Entscheidungsstichwort (Thema)
Verteilung der Entschädigungslast. Verpflichtung mehrerer Versicherungsträger. Tätigkeit im eigenen Unternehmen. Erfüllung von Vertragspflichten. Anteilige Übernahme der Entschädigungslast
Orientierungssatz
1. Nicht jede Arbeit, die zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient, braucht auch in diesem Unternehmen versichert zu sein (vgl BSG 4.11.1981 2 RU 53/81 = USK 81321). Vielmehr ist, insbesondere beim Zusammenwirken mehrerer Unternehmer, sehr wohl möglich, daß eine für mehrere nützliche Tätigkeit unfallversicherungsrechtlich nur im Rahmen eines der Betriebe geleistet wird.
2. Auch im Rahmen von § 539 Abs 2 RVO ist der erforderliche innere Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem betreffenden Betrieb nicht schon dadurch gegeben, daß die Tätigkeit auch den Zwecken oder Interessen des anderen Unternehmens dient. Vielmehr muß diese Beziehung - darüber hinaus - rechtlich wesentlich sein. Ob dies der Fall ist, richtet sich, wenn vertragliche Beziehungen vorhanden sind, nach deren Inhalt (vgl BSG 19.5.1983 2 RU 55/82 = USK 8366).
Normenkette
RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30, § 1739 Fassung: 1924-12-15
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.08.1983; Aktenzeichen L 7 U 1138/82) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 04.06.1982; Aktenzeichen S 3 U 3046/80) |
Tatbestand
Die Klägerin hat im zweitinstanzlichen Verfahren vergeblich versucht, die Entschädigungslast für den Unfall des Beigeladenen zu 1) (D.) am 4. September 1978 zur Hälfte auf die Beklagte abzuwälzen (Urteil vom 11. August 1983). Mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Begehren weiter.
D., als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Klägerin gegen Unfall versichert, hatte einen Stier an einen Metzgermeister verkauft. Für diesen holte ein Viehtransportunternehmer das Tier am Unfalltage vom Hof des D. ab. Dabei halfen D. und seine Ehefrau, das Tier auf den Wagen zu führen. Nachdem es bereits auf der Laderampe angekommen war, brach es aus und verletzte D. Die Klägerin gewährte D. Leistungen. Ihr Verlangen, die Beklagte solle die Hälfte der Kosten übernehmen, weil die unfallbringende Tätigkeit auch dem Viehtransportunternehmen gedient habe, lehnte diese ab.
Das Sozialgericht -SG- (Urteil vom 4. Juni 1982) hat die Beklagte verurteilt, sich an der Entschädigungslast zur Hälfte zu beteiligen. Der Transportunternehmer sei auf die Mithilfe anderer Personen angewiesen gewesen. D. sei hierzu verpflichtet gewesen. Daher sei er - wie auch der Viehtransportunternehmer - gleichzeitig im eigenen und in dem Unternehmen des anderen tätig geworden.
Demgegenüber ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß D. ausschließlich für sein landwirtschaftliches Unternehmen tätig geworden sei und nur im Rahmen allgemeiner Übung in der Landwirtschaft seine Pflichten aus dem Kaufvertrag erfüllt habe.
Nach der Meinung der Revision hat das LSG die Bedeutung der Vorschrift des § 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) übersehen. D. sei in einem fremden Betriebs- und Gefahrenbereich tätig geworden; er habe die Aufgabe des unentbehrlichen Helfers des Transportunternehmers übernommen; seine Hilfe sei überwiegend diesem zugute gekommen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. August 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. Juni 1982 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Überzeugung hat D. lediglich eine ihm selbst obliegende, sich aus dem Betrieb des landwirtschaftlichen Unternehmens und dem abgeschlossenen Kaufvertrag ergebende Pflicht erfüllt. Sie hält die Versicherung nach § 539 Abs 2 RVO gegenüber der Versicherung nach Abs 1 dieser Norm für subsidiär und meint, daß es auch nicht billig sei, angesichts der denkbar geringen Interessen des anderen Unternehmers an der Hilfe des D. die Beklagte zu belasten.
Die Beigeladene zu 2) ist der Auffassung, daß D. nur in seinem Unternehmen versichert gewesen sei, und hält demgemäß das Urteil des LSG für richtig.
Sie beantragt, die Revision zurückzuweisen.
D. stellt keinen Sachantrag.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Angesichts der vom LSG festgestellten tatsächlichen Verhältnisse und der sich daraus ergebenden vertraglichen Verpflichtungen kommt eine Verteilung der Entschädigungslast nach § 1739 RVO nicht in Betracht.
