Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Überprüfung einer Bewilligungsentscheidung. zeitliche Begrenzung der Überprüfungsentscheidung. Zulässigkeit der rückwirkenden Anwendung einer Gesetzesänderung
Orientierungssatz
1. Die mit Wirkung zum 1. August 2016 erfolgte Änderung des § 40 Abs. 1 SGB 2 in Bezug auf die zeitliche Begrenzung von Anträgen auf Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung kommt erst für Überprüfungsanträge zur Anwendung, die ab Inkrafttreten des Gesetzes gestellt wurden.
2. Gesetzliche Änderungen im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende wirken sich regelmäßig erst mit einer neuen Verwaltungsentscheidung auf ein bestehendes Verwaltungsrechtsverhältnis aus. Dagegen kommt die Änderung einer bereits getroffenen Entscheidung oder die Anwendung der Neuregelung auf ein bereits initiiertes Verwaltungsverfahren nur dann in Betracht, wenn dies im Änderungsgesetz ausdrücklich bestimmt ist. Insoweit wirken Verwaltungsentscheidungen auch bei Änderung einer Regelung fort.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 30. Juli 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides für Dezember 2009 in Höhe von 340 Euro.
Das Sozialgericht Cottbus hat mit Urteil vom 30. Juli 2018 die Klage abgewiesen: Der Bescheid vom 8. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2015 sei rechtmäßig. Voraussetzung für eine Überprüfung sei, dass die Verfallsfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung vom 26. Juli 2016 i. V. m. § 44 SGB X noch nicht abgelaufen sei. Dies sei jedoch der Fall. Der streitige Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21. Dezember 2009 betreffend den Monat Dezember 2009 sei jedenfalls vor dem 31. Dezember 2009 bekanntgegeben worden, so dass die Frist ab dem 1. Januar 2010 zu laufen begonnen habe. Die Frist sei am 1. Januar 2014 abgelaufen. Der Überprüfungsantrag sei erst am 2. November 2014 und somit außerhalb der Frist gestellt worden. Auch wenn man vom Überprüfungsantrag zurückrechne und somit auf den 1. Januar 2014 abstelle, seien Leistungen nur ab dem 1. Januar 2010 überprüfbar. Eine Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides scheitere daher bereits an der vierjährigen Verfallsfrist. § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei auch auf Überprüfungsanträge anzuwenden, die vor dem 1. August 2016 gestellt worden seien, da es an einer Übergangsvorschrift im SGB II fehle. Ändere sich nach Erlass des Verwaltungsakts das für diesen maßgebliche Recht, so habe die Sozialgerichtsbarkeit das neue Recht vom Zeitpunkt des Inkrafttretens anzuwenden. Auch die Grundsätze des intertemporalen Rechts geböten keine andere Bewertung. Nach diesen Vorschriften richte sich bei Fehlen von Übergangsvorschriften der Sachverhalt grundsätzlich nach dem Recht, das zurzeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten habe, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht stillschweigend oder ausdrücklich etwas anderes vorschreibe. Danach habe der Gesetzgeber jedenfalls stillschweigend eine sofortige Anwendung des § 40 Abs. 1 SGB II angeordnet. Der Wille des Gesetzgebers zur Anwendung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II komme insbesondere in der Bundestag-Drucksache 18/8909 S. 33 zum Ausdruck. Hier habe der Gesetzgeber nicht gewollt, dass aufgrund der Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Dezember 1996 - 11 RAr 31/96 und vom 13. Februar 2014 - B 4 AS 19/13 R Aufhebungs- und Erstattungsbescheide 30 Jahre lang verpflichtend zu überprüfen seien. Dieses Ergebnis sei nach der Gesetzesbegründung für den Bereich der Fürsorgeleistungen unbefriedigend und stelle aufgrund der Ausgestaltung der Fürsorgeleistungen im SGB II einen enorm hohen Verwaltungsaufwand für die Jobcenter dar. Diese stelle klar, dass der Gesetzgeber immer davon ausgegangen sei, dass die Verfallsklausel des § 44 Abs. 4 SGB X auch auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide Geltung habe entfalten sollen und eine Neuregelung nur deshalb notwendig geworden sei, weil die höchstrichterliche Rechtsprechung eine andere Auslegung vorgenommen habe. Der Gesetzgeber habe daher eine klarstellende Regelung in § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II geschaffen, die eine rückwirkende Inhaltsbestimmung innerhalb bisher durchaus möglicher Auslegungen einer Vorschrift darstelle. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts seien aufgrund des eindeutigen gesetzgeberischen Willens nicht anwendbar. Die Vorschrift sei daher zwingend ab dem 1. August 2016 in noch anhängigen Verfahren (im Rahmen der grundsätzlich zulässigen “unechten Rückwirkung„) anzuwenden. Das Gesetz sei verfassungskonform. Einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, dass für Anträge von Beteiligten, die nach dem bisherigen Verfahrensrecht eine schutzwürdige Position erlangt hätten, die es nach de...