Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer. typisierende Betrachtungsweise. Unerheblichkeit einer späteren Berichtigung von Falschangaben. Vollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen
Leitsatz (amtlich)
Falsche Angaben über die Identität und Staatsangehörigkeit stehen auch dann als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer der Gewährung von sog Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG entgegen, wenn die falschen Angaben mittlerweile berichtigt worden sind und sich der Betroffene über einen längeren Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland aufhält.
Orientierungssatz
Ein Zusammenhang zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer ist allerdings dann zu verneinen, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R = BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Mai 2013 aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von sogenannten Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i.V.m. dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) an Stelle von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für August und September 2012.
Der Kläger zu 1 ist 1970, die Klägerin zu 2 1977, der Kläger zu 3 2000, die Klägerin zu 4 2003 und der Kläger zu 5 2005 geboren. Die Kläger zu 3 bis 5 sind die gemeinsamen Kinder der Kläger zu 1 und 2. Alle Kläger sind Staatsangehörige der Libanesischen Republik. Die Kläger zu 1 bis 3 reisten am 2. September 2002 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten hier am 12. September 2002 unter Angabe falscher Personalien und unter der Behauptung, irakische Staatsangehörige zu sein, Asyl. Sie gaben an, über keine Pässe zu verfügen; diese hätten sie bei der Einreise den Schleusern übergeben. Die Asylanträge wurden vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 7. März 2003 abgelehnt; zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) sowie Abschiebungshindernisse nicht vorliegen. Die Kläger zu 4 und 5 sind in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Die Kläger bezogen seit ihrer Einreise bzw. - die Kläger zu 4 und 5 - seit ihrer Geburt Leistungen nach § 3 AsylbLG, zeitweilig auch Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Die Kläger zu 1 und 2 haben weitere, in den Jahren 1994, 1995 und 1996 geborene Kinder, die im streitgegenständlichen Zeitraum über Duldungen nach § 25a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verfügten, Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen und nicht am vorliegenden Verfahren beteiligt sind. Die Kläger lebten zunächst in Bad Wurzach (Landkreis Ravensburg) und zogen im August 2012 nach Hockenheim (Rhein-Neckar-Kreis). Mit Wirkung zum 14. März 2013 sind den Klägern Duldungen nach § 25a AufenthG erteilt worden.
Am 14. September 2007 legten die Kläger zu 1 und 2 Auszüge des libanesischen Familienregisters, am 21. Juli 2009 bereits im Jahr 2002 ausgestellte Nationalpässe bei der zuständigen Ausländerbehörde vor.
Das beklagte Land (im Folgenden: der Beklagte) bewilligte den Klägern auf ihren Antrag vom 27. Juli 2012 mit Bescheid vom 24. September 2012 Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG für August 2012 in Höhe von 2.210,98 € und für September 2012 in Höhe von 815,36 €. Die Kläger zu 1 und 2 hätten die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Über die Leistungen ab Oktober 2012 könne erst nach Vorlage der Nettoverdienstbescheinigung des Klägers zu 1 für September 2012 entschieden werden.
Hiergegen erhoben die Kläger am 24. September 2012 Widerspruch. Sie hätten die Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise beeinflusst, denn mittlerweile lägen libanesische Originaldokumente vor. Zudem hätten sie bei der zuständigen Botschaft die Erteilung von Heimreisedokumenten beantragt. Auch die zuständige Ausländerbehörde habe die notwendigen Heimreisedokumente bislang nicht erhalten. Diese könne nicht zu ihren Lasten gehen.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2012 zurück. Die Kläger hätten bei ihrer Einreise gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (richtig: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) falsche Identitäten (Name und Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit) angegeben und diese Täuschung mindestens bis ins Jahr 2007 aufrechterhalten. Erst im Jahr 2007 seien Auszüge aus libanesischen Geburtsregistern vorgelegt worden. Der Kläger zu 1 habe hierdurch die Dauer seines Aufenthaltes rechtsmis...