Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klage gegen eine Verrechnung nach § 52 SGB 1. Unzulässigkeit bei Nachweis der Hilfebedürftigkeit nach SGB 2 oder SGB 12. Nachweispflicht des Berechtigten. Reichweite der Aufklärungspflicht des Gerichts. Rechtsschutzbedürfnis. tatsächlich nicht vorgenommene Verrechnung. Erledigung durch Zeitablauf. Bedarfsbescheinigung. Wohnsitz im Ausland. Gerichtliche Kontrolle des Ermessens
Leitsatz (amtlich)
1. Der von § 51 Abs 2 SGB 1 geforderte Nachweis der Hilfebedürftigkeit ist durch den Leistungsberechtigten zu erbringen, wobei ihn eine Obliegenheit iS einer verstärkten Mitwirkungspflicht trifft. Der Nachweis über den Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit kann dabei in der Regel ohne großen Aufwand durch eine Bedarfsbescheinigung des örtlich für diese Leistung zuständigen Trägers geführt werden.
2. Die Obliegenheit des Klägers zur Mitwirkung am Nachweis der Hilfebedürftigkeit iS des § 51 Abs 2 SGB 1 beseitigt nicht den Untersuchungsgrundsatz, dh das Gericht ist im Rahmen der Sachverhaltsermittlung von Amts wegen weiterhin gehalten, das Vorliegen einer Hilfebedürftigkeit des Klägers zu ermitteln.
3. Soweit keine entsprechende Bedarfsbescheinigung des örtlich zuständigen Leistungsträgers vorgelegt wird, hat der Kläger jedoch das Gericht durch Vorlage sämtlicher zur Ermittlung von Hilfebedürftigkeit iS des SGB 2 bzw des SGB 12 notwendigen Angaben über seine Lebensumstände in die Lage zu versetzen, seine Hilfebedürftigkeit festzustellen. Soweit die zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ermittelten Angaben lückenhaft bzw unvollständig bleiben und durch naheliegende ergänzende Ermittlungen des Gerichts nicht vervollständigt werden können, geht dies zu Lasten des nachweispflichtigen Klägers.
4. Vom Rentenversicherungsträger tatsächlich nicht vorgenommene Verrechnungen erledigen sich durch Zeitablauf. Eine rückwirkende Einbehaltung ausgezahlter laufender Geldleistungen ist ausgeschlossen.
Normenkette
SGB I § 51 Abs. 1, §§ 52, 39 Abs. 1; SGB II § 9 Abs. 1; SGB XII § 24 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verrechnung von Beitragsansprüchen mit dem laufenden Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente.
Der 1943 in Dresden geborene Kläger deutscher Staatsangehörigkeit bezieht gemäß Bescheid vom 18. September 2008 seit dem 1. Dezember 2008 eine Regelaltersrente von der Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt lag der Beklagten ein vorgemerktes Verrechnungsersuchen der AOK Schleswig-Holstein vom 5. November 2002 vor, wonach der Kläger - Stand 16. Juli 2002 - Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 7.647,41 € schulde.
Am 9. Oktober 2008 ging bei der Beklagten auf Anfrage eine vollstreckbare Ausfertigung der AOK Schleswig-Holstein gemäß §§ 23, 28 f. Sozialgesetzbuch - Viertes Buch (SGB IV) i.V.m. § 66 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) ein, wonach der Kläger inzwischen Gesamtversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 2. September 1988 bis 23. März 1990 nebst Versäumniszuschlägen, Kosten und Gebühren in Höhe von 9.904,41 € schulde.
Mit Anhörungsschreiben vom 15. Oktober 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die AOK Schleswig-Holstein habe sie ersucht, die ausstehende Forderung in Höhe von 9.904,41 € mit seinem laufenden Rentenanspruch zu verrechnen. Es sei beabsichtigt, monatlich 217,18 € einzubehalten. Soweit Hilfebedürftigkeit vorliege oder durch die Verrechnung eintrete, sei dies durch eine entsprechende Bescheinigung des Sozialhilfeträgers oder einer SGB II-Stelle nachzuweisen.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008 übersandte die Beklagte dem Kläger auf Nachfrage eine Abschrift der vollstreckbaren Ausfertigung der AOK Schleswig-Holstein. Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin u.a. mit, seine Rente stelle sein einziges Einkommen dar. Auch seine Ehefrau verfüge nur über eine eigene Rente in Höhe von 1.001,10 € monatlich. Um Kosten zu sparen, habe er seinen Wohnsitz nach Ungarn verlegt.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland mit, ein Wohnsitz des Klägers in Ungarn habe sich nicht bestätigt bzw. sei nicht zu ermitteln gewesen. Laut Auskunft des Bürgermeisteramtes C-Stadt vom 17. November 2008 sowie seiner Krankenkasse sei der Kläger weiterhin in Deutschland gemeldet gewesen.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2009 verrechnete die Beklagte den Anspruch der AOK Schleswig-Holstein wegen geschuldeter Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus der Zeit vom 2. September 1988 bis 23. März 1990 in Höhe von monatlich 217,05 €. Die Beklagte wies dabei darauf hin, dass damit die Hälfte der Rente des Klägers nicht überschritten werde, der Kläger keinen Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit erbracht habe und Gründe für eine Reduzierung des Verre...