Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Untätigkeitsklage. Erledigungserklärung nach Bescheiderlass. fiktive Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV. Erhöhung der Verfahrensgebühr bei mehreren Auftraggebern. Bedarfsgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Wird auf eine Untätigkeitsklage der begehrte Bescheid erlassen und die Klage darauf hin für erledigt erklärt, handelt es sich nur dann um ein angenommenes Anerkenntnis im Sinne der Nr 3106 RVG-VV, wenn die Frist des § 88 SGG abgelaufen ist und ein zureichender Grund für die verspätete Entscheidung nicht vorliegt.
2. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Nr 1008 RVG-VV ist die Verfahrensgebühr zu erhöhen, wenn Auftraggeber des Rechtsanwaltes mehrere Personen in derselben Angelegenheit sind. Unerheblich ist, ob es ausgereicht hätte, dass nur ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft den Rechtsanwalt beauftragt hätte.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers werden der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 30. Juli 2009 und die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten vom 23. Oktober 2008 geändert.
II. Die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des Beschwerdegegners für seine Tätigkeit in dem Rechtsstreit S 25 AS 75/08 wird auf insgesamt 215,98 € festgesetzt.
III. Im Übrigen werden die Beschwerde des Beschwerdeführers und die Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Beschwerdegegner war in dem Rechtsstreit S 25 AS 75/08 vor dem Sozialgericht Gießen als von vier Kläger/-innen beauftragter und nach den Vorschriften des Prozesskostenhilferechts beigeordneter Rechtsanwalt tätig (Bewilligung der Prozesskostenhilfe am 19. August 2008). Der Rechtsstreit richtete sich gegen die Gesellschaft für Integration und Arbeit A-Stadt (Beklagte). Es handelte sich um eine Untätigkeitsklage, bei der um die Überprüfung des Bescheides vom 21. Dezember 2006 gestritten wurde, mit dem die Übernahme einer Mietkaution sowie weiterer Umzugskosten abgelehnt worden war. Nachdem die Beklagte unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Beschwerdegegners vom 15. März 2008 mit Schriftsatz vom 5. Mai 2008 entschieden hatte, dass der Bescheid vom 21. Dezember 2006 rechtmäßig gewesen sei und die Voraussetzungen für eine Rücknahme dieses Bescheides nicht vorgelegen hätten, erklärte der Beschwerdegegner am 2. Juni 2008 den Rechtsstreit für erledigt. Für die Durchführung des Rechtsstreits berechnete der Beschwerdegegner 425,43 €, dabei als Verfahrensgebühr einen Betrag in Höhe von 237,50 €, eine Terminsgebühr in Höhe von 100,-- € und Entgelte für Post und Telekommunikationsdienstleistungen pauschal 20,-- €. Der Urkundsbeamte setzte die Rechtsanwaltsvergütung am 23. Oktober 2008 in Höhe von 275,49 € fest auf der Grundlage einer Verfahrensgebühr in Höhe von 161,50 €, einer Terminsgebühr in Höhe von 50,-- € und einer Pauschale von 20,-- € zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 19 %.
Gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten legten sowohl der Beschwerdeführer wie auch der Beschwerdegegner Erinnerung ein. Mit Beschluss vom 30. Juli 2009 wies das Sozialgericht die Erinnerungen gegen den Beschluss des Urkundsbeamten zurück und ließ die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus, für die Verfahrensgebühr sei die Ziffer 3103 VV-RVG anzuwenden. Denn der Beschwerdegegner sei bereits im Verwaltungsverfahren, das der Untätigkeitsklage vorausgegangen sei, tätig gewesen. Im Rahmen dieser Gebühr habe der Urkundsbeamte zu Recht die halbe Mittelgebühr zugrunde gelegt und diese dann nach der Nr. 1008 VV-RVG erhöht. Da die Untätigkeitsklage lediglich auf die Bescheidung des Widerspruchs oder eines Antrags gerichtet gewesen sei, habe sie nur eine geringe Bedeutung gehabt. Der Umfang der Tätigkeit des Beschwerdegegners habe sich im Wesentlichen in der Ausführung erschöpft, ein Widerspruch bzw. ein Antrag sei nicht beschieden worden. Die Schwierigkeit der Sache sei auch unterdurchschnittlich, ebenso die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger. Auch könne der Beschwerdegegner keine höhere Terminsgebühr als die vom Urkundsbeamten festgesetzten 50,-- € verlangen. Diese sei in Höhe eines Viertels der Mittelgebühr festgesetzt worden. Bei der Festsetzung der sog. fiktiven Terminsgebühr sei einerseits der geringe Aufwand des Rechtsanwalts im Vergleich zur Wahrnehmung eines Termins zu berücksichtigen. Andererseits solle die Erledigung des Verfahrens ohne Verhandlung und damit einer Entlastung der Gerichte honoriert werden. Unter Anwendung dieser Vorgaben sei die Festsetzung der Terminsgebühr in Höhe von 50,-- € angezeigt. Auch habe der Urkundsbeamte zutreffend die Verfahrensgebühr um die Nr. 1008 VV für drei weitere Personen erhöht. Warum eine Erhöhung angesichts der Beteiligung von insgesamt vier Klägern ausscheiden solle, sei nicht plausibel. Die Auffassung des Beschwerdeführers, bei einer Untätigkeitsklage könne die fiktive Terminsgebühr nicht anfallen, werde von der Kammer ebenfall...