Entscheidungsstichwort (Thema)

Renten- und Arbeitslosenversicherung. abhängige Beschäftigung eines Fremdgeschäftsführers auch bei Ausschluss jeglicher Weisungsunterworfenheit gegenüber Gesellschafterversammlung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Geschäftsführer einer GmbH ohne Anteile am Gesellschaftsvermögen (Fremdgeschäftsführer) ist bei der GmbH auch dann abhängig tätig (Beschäftigter), wenn in seinem Geschäftsführervertrag jegliche Weisungsunterworfenheit, auch der Gesellschafterversammlung gegenüber, ausgeschlossen wird. Diese schuldrechtliche Stellung (Dienstvertrag) ist von der gesellschaftsrechtlichen Organstellung als Geschäftsführer, die durch ein umfassendes Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung geprägt wird (§ 37 GmbHG), zu trennen. Beide Rechtsverhältnisse stehen rechtlich selbstständig nebeneinander und sind rechtlich unabhängig voneinander nach den jeweiligen, dafür geltenden Vorschriften zu beurteilen.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsatz vgl BSG vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R = BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35.

 

Normenkette

SGB IV § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 S. 1, §§ 7a, 28a Abs. 4, §§ 28d, 28e, 28h Abs. 2 S. 1, § 28p Abs. 1 Sätze 1, 5; GmbHG § 6 Abs. 1, § 37 Abs. 1-2, § 38 Abs. 1, § 39 Abs. 2, § 47 Abs. 4 S. 2; BGB §§ 181, 611, 626 Abs. 1; SGB III § 25 Abs. 1 S. 1, §§ 342, 359 Abs. 1 S. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1, § 162 Nr. 1; SGB X §§ 31, 89 Abs. 5, § 93; SGG § 75 Abs. 2, §§ 183, 193, 197a

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.01.2020; Aktenzeichen B 12 R 28/19 B)

 

Tenor

Die Berufungen der Klägerin und des Beigeladenen zu 1 gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10.12.2018 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Berufungskläger wenden sich gegen die Feststellung von Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung in Bezug auf die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 und Berufungskläger zu 2 als Geschäftsführer der Klägerin und Berufungsklägerin zu 1 sowie die Nachforderung entsprechender Beiträge und der Insolvenzgeldumlage für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.12.2016 in Höhe von insgesamt 78.401,82 €.

Die Klägerin betrieb und betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) seit 1989 den Handel mit Bürobedarf, Büromöbeln und Büromaschinen aller Art, seit Anfang 2017 mit den Geschäftsfeldern Handel mit Bürobedarf, Bürotechnik und Büromöbeln, nebst allen damit zusammenhängenden Dienstleistungen. Das Stammkapital von anfangs 200.000,00 DM hatte allein der am 21.05.1942 geborene B. W., der Vater des Beigeladenen zu 1, übernommen. Er war anfangs auch alleiniger Geschäftsführer. Nach § 5 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages vom 13.12.1989 hatte die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer, wobei im Falle mehrerer Geschäftsführer eine gemeinschaftliche Vertretung bzw. eine Vertretung mit einem Prokuristen vorgesehen war. Einzelnen Geschäftsführern konnte aber die Befugnis zur Alleinvertretung sowie Befreiung von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erteilt werden. Nach § 6 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrages wurden Gesellschafterbeschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, wobei (§ 8 Nr. 1) je 100,00 DM eines Geschäftsanteils eine Stimme gewährten. Hinsichtlich des genauen Inhalts des Gesellschaftsvertrages wird auf Bl. I/52 der Verwaltungsakte (VA) Bezug genommen.

Der am1969 geborene Beigeladene zu 1 war ab 01.09.1990 in der GmbH beschäftigt und baute zusammen mit seinem Vater das Unternehmen auf. Er ist seit dem 01.07.2005 neben seinem Vater als Geschäftsführer tätig. Die beiden Geschäftsführer teilten die Geschäftsfelder der Klägerin untereinander auf. Während der Beigeladene zu 1 für den Bereich Möbel (einschließlich Projektplanung und Durchführung, inklusive Reklamation) und den Bereich Büromaschinen und Bürotechnik zuständig war, übernahm sein Vater den gesamten Bereich Bürobedarf und Papeterie (Bl. 16a LSG-Akte). Jeder Geschäftsführer agierte in seinem Geschäftsbereich frei, Weisungen wurden nicht erteilt. Miteinander abgesprochen wurden die Lieferanten (Bl. 16a LSG-Akte).

Grundlage der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 für die Klägerin war und ist der Geschäftsführervertrag vom 28.06.2005, der auf unbestimmte Zeit geschlossen ist und von beiden Seiten mit einer Frist von zwölf Monaten zum Ende eines Jahres gekündigt werden kann. § 1 des Vertrages lautet: „Der Geschäftsführer übernimmt ab dem 01.07.2005 die Stellung als Geschäftsführer der Gesellschaft und vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich allein. Der Geschäftsführer handelt in eigener Verantwortung und ist der Gesellschafterversammlung gegenüber nicht haftbar zu machen. Dem Geschäftsführer wird aufgrund seiner ausgezeichneten fachlichen Kompetenz und seiner Erfahrung keine Einschränkung aufgelegt, er kann frei schalten und walten ohne jegliche Einschränkungen, der Geschäftsführer ist somit an keine Weisungen anderer Geschäftsführ...

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