Entscheidungsstichwort (Thema)

Anerkennung einer Beschäftigung im Ghetto als Beitragszeit nach dem ZRBG

 

Orientierungssatz

1. Die Anerkennung einer Beschäftigung in einem Ghetto als ZRBG-Beitragszeit setzt nach § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG voraus, dass die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag. Dazu genügt Glaubhaftmachung.

2. Für die Beschäftigungsaufnahme aus eigenem Willensentschluss ist es ausreichend, dass der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn es sich um eine vom Judenrat angebotene Arbeit gehandelt hat.

3. Als Entgelt i. S. von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b ZRBG gilt jegliche Entlohnung, auch in Form von Nahrungsmitteln oder Lebensmittelkarten oder Gutscheinen. Auf eine Mindesthöhe kommt es nicht an.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Mai 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2012 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, die Zeit der Beschäftigung des Versicherten Z M vom 01. Januar 1942 bis zum 31. August 1943 im Ghetto Bershad als ZRBG-Beitragszeit festzustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die der Klägerin entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu fünf Sechsteln zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Witwe des 1924 in C/Rumänien geborenen und 2015 in Israel verstorbenen Versicherten Z M (im Weiteren: Versicherter). Sie begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin von der Beklagten die Neuberechnung der Altersrente des Versicherten unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der Versicherte, der die israelische Staatsbürgerschaft besaß, ist als Verfolgter im Sinne von § 1 des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG) vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 562) anerkannt. Mit Feststellungsbescheid C vom 29. August 1963 hatte das Bezirksamt für Wiedergutmachung Koblenz festgestellt, dass der Versicherte Verfolgter im Sinne des § 1 BEG ist und aufgrund der von Juli 1941 bis März 1944 erlittenen Verfolgung (Sterntragen im Ghetto) aus Gründen der Rasse einen Schaden an Freiheit erlitten und damit einen Anspruch auf Entschädigung für 31 Monate in Höhe von 4.650,- DM habe.

Im Juni 1983 beantragte er bei der Beklagten die Zulassung zur Entrichtung freiwilliger Beiträge und am 30. Dezember 1986 die Gewährung eines Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG).

Mit Bescheid vom 22. Oktober 1991 ließ die Beklagte den Versicherten entsprechend seines konkretisierten Antrages gemäß Art. 12 der Durchführungsvereinbarung zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen zur Nachtentrichtung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vom 01. Januar 1956 bis zum 30. Juni 1980 in Höhe von 83.544,- DM zu, welche der Versicherte am 15. April 1992 auch durchführte.

Mit Bescheid vom 25. Januar 1993 gewährte die Beklagte dem Versicherten ab dem 01. Juni 1989 Altersruhegeld (1.592,87 DM netto monatlich ab dem 01. April 1993) mit einer Nachzahlung für den Zeitraum vom 01. Juni 1989 bis zum 31. März 1993 in Höhe von 69.268,83 DM.

Im Dezember 2010 stellte der Versicherte bei der Beklagten einen Antrag auf Anerkennung von Versicherungszeiten für die Beschäftigung im Ghetto einschließlich Ausfall- und Ersatzzeiten und Zahlung einer sich daraus ergebenden Altersrente. Soweit bereits frühere Versicherungszeiten angerechnet worden seien, stelle er einen Antrag auf Überprüfung des Sachverhaltes gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nach Maßgabe der Vorschriften des ZRBG.

Auf Anfrage der Beklagte beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV), ob der Versicherte dort einen Antrag auf eine Anerkennungsleistung nach der "Richtlinie der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war und bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung geblieben ist" gestellt hat, übersandte die Bezirksregierung Düsseldorf (Bundeszentralkartei) der Beklagten im Februar 2011 zwei dort gestellte Anträge in Kopie.

Der eine Antrag - ohne Datum - lautet auf den Namen “M, Z„ und ist mit “M Z„ unterschrieben. Als Geburtsname ist handschriftlich “M„, als Geburtsort “(B) N„ und als Geburtsdatum der “1924„ angegeben. Nach den dortigen Angaben hielt sich der Versicherte von 1941 bis 1944 im Ghetto Bershad auf, wo er von 1942 bis 1943 im Wald außerhalb des Ghettos beim Holzschneiden gearbeitet habe. Der Versicherte kreuzte in dem Antrag unter Punkt 4.4 zu der Frage “Wie kam...

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