Rz. 3
Die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen durch das zuständige Sozial- oder Verwaltungsgericht nach Abs. 1 Satz 1 knüpft das Gesetz an folgende Voraussetzungen:
- Zunächst ist es notwendig, dass dem Zeugen oder Sachverständigen eine Verpflichtung zur Aussage oder zur Erstattung eines Gutachtens nach § 21 Abs. 3 obliegt.
- Ferner ist die Verweigerung durch den Zeugen oder den Sachverständigen erforderlich, ohne dass die Behörde einen der in §§ 376, 383 bis 385 oder 408 ZPO genannten Gründe für gegeben hält. Einer Aussageverweigerung steht es gleich, wenn der Zeuge trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Aussage vor der Behörde nicht erscheint; denn die Pflicht zur Aussage schließt die Pflicht zum Erscheinen ein. Das Gleiche gilt, wenn der Sachverständige anstelle des geforderten schriftlichen Gutachtens nur ein mündliches Gutachten erstattet oder umgekehrt.
- Schließlich muss die Behörde sich in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens für das Vernehmungsersuchen entschieden haben. Ermessensfehlerfrei entscheidet die Behörde, wenn keine anderen erfolgversprechenden Möglichkeiten zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen bestehen, was insbesondere im Rahmen von § 21 Abs. 3 Satz 2 Bedeutung hat. Besteht eine Verpflichtung gemäß § 21 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 100, so bedarf es zur Feststellung grundloser und nachhaltiger Aussageverweigerung nicht auch noch des Nachweises einer erfolglosen Vorladung zur Vernehmung durch die Behörde (Hess. LSG, Beschluss v. 13.7.2004, L 4 B 61/04 SB; Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, § 22 Rz. 4; a. A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 8.4.2003, L 6 SB 552/03 B).
Berufen sich Zeugen oder Sachverständige gegenüber der Behörde auf einen der Ausnahmetatbestände der §§ 376, 383 bis 385 und 408 ZPO und ist die Geltendmachung eines solchen Weigerungsrechts nach Ansicht der Verwaltungsbehörde begründet, so hat die Inanspruchnahme des Sozial- oder Verwaltungsgerichts zu unterbleiben. Eine Verweigerung der Zeugenaussage oder der Erstattung eines Gutachtens kann insbesondere bei fehlender erforderlicher Aussagegenehmigung, wegen persönlicher Beziehungen zu den Beteiligten oder aus sachlichen Gründen in Betracht kommen. Es genügt, dass Zweifel an der Geltendmachung des Weigerungsrechtes bestehen und insoweit Rechtsklarheit durch das Sozial- oder Verwaltungsgericht herbeigeführt werden soll.
Rz. 4
Das Ersuchen der Behörde stellt keinen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar, sondern ist eine vorbereitende Verfahrenshandlung. Ob der Zeuge die Aussage oder der Sachverständige die Erstattung des Gutachtens zu Recht verweigern, hat das angegangene Gericht zu entscheiden. Im Übrigen prüft das Gericht die Erfüllung der formellen Anforderungen gemäß Abs. 1 Satz 3. Dagegen darf das Gericht die Entscheidung der Behörde, dass die Vernehmung zur Sachverhaltsermittlung erforderlich ist, nicht nachprüfen. Sind die Anforderungen an die Form erfüllt, ist das Gericht mithin insoweit an das Ersuchen gebunden. Die Behörde hat in ihrem Ersuchen besonderen Wert auf eine vollständige Darstellung des Beweisthemas zu legen. Diese Angaben sind ebenso wie die weiteren Angaben nach Satz 3 erforderlich, damit die Beteiligten entsprechend der sich aus Abs. 1 Satz 4 ergebenden Verpflichtung vom Beweistermin benachrichtigt werden können. Es sind, wenn die Akten eines Versicherungsträgers mit übersandt werden, die zur Beweiserhebung nicht unbedingt erforderlichen personenbezogenen Daten, insbesondere Krankheitsdaten oder ähnlich geschützte Daten, zu entnehmen bzw. zu schwärzen (vgl. § 35 SGB I). Aufgrund der zur Verfügung stehenden Unterlagen muss dem Gericht die Vernehmung möglich sein. Allerdings besteht in der Regel kein Anspruch des Gerichts auf Zusendung der vollständigen Akten.
Rz. 5
Um den Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens Gelegenheit zu geben, der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen beizuwohnen, hat das Gericht die Beteiligten von dem Beweisort und Beweistermin zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung enthält auch das Beweisthema. Die Beteiligten haben das Recht, an der vom Sozial- oder Verwaltungsgericht auf Ersuchen der Behörde durchzuführenden Beweisaufnahme teilzunehmen (vgl. Abs. 1 Satz 4). Insoweit unterscheidet sich die gerichtliche Beweisaufnahme erheblich von derjenigen der Behörde.
Rz. 6
Abs. 2 gibt der Behörde das Recht, um die eidliche Vernehmung nachzusuchen, falls die Behörde dies für geboten hält. Die Abnahme von Eiden ist allein den Gerichten vorbehalten. Dabei ist der Zeuge oder Sachverständige nicht bloß auf seine Aussage bei einer etwaigen vorherigen behördlichen Vernehmung zu vereidigen; vielmehr ist die gesamte Vernehmung, auf die sich der Eid erstrecken soll, zu wiederholen. Die Behörde bleibt "Herrin des Verfahrens"; das ersuchte Gericht ist grundsätzlich an das Ersuchen der Behörde gebunden. Da das um die eidliche Vernehmung angegangene Gericht über die Rechtmäßigkeit einer Verweigerung des Zeugnisses, des Gutachtens oder der Eidesleistung in eigener Verantwort...