGBl I, 3871). Da dem Senat ein solches Ergebnis nicht vertretbar erscheint, hält er in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung ein Wohlverhalten des Kassen(zahn)arztes während des über die Zulassungsentziehung geführten Rechtsstreits - jedenfalls grundsätzlich - nicht für ausreichend, um die Aufhebung eines rechtmäßig erlassenen Entziehungsbeschlusses zu begründen.

Der vorliegende Fall bietet entgegen der Ansicht des LSG keine so weitgehenden Besonderheiten, daß es gerechtfertigt wäre, hier eine Ausnahme von dem genannten Grundsatz zu machen. Das gilt zunächst für die Erwägung des LSG, der Kläger hätte bei rechtskräftiger Bestätigung der Zulassungsentziehung wegen seines vorgeschrittenen Lebensalters praktisch keine Möglichkeit mehr, sich nach Abschluß des Verfahrens noch einmal zu bewähren. Da er seit dem Aussetzungsbeschluß des SG vom 12. Juli 1972 seine Praxis weiter ausgeübt hat, ist es jetzt Sache der Zulassungsinstanzen, darüber zu entscheiden, ob seine "Bewährung" im Laufe des Rechtsstreits zur Erteilung einer neuen Zulassung ausreicht. Dieser Entscheidung dürfen die Gerichte, wie der BA mit Recht ausgeführt hat, nicht vorgreifen, wenn sie sich nicht selbst in die Rolle der Zulassungsinstanzen begeben wollen.

Wenn das LSG ferner gemeint hat, nach Treu und Glauben müsse dem Kläger hier die Kassenzulassung erhalten bleiben, so kann der Senat dem Berufungsgericht auch insoweit nicht folgen. Dadurch, daß das SG in dem Beschluß vom 12. Juli 1972 die Vollziehung der Zulassungsentziehung ausgesetzt und in rechtlich unzulässiger Weise das vor ihm anhängige Verfahren praktisch zum Ruhen gebracht hat, hat es dem Kläger zwar tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, seine Kassenpraxis bis auf weiteres fortzuführen. Ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand ist damit für den Kläger jedoch nicht geschaffen worden, zumal das Ruhen gegen den Willen des Beklagten angeordnet worden ist (lt Sitzungsniederschrift des SG vom 12. Juli 1972 hielten der Vertreter des beklagten BA und die anwesenden Vertreter der Beigeladenen eine Aussetzung der Vollziehung für nicht sachgerecht und meinten, daß in der Sache selbst nach weiteren Beweiserhebungen entschieden werden sollte; nach dem Teilgeständnis des Klägers beantragte der Vertreter des Beklagten eine Entscheidung zur Hauptsache). Daß der Beklagte in der Folgezeit zunächst nicht auf eine Fortsetzung des sozialgerichtlichen Verfahrens gedrängt hat, erklärt sich aus dem in dem Beschluß des SG enthaltenen Hinweis, daß "gegen die Entscheidung über eine vorzeitige Terminierung ... ein Rechtsmittel nicht gegeben" sei. Ob der Kläger aus dem Verhalten der Beigeladenen (KÄV und Krankenkassen) für ihn günstige Schlüsse ziehen durfte, kann dahinstehen, da nicht die Beigeladenen, sondern der Beklagte - als diejenige Stelle, die den streitigen Widerspruchsbescheid erlassen und ihn im Prozeß verteidigt hat - über den Streitgegenstand zu verfügen hatte, für den Kläger mithin allein das Verhalten des Beklagten maßgebend war.

Die sonst vom LSG angeführten Umstände - geringfügiges Verschulden des Klägers, alsbaldige Wiederzulassung nach der früheren Zulassungsentziehung - haben für die Entscheidung darüber, ob ausnahmsweise schon aufgrund eines während des Rechtsstreits gezeigten Wohlverhaltens die Zulassungsentziehung aufzuheben ist, keine Bedeutung. Da weitere für den Kläger sprechende Gesichtspunkte nicht erkennbar sind, hat der Senat unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649747

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