Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ablehnung eines Antrags nach § 109 SGG. Voraussetzungen. Verzögerung des Rechtsstreits. grobe Nachlässigkeit. rechtsfehlerhafte Ablehnung als wesentlicher Verfahrensmangel iSd § 159 Abs 1 Nr 2 SGG. Zurückverweisung des Rechtsstreits

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ablehnung eines Antrages nach § 109 SGG ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 109 Abs 2 SGG möglich, mithin der Antrag in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher gestellt worden ist.

2. Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede nach sorgfältiger Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein innerhalb einer gesetzten Antragsfrist gestellter Antrag auf Fristverlängerung durch das Sozialgericht nicht beantwortet wird, das Verfahren bis dahin bereits mehr als zwei Jahre gedauert hat und eine Fristüberschreitung von lediglich 16 Tagen eingetreten ist.

3. Eine Verzögerung des Rechtsstreits ist grundsätzlich nur anzunehmen, wenn sich durch die Einholung des beantragten Gutachtens der aufgrund bereits erfolgter Terminierung konkretisierte voraussichtliche Zeitpunkt der Beendigung des Rechtsstreits tatsächlich verschiebt. Dies kann nicht offen bleiben bzw unterstellt werden und es ist durch Rückfrage bei dem als Sachverständigen benannten Arzt zu klären, ob das Gutachten noch rechtzeitig vor dem bereits angesetzten Verhandlungstermin vorgelegt werden kann.

4. Die rechtsfehlerhafte Ablehnung des Beweisantrags nach § 109 SGG stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel iS des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG dar, der die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht im Rahmen einer Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts eröffnet.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. April 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten - an das Sozialgericht Kassel zurückverwiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist das Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer 12-wöchigen Sperrzeit (und die Minderung der Anspruchsdauer um 90 Tage) streitig.

Der 1952 geborene Kläger war seit 1987 bei der ON. AG in B-Stadt als Anlagenführer versicherungspflichtig beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete zum 31. Oktober 2006 laut Arbeitsbescheinigung (Bl. 5 der Verwaltungsakte) durch “Künd. beiders. Einvern. m. Abfind.„. Der Kläger meldete sich am 28. September 2006 mit Wirkung zum 1. November 2006 arbeitslos und gab dabei unter anderem an, er leide unter psychischer Erschöpfung sowie Schlafapnoe, weshalb er das Beschäftigungsverhältnis gelöst habe. Zuvor habe er versucht, seine Arbeitssituation zu verbessern, indem er vom 3-Schicht-Rhythmus zur Dauerfrühschicht gewechselt sei. Die Beklagte veranlasste die Erstellung eines Gutachtens ihres ärztlichen Dienstes vom 15. Dezember 2006 (Medizinaldirektorin RS), wonach der Kläger noch gelegentlich mittelschwere Arbeit vollschichtig verrichten könne. Ausgeschlossen seien unter anderem Wechselschicht und Nachtschicht. Hinsichtlich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit sei eine genauere arbeitgeberseitige Arbeitsplatzbeschreibung erforderlich. Eine entsprechende Auskunft vom 27. Februar 2007 holte die Beklagte bei der ON. AG in B-Stadt ein. Danach handele es sich bei der Tätigkeit des Anlagenführers an Prüfständen um eine überwiegend mittelschwere Arbeit, die in Tagesschicht, Früh-/Spätschicht und Nachtschicht verrichtet werde. Hierauf gab Medizinaldirektorin RS. eine weitere Stellungnahme vom 28. März 2007 dahingehend ab, dass dem Kläger die zuletzt ausgeübte Tätigkeit wegen des 3-Schicht-Systems nicht mehr zumutbar gewesen sei. Die Beklagte fragte daraufhin mit Schreiben vom 4. April 2007 bei der ON. AG in G-Stadt an, ob eine Umsetzung des Klägers in ein Nicht-Schicht-System möglich gewesen wäre. Die ON. AG L-Stadt teilte mit Schreiben vom 25. April 2007 mit, ohne Schweigepflichtentbindung sei sie zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet. Aus einem Beratungsvermerk vom 29. Mai 2007 (Bl. 41 der Verwaltungsakte) ergibt sich der Hinweis, der Kläger sei bereits vom Schichtsystem befreit gewesen und habe nur noch in Frühschicht gearbeitet. Dies wäre auch weiterhin möglich gewesen.

Durch Bescheid vom 29. Mai 2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, in dem Zeitraum vom 1. November 2006 bis 23. Januar 2007 sei eine Sperrzeit eingetreten, während der sein Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis bei der ON. AG durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst gelöst. Hierdurch habe er voraussehen müssen, dass er arbeitslos werde. Soweit der Kläger vorgetragen habe, die Tätigkeit nicht mehr ausüben zu können, sei ihm jedoch die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zumutbar gewesen. Insoweit habe er einen anderen Arbeitsplatz im Ein-Schicht-System erhalten, auf de...

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