Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Arzt. schichtweise Tätigkeit für die Polizei in deren Gewahrsamsstellen. Rahmenvertrag. Pauschalvergütung. Eingliederung in die betriebliche Organisation. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zum versicherungsrechtlichen Status eines Arztes, der schichtweise für die Polizei in deren Gewahrsamsstellen Blutentnahmen und Verwahrfähigkeitsuntersuchungen vornimmt (hier bejaht).
2. Eine Pauschalvergütung je Tag- oder Nachtdienst, die sich nur bei besonderen Belastungen - hier: mehr als zwei Blutentnahmen/Verwahrfähigkeitsuntersuchungen pro Schicht -, aber nicht durch besondere Anstrengungen des Erwerbstätigen erhöht und auch dann gezahlt wird, wenn ein Tag- oder Nachtdienst aus vom Auftraggeber zu vertretenden Gründen nicht geleistet werden kann, spricht für eine Beschäftigung.
3. Die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Erwerbstätige sich ohne vertragliche Verpflichtung höherwertige Arbeitsgeräte selbst beschafft.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 2017 wird zurückgewiesen.
Die durch den Termin am 16. Februar 2022 entstandenen Kosten werden dem Beigeladenen zu 1 auferlegt. Im Übrigen tragen der Kläger und die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1 (im Folgenden: der Beigeladene) aufgrund seiner Tätigkeit für das klagende Land im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis April 2018.
Die Beklagte befreite den Beigeladenen, einen Facharzt für Allgemeinmedizin, für diverse, jeweils konkret benannte Tätigkeiten in den Jahren 2012 bis 2018 - nicht aber die hier streitige - von der Rentenversicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Der Kläger, vertreten (damals) durch den Polizeipräsidenten in Berlin (heute: Polizei Berlin), schloss mit dem 1975 geborenen Beigeladenen am 14./20. Januar 2014 einen Vertrag „über die Tätigkeit als freier Mitarbeiter“ mit im Wesentlichen folgenden Inhalt:
„§ 1 Vertragsgegenstand
(1) Der freie Mitarbeiter wird als Arzt für den Polizeipräsidenten in Berlin tätig, indem sie/er in den Gewahrsamsstellen Blutentnahmen und Verwahrfähigkeitsuntersuchungen durchführt. Durch diesen Vertrag wird ein Arbeitsverhältnis nicht begründet.
(2) Die Dienstleistung wird so durchgeführt, wie sie im Handlungsleitfaden für beauftragte Ärztinnen und Ärzte der Polizei Berlin detailliert geregelt ist. Dem freien Mitarbeiter sind die dort beschriebenen Verfahrensweisen für die Blutentnahmen und Untersuchungen bekannt. Diese gelten als vereinbart. Der freie Mitarbeiter führt die ihm übertragenen Untersuchungen in eigener Verantwortung unter Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst durch.
(3) Der freie Mitarbeiter kann seine Tätigkeit monatlich im Voraus für frei wählbare Gewahrsamsstellen und Einsatztage anbieten. Danach werden die Angebote des freien Mitarbeiters mit denen der anderen freien Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter koordiniert und durch den Ärztlichen Dienst Einsatzpläne aufgestellt. Der freie Mitarbeiter kann Angebote des Ärztlichen Dienstes ablehnen. Er kann umgekehrt nicht verlangen, dass der freie Mitarbeiter seine Leistungen anbietet.
(4) Die Dienstleistung erbringt der freie Mitarbeiter jeweils in der Zeit von 07:00 Uhr bis 19:00 Uhr (Tagesdienst) auf Benachrichtigung im Einzelfall hin bzw. in der Zeit seiner Anwesenheit von 19:00 Uhr bis 07:00 Uhr (Nachtdienst) in der jeweiligen Gewahrsamsstelle. Während der Zeit des Nachtdienstes besteht Anwesenheitspflicht.
(5) Sondereinsätze und/oder Rufbereitschaften finden in einem vorher zeitlich nicht genau bestimmbaren Rahmen statt, wobei meist nur der Dienstbeginn festgelegt werden kann. Diese Dienste werden dem freien Mitarbeiter durch den Ärztlichen Dienst angeboten. Diese Angebote kann der freie Mitarbeiter ablehnen.
(6) Für die medizinische Mindestversorgung wird dem freien Mitarbeiter eine Medikamententasche zur Verfügung gestellt. Für das Auffüllen bzw. den Austausch der Tascheninhalte (z.B. Verfallsdatum) wendet sich der freie Mitarbeiter rechtzeitig an den Sanitätseinsatzdienst - ZSE I D 123 - im Gewahrsam Tempelhof. Die Tasche ist bei Beendigung des Vertrages unverzüglich zurückzugeben.
§ 2 Vergütung
(1) Für den Bereitschaftsdienst in der Zeit von 07:00 Uhr bis 19:00 Uhr erhält der freie Mitarbeiter eine Pauschale in Höhe von 110,00 €.
Sie beinhaltet die ersten beiden Blutentnahmen oder Verwahrfähigkeitsuntersuchungen sowie die Kosten für die An- und Abfahrt.
Für jede weitere Blutentnahme oder Verwahrfähigkeitsuntersuchung wird zusätzlich zu der Pauschale ein Honorar in Höhe von 55,00 € gezahlt. Darin sind ebenfalls die Kosten für die An- und Abfahrt enthalten.
(2) Für die Anwesenheit in einer Gewahrsamsstelle in der Zeit ...