Rz. 41

Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne dieses dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.10.1988, 2 BvR 745/88, BVerfGE 79 S. 69, 74; Beschluss v. 16.5.1995, 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93 S. 1, 14). Die diesem Verfahren eigene Prüfdichte wird vom Gesetz nicht vorgegeben. Angesichts des vorläufigen und durch Eile geprägten Charakters des Verfahrens kann grundsätzlich nur eine summarische Prüfung in Betracht kommen. Nach Sinn und Zweck des Eilverfahrens kann es grundsätzlich nicht Aufgabe der Gerichte sein, schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine umfassende rechtliche Prüfung der Hauptsache vorzunehmen, denn damit würde die Effektivität dieses Verfahrens und damit des gerichtlichen Rechtsschutzes insgesamt geschwächt. Zwar ist es von Verfassungswegen regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn Gerichte bei der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache in den Blick nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.2.1982, 2 BvR 1492/81, NVwZ 1982 S. 241); ungeachtet dessen ist vorläufiger Rechtsschutz grundsätzlich sowohl in Anfechtungs- wie auch in Vornahmesachen auf der Grundlage einer Abwägung der öffentlichen und der jeweils beteiligten Individualinteressen zu gewähren (vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.6. 1979, 1 BvR 699/77, BVerfGE 51 S. 268, 280, 286). Der summarische Charakter des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens folgt aus dem Wesen vorläufiger Rechtsschutzgewährung und steht mit Art 19 Abs 4 GG nicht in Widerspruch (BVerfG, Beschluss v. 27.5.1998, 2 BvR 378/98, NvwZ-RR 1999 S. 217).

 

Rz. 42

Die gerichtliche Entscheidung darf grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.5.1998, 2 BvR 378/98, NVwZ-RR 1999 S. 217, 218; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 12.5.2005, 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005 S. 803; hierzu auch Krodel, NZS 2006 S. 637). Dies bedeutet, dass weder eine vollständige noch eine abschließende Aufklärung der Sach- und Rechtslage erforderlich ist (Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 86b Rn. 48). Diese ist aber auch nicht ausgeschlossen. Prüft das Gericht die Erfolgsaussichten wie im Hauptsachverfahren und kommt es zum Ergebnis, dass dieses keinen Erfolg haben wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung per se ausgeschlossen (z. B. LSG NRW, Beschluss v. 16.3.2011, L 11 KA 96/10 B ER, MedR 2011 S. 428). Daran ändern auch salvatorische Klauseln, wie "nach derzeitiger Einschätzung wird die Berufung keinen Erfolg haben" oder "die Anfechtungsklage wird voraussichtlich Erfolg haben" (hierzu LSG NRW, Beschluss v. 13.4.2011, L 11 KA 109/10 B ER, NZS 2011 S. 790) nichts. In gerichtlichen Eilverfahren begegnet die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (auch von Rechtsfragen) sonach im Regelfall keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Rz. 43

Geht es allerdings um existentiell bedeutsame Güter des Antragstellers, ist den Gerichten eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Art. 19 Abs. 4 GG stellt besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003 S. 1236, 1237; Beschluss v. 29.7.2003, 2 BvR 311/03, NVwZ 2004 S. 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht (vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.5.1998, 2 BvR 378/98, NVwZ-RR 1999 S. 217, 218). Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller des Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Beschwerdeführer mit seinen Begehren verfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 29.7.2003, 2 BvR 311/03, NVwZ 2004 S. 95, 96). Dies trifft insbesondere zu, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.7.1996, 1 BvR 638/96, NVwZ 1997 S. 479, 480).

 

Rz. 44

Im Eilverfahren ist es nicht angezeigt, von Amts wegen Ermittlungen "ins Blaue hinein" vorzunehmen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss v. 18.10.2011, L 8 B 526/1...

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