Nach dieser Vorschrift können, wenn eine Beschäftigung, bei der sich der Unfall ereignet hat, für mehrere Betriebe oder Tätigkeiten stattgefunden hat, die bei verschiedenen Versicherungsträgern versichert sind, die beteiligten Versicherungsträger die Entschädigungslast unter sich verteilen. Der dem Versicherten gegenüber leistungspflichtige Versicherungsträger hat unter den sonstigen Voraussetzungen des § 1739 RVO einen mit der Leistungs- oder Feststellungsklage (§ 54 Abs 5, § 55 Abs 1 Nr 1 SGG) verfolgbaren Rechtsanspruch auf eine anteilige Übernahme der Entschädigungslast gegen den in Betracht kommenden Versicherungsträger. Das Maß der Beteiligung ist, wenn sich die beteiligten Versicherungsträger nicht einigen, - nach Billigkeitsgrundsätzen - von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu bestimmen (vgl BSGE 12, 65 ff; 24, 216 ff; SozR Nr 4 zu § 1739 RVO; BSG Urteil vom 27. Juli 1978 - 2 RU 31/76 -). Die Regelung des § 1739 dient angesichts der Tatsache, daß dem Versicherten gegenüber für die Durchführung des Feststellungsverfahrens und die Gewährung der Entschädigung immer nur ein einziger Versicherungsträger zuständig ist (BSGE 5, 168, 175; BSG aaO und SozR 2200 § 671 Nr 1 und aaO, ferner Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 500b), dem notwendigen Ausgleich für die so hervorgerufene einseitige Belastung des leistenden Versicherungsträgers. Demgemäß muß derjenige Versicherungsträger die Lasten mitübernehmen, bei dem der Verletzte ebenfalls versichert war. Das LSG und insbesondere auch die Beklagte und die Beigeladene zu 2) gehen daher zutreffend davon aus, daß ein Versicherungsträger nur verpflichtet ist, eine Teillast zu tragen, wenn der Verletzte bei seinem Unfall auch bei ihm versichert war. Dies hat das LSG hinsichtlich der Beklagten und der Beigeladenen zu 2) mit zutreffenden Gründen verneint.
Da D. weder zu dem Viehtransportunternehmer noch zu der genannten Metzgerei in einem Beschäftigungsverhältnis stand (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO), kommt insoweit das Bestehen von Versicherungsschutz nur unter den Voraussetzungen des § 539 Abs 2 RVO in Betracht, wenn nämlich D. wie ein Versicherter - auch - in diesem Unternehmen tätig geworden ist (Brackmann, aaO, S 477a). Hierzu genügt allerdings nicht, daß die Tätigkeit des D. dem Interesse dieser Unternehmen gedient hat, weil sie erforderlich oder nützlich war. Dieser Gesichtspunkt reicht allein nicht aus, um den notwendigen inneren Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit des D. und dem anderen Betrieb anzunehmen. Der Senat hat von Anfang an entschieden, daß nicht jede Arbeit, die zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient, auch in diesem Unternehmen versichert zu sein braucht (BSGE 5, 168, 174; 7, 195, 198; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 53/81 -; Urteil vom 19. Mai 1983 - 2 RU 55/82 -). Vielmehr ist, insbesondere beim Zusammenwirken mehrerer Unternehmer, sehr wohl möglich, daß eine für mehrere nützliche Tätigkeit unfallversicherungsrechtlich nur im Rahmen eines der Betriebe geleistet wird (Brackmann, aaO, S 475q). Dies gilt nicht nur, wenn ein Unternehmer tätig wird und dabei gleichzeitig den Zweck eines anderen Unternehmens fördert (etwa bei der Errichtung eines Baues). Der Senat hat auch entschieden, daß ein abhängig Beschäftigter, welcher die Interessen eines weiteren Unternehmens fördert, ausschließlich in seinem Stammbetrieb tätig sein kann (BSGE 43, 65, 67; Urteil vom 4. November 1981 aaO).
Infolgedessen ist der auch im Rahmen von § 539 Abs 2 RVO erforderliche innere Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem betreffenden Betrieb nicht schon dadurch gegeben, daß die Tätigkeit auch den Zwecken oder Interessen des anderen Unternehmens dient. Vielmehr muß diese Beziehung - darüber hinaus - rechtlich wesentlich sein (Brackmann, aaO, S 476e). Ob dies der Fall ist, richtet sich, wenn vertragliche Beziehungen vorhanden sind, nach deren Inhalt (BSGE 7, 195, 197; BSG SozR 2200 § 539 Nr 25 = SGb 1977 S 312, 313 mit zustimmender Anmerkung von Freitag; Urteil vom 4. November 1981 aaO; Urteil vom 19. Mai 1983 aaO; Brackmann, aaO, S 476h f). Hiervon ist das LSG zutreffend ausgegangen. Es hat die Vertragsbeziehungen der drei Unternehmer - D., Metzgermeister, Viehtransportunternehmer - untersucht und danach die Frage - richtig - beantwortet, ob D. außer bei der Klägerin auch noch bei der Beklagten oder der Beigeladenen zu 2) versichert war.
Das LSG hat, ohne daß dagegen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG), aufgrund der von ihm getroffenen Ermittlungen festgestellt, daß D. aus dem mit der Metzgerei geschlossenen Kaufvertrag nach der im maßgebenden landwirtschaftlichen Bereich geltenden Übung verpflichtet war, beim Abtransport des Stiers behilflich zu sein. Hiervon geht logischerweise auch die Klägerin aus; denn ohne ein Tätigwerden im Rahmen des landwirtschaftlichen Unternehmens wäre sie für den Unfall des D. nicht eingetreten. Dem widerspricht insofern das Revisionsvorbringen, als zum Teil behauptet wird, der Stiertransport sei eine Angelegenheit gewesen, welche den Transportunternehmer und die Metzgerei betroffen habe, nicht aber D.
Die aus dem Kaufvertrag sich ergebende Verpflichtung, den Stier zu übergeben, umschloß - wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat - die Nebenpflicht, die ordnungsgemäße Übernahme - mit - zu gewährleisten. Demzufolge erfüllte D. im Rahmen der im maßgebenden landwirtschaftlichen Bereich geltenden Übung eine ihm selbst als landwirtschaftlichem Unternehmer obliegende Pflicht, als er tätig wurde, um den Stier auf den Wagen zu führen.
Das Begehren der Klägerin, die Entschädigungslast auf sich und die Beklagte zu verteilen, ist folglich nicht begründet. Die Revision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen