Orientierungssatz
Parallelentscheidung zum Urteil des LSG Stuttgart vom 22.11.2007- L 7 AY 4504/06, das vollständig dokumentiert ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. April 2006 abgeändert und der Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 9. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember 2005 verurteilt, den Klägern unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen für die Zeit vom 3. September bis 13. Dezember 2005 Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII zu erbringen.
Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren höhere Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der 1970 geborene Kläger zu 1 und die 1976 geborene Klägerin zu 2 sind verheiratet und Eltern der 1993, 1995, 1996 und 2000 geborenen Kläger zu 3 bis 6. Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige und stammen aus dem Kosovo. Sie gehören zur Minderheitengruppe der Ashkali. Die Kläger zu 1 bis 5 reisten im Februar 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein, der Kläger zu 6 wurde im Bundesgebiet geboren. Die Asylanträge der Kläger zu 1 bis 5 sind unanfechtbar abgelehnt seit dem 26. September 2001. Der Asylfolgeantrag des Klägers zu 4 vom 28. November 2005 blieb ebenso erfolglos (Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2005) wie ein im April 2005 für den Kläger zu 6 eingeleitetes Asylverfahren (Bescheid vom 19. Mai 2005). Sämtliche Kläger sind vollziehbar ausreisepflichtig. Die Kläger waren zunächst in einer Sammelunterkunft für Asylbewerber untergebracht, seit dem 14. November 2002 bewohnen sie eine eigene Wohnung. Sie sind im Besitz von Duldungen der Ausländerbehörde und beziehen seit Februar 1999, der Kläger zu 6 seit Geburt, Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG.
Laufende Leistungen wurden den Klägern u. a. mit Bescheid vom 8. Februar 2005 für Februar 2005 bewilligt. Mit Bescheid vom 22. August 2005 bewilligte der Beklagte die Vorstellung der Klägerin zu 2 und des Klägers zu 6 bei einem Augenarzt. Mit Schreiben vom 31. August 2005, eingegangen beim Beklagten am 3. September 2005, erhob der Bevollmächtigte für die Kläger Widerspruch und wandte sich gegen die Erbringung der Leistungen nach Maßgabe der §§ 3 bis 7 AsylbLG; die Kläger hätten gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG Anspruch auf Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII. Sofern der Widerspruch nicht fristgerecht sei, solle er als Antrag auf Gewährung höherer Leistungen behandelt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2005 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Kläger seien nicht nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII leistungsberechtigt, da sie die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätten. Sie seien ihrer Ausreisepflicht aus § 50 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht nachgekommen, obwohl weder Ausreisehindernisse noch Abschiebungsverbote gegeben seien. Insbesondere habe das Innenministerium Baden-Württemberg mit Erlass vom 23. Mai 2005 den Ausländerbehörden mitgeteilt, dass die freiwillige Ausreise von Angehörigen der Minderheit der Ashkali in den Kosovo möglich und zumutbar sei, auch Abschiebungen seien wieder möglich. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe festgestellt, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nicht vorlägen. Wenn die Kläger dennoch nicht die Bundesrepublik Deutschland verließen, handelten sie rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG.
Hiergegen richtet sich die am 27. Dezember 2005 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage, mit welcher die Kläger für den Zeitraum vom 3. September 2005 bis 15. Dezember 2005 Leistungen in analoger Anwendung des SGB XII unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen begehren. Zur Begründung verweisen sie auf die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 15. November 2005 (L 7 AY 4413/05 ER-B - ≪juris≫), in welcher für ethnische Minderheiten aus dem Kosovo Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 AsylbLG verneint worden sei. Insbesondere sei unerheblich, ob möglicherweise eine freiwillige Ausreise möglich sei.
Mit Urteil vom 7. April 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, § 2 Abs. 1 AsylbLG sei so zu verstehen, dass die Berechtigten während der gesamten 36-Monats-Frist ihren Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich selbst verlängert haben dürften. Vorliegend seien die Kläger zwar von März 2004 bis Mai 2005 nicht rechtsmissbräuchlich ihrer Ausreisepflicht nicht nachgekommen, damit seien jedoch lediglich 15 Monate auf die 36-Monats-Frist anzurechnen. Bereits in der "bloßen Nichtausreise" liege ein Verstoß gegen das gesetzliche Gebot aus § 50 Abs. 2 AufenthG, so dass in dem Unterlassen der Ausreise ein Rechtsverstoß liege...