Rz. 35
Die Vollmacht ermächtigt zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen(§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i. V. m. § 81 ZPO). Soweit eine Vollmacht gemäß § 73 Abs. 6 SGG i. V. m. § 83 Abs. 1 ZPO beschränkt werden soll, setzt dies eine nach außen erkennbare Erklärung voraus, die eindeutig und ausdrücklich eine Verzichtsleistung auf den Streitgegenstand i. S. d. § 83 Abs. 1 ZPO enthalten muss, z. B. dass der Bevollmächtigung nicht zur Revisionsrücknahme befugt ist (BSG, Urteil v. 2.9.2009, B 12 P 2/08 R, SozR 4-3300 § 110 Nr. 2). Aus § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i. V. m. § 85 Satz 1 ZPO ergibt sich, dass die vom Prozessbevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen den Beteiligten binden, als hätte er sie selbst vorgenommen. Auch ein Verschulden des Bevollmächtigten wird dem Beteiligten zugerechnet (§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Durch die Bevollmächtigung begibt sich der Vertretene aber nicht des Rechts, Prozesshandlungen selbst vorzunehmen. Bei widersprechenden Erklärungen geht die des Beteiligten vor.
Rz. 36
Gemäß § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Lediglich ein nach Beendigung des Mandatsverhältnisses unterlaufenes Versäumnis eines früheren Prozessbevollmächtigten muss sich ein Beteiligter nicht mehr zurechnen lassen, da dann die innere Rechtfertigung für eine Zurechnung entfallen ist (vgl. BSG, Beschluss v. 17.6.2009, B 6 KA 72/07 B, BeckRS 2009, 67148 Rn. 8). Daher ist der vertretenen Partei ein mit der Mandatsbeendigung zusammentreffendes Anwaltsverschulden noch zuzurechnen. Ein solches liegt auch vor, wenn ein Prozessbevollmächtigter grundlos vor Ablauf der bereits verlängerten Frist zur Begründung eines Rechtsmittels das Mandat niederlegt und deshalb keine rechtzeitige Begründung bei Gericht einreicht (vgl. BSG, Beschluss v. 5.8.2010, B 13 R 117/10 B; Beschluss v. 17.6.2009, B 6 KA 72/07 B).
Rz. 37
Mitteilungen des Gerichts und gerichtliche Zustellungen wie etwa Ladungen sind an den bestellten Bevollmächtigten zu richten (so auch § 172 ZPO). Dabei ist die Bestellung zum Bevollmächtigten nicht mit der Vorlage einer Vollmacht identisch. Bestellt i. S. d. Vorschrift ist derjenige, der angibt Prozessbevollmächtigter zu sein. Lediglich die Anordnung des persönlichen Erscheinens gemäß § 111 SGG richtet sich an den Beteiligten selbst. Zustellungen an den Beteiligten selbst sind wirkungslos (vgl. Leitherer, SGG, § 73 Rn. 69). So wird durch die Zustellung des Urteils an den wirksam vertretenen Beteiligten nicht die Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt. Es ist aber unschädlich, wenn das Gericht sowohl an den Bevollmächtigten als auch an den Beteiligten selbst zustellt (BFH, Beschluss v. 11.9.1995, X R 247/93, NJW 1996 S. 870). Ist der Bevollmächtigte eines Klägers entgegen § 73 Abs. 6 Satz 5 vom Gericht nicht zu dem durchgeführten Termin, in dem verhandelt und entschieden wurde, geladen worden und auch nicht erschienen, ist die Ladung nicht wirksam und das Gericht somit gehindert, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung zu beenden (BSG, Beschluss v. 16.12.2009, B 6 KA 37/09 B).
Rz. 38
Ungeachtet der Unwirksamkeit der Prozesshandlungen des ohne schriftliche Vollmacht auftretenden Bevollmächtigten musste nach § 73 Abs. 3 Satz 2 a. F. ein Beteiligter die Prozessführung gegen sich gelten lassen, wenn er nur mündlich Vollmacht erteilt oder die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Diese Vorschrift ist aufgehoben. Ein Kläger muss sich die Klagerücknahme eines Rechtsanwalts, der keine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat, zurechnen lassen, wenn er zuvor gemeinsam mit ihm vor Gericht aufgetreten und ihm durch die Duldung seines Auftretens formlos Prozessvollmacht erteilt hat (vgl. zur alten Rechtslage BSG, Beschluss v. 25.4.2001, B 9 V 70/00 B, SozR 3-1500 § 73 Nr. 10). Es treffen den Mandanten auch die Folgen der Fristversäumnis, wenn der Prozessbevollmächtigte, nachdem er eine Beschwerde eingelegt hat, gegenüber dem Gericht nicht zum Ausdruck bringt, dass er seine Vertretung auf die Einlegung der Beschwerde beschränkt wissen will, und die Beschwerde nicht fristgerecht begründet (BSG, Beschluss v. 5.8.2002, B 11 AL 137/02 B).