Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Kurzarbeit. Transparenz. Angemessenheit der Kurzarbeitsvereinbarung. Aufrechnungsvereinbarung und Pfändungsfreiheit
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Anspruch auf Annahmeverzug entfällt, wenn die Arbeitsvertragsparteien wirksam Kurzarbeit vereinbart haben.
2. Der Arbeitgeber darf gem. § 28g S. 4 SGB IV einen Abzug auch nach den auf die eigentliche zeitlich richtige Abrechnung folgenden drei Lohn- oder Gehaltszahlungen geltend machen, wenn der Beschäftigte seinen Pflichten nach § 28o Abs. 1 SGB IV vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
3. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber durch die Vorlage seiner privaten Krankenversicherungsunterlagen suggeriert, dass er von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht befreit sei und erst auf Nachfrage zugibt, dass er eine Befreiungserklärung nicht vorlegen könne.
Normenkette
BGB § 615; SGB III § 169 ff; SGB IV § 28g Sätze 3-4; BGB §§ 394, 307 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 03.12.2009; Aktenzeichen 13 Ca 16373/09) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Dezember 2009 – 13 Ca 16373/09 – wird auf seine Kosten bei unverändertem Streitwert zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Entgelt aus Annahmeverzug für einen Zeitraum, in dem Kurzarbeit geleistet wurde, sowie ungemindertes Entgelt für einen weiteren Zeitraum, in dem die Beklagte Sozialversicherungsabgaben nachträglich zu Lasten des Klägers abgerechnet und von seinem Bruttolohn abgezogen hat.
Der Kläger ist seit dem 01. Juni 2007 bei der Beklagten als Vertriebsmitarbeiter für einen Bruttolohn von 2.300,00 EUR pro Monat auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 23. Mai 2007 beschäftigt (vgl. zum Inhalt des Arbeitsvertrages die Kopie Bl. 4 bis 6 d. A.). Er wurde zunächst in der privaten Krankenversicherung geführt, da er eine dementsprechende Bescheinigung der D. vorlegte (vgl. die Anlage B 2 zum Schriftsatz vom 01.12.2009 der Beklagten, Bl. 46 d. A.), die Beklagte überwies an ihn den hälftigen Anteil des von ihm angegebenen Beitrags und führte den Kläger nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit Schreiben vom 14. Februar 2008 kündigte die Beklagte dem Kläger unter der Überschrift „Rückführung ihrer Privatenkrankenversicherung wegen Nichtvorlage der Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherung hier: Ihre heutige Mitteilung, dass das Schreiben zur Befreiung von der gesetzlichen Krankenkasse nicht existiert” an, dass sie ihn in der gesetzlichen Krankenversicherung anmelden werde, die Gehaltsabrechnungen ab Juni 2007 neu berechnet würden, der 50 %ige Anteil für die private Krankenversicherung in Höhe von 1.260,69 EUR ab Juni 2007 zurückgefordert und der Zuschuss bei der Gehaltsüberweisung Januar 2008 abgezogen werden würde (vgl. das Schreiben vom 14.02.2008, Anlage B 3 zum Schriftsatz vom 01.12.2009 der Beklagten, Bl. 47 d. A.).
So geschah es: Der Kläger wurde rückwirkend bei der T. angemeldet, die Abzüge ab Juni 2007 wurden neu berechnet und die sich daraus ergebenden Beträge ebenso wie die Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung bei der Abrechnung für Januar 2008 abgezogen. Daraus ergab sich ein negativer Betrag von 1.006,85 EUR netto (vgl. die Abrechnung für Januar 2008 in Kopie Bl. 7 d. A.). Diesen Betrag überwies der Kläger im Anschluss an die Abrechnung an die Beklagte.
Ab Februar 2009 gab es Kurzarbeit im Betrieb der Beklagten. Dazu existiert ein Schriftstück vom 26. Januar 2009 mit der Überschrift
„Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit im Unternehmen F. G. GmbH mit Wirkung vom 01.02.2009 bis 07/2009 (erster Antrag)”,
in dem es heißt:
„Hiermit treffen die F. G. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Herrn F. S., und folgende Mitarbeiter, als Arbeitnehmer
folgende Vereinbarung:
Mit Wirkung vom 01.02.2009 wird im Unternehmen F. G. GmbH Kurzarbeit auf Grund von Auftragsmangel infolge wirtschaftlicher Ursachen eingeführt.
Die / der Arbeitnehmer wurde von Herrn S. darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Kurzarbeit ab 01.02.009 im Unternehmen beginnt und die / den Arbeitnehmer betrifft, d. h. sie / er kurzarbeiten wird.
Die Höhe der Kurzarbeit wird individuell nach Auftragslage festgelegt, beträgt jedoch mindestens 10 Prozent des monatlichen Bruttoarbeitsentgelts.
Die / der Arbeitnehmer wurde darüber unterrichtet, dass die maximale Bezugszeit von Kurzarbeitergeld den Monat 08/2010 (18 Monate) umfasst, der erste Antrag bis zum August 2009 gestellt wird und bei Bedarf verlängert werden kann und das das Unternehmen alles daran setzt, um die Kurzarbeit so früh wie möglich zu beenden.
Die Abrechnung der Bezüge während der Kurzarbeit wird nach den gesetzlichen Erfordernissen im Unternehmen erfolgen und auf der jeweiligen Lohn- und Gehaltsabrechnung dargestellt.”
Dieses Schriftstück ist auf der ersten Seite von der Beklagten, auf der zweiten Seite von 22 Arbeitnehmern, darunter dem Kläger, unterschrieben wo...