Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Hinterbliebenenrente wegen verschwiegener Wiederheirat
Orientierungssatz
1. Voraussetzung der Gewährung von Hinterbliebenenrente nach § 46 SGB 6 ist, dass die Witwe oder der Witwer nicht wieder geheiratet hat.
2. Hat der Witwer es unterlassen, den Rentenversicherungsträger über seine geschlossene Ehe zu unterrichten, so ist das Verschweigen zumindest als grob fahrlässig zu bewerten.
3. Bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit kann der Bewilligungsbescheid nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB 10 noch bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden.
4. Ein ergangener Verwaltungsakt ist i. S. von § 33 SGB 10 hinreichend bestimmt, wenn der Empfänger dessen Inhalt bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen konnte und musste.
5. Bei Insolvenz des dem Rentenversicherungsträger gegenüber Erstattungspflichtigen hat der Versicherungsträger die Befugnis, eine im Prüfungstermin bestrittene Insolvenzforderung durch Bescheid festzustellen. Er ist nicht verpflichtet. die Insolvenzforderung durch Feststellungsklage vor dem Sozialgericht geltend zu machen (BSG Urteil vom 17. 5. 2001, B 12 KR 32/00 R).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. November 2019 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2016 wird dahingehend abgeändert, dass eine Erstattungsforderung lediglich festgestellt wird.
Die Klage wird im Übrigen abgewiesen, die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind weder für das Klage- noch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist eine Rücknahme und Erstattung von Hinterbliebenenrente.
Der Kläger ist am ... 1961 geboren und Witwer der am ... 1998 verstorbenen M.F. (im Folgenden: Versicherte), die bei der Beklagten rentenversichert war. Er war vom ... 1993 bis zum Versterben mit der Versicherten verheiratet.
Am 6. November 1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Diese wurde dem Kläger gewährt und ruhte ab Oktober 1998 wegen einer Einkommensanrechnung.
Der Kläger heiratete am ... 2000 erneut (J.B.). Die Ehe wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 6. Dezember 2010, rechtskräftig seit dem ... 2011, geschieden. Der Kläger bezog mittlerweile Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zwischenzeitlich wurde sein Sohn A. am ... 2010 geboren. Als Mutter wurde eine Frau G.K. genannt, die die der Beklagten bis dahin nicht die bekannte weitere Ehefrau des Klägers war.
Am 15. April 2011 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Hinterbliebenenrente, konkret der Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten, die ihm mit Bescheid vom 6. Mai 2011 zum 1. März 2011 gewährt wurde. Im Antragsformular gab er an, dass er bereits einmal verheiratet war. Er legte die Unterlagen über seine Ehe mit J.B. sowie den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg über die Scheidung vom 6. Dezember 2010 vor.
Im Bescheid vom 6. Mai 2011 führte die Beklagte aus, dass die frühere Ehefrau und Versicherte am ... 1998 verstorben sei und die nach deren Tod eingegangene weitere Ehe am ... 2011 aufgelöst worden sei. Unter der Überschrift „Ich möchte heiraten oder eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen. Wie wirkt sich das auf die Rente aus?“ wies die Beklagte darauf hin, dass eine Eheschließung unverzüglich mitzuteilen ist. Mit Bescheid vom 6. Juni 2011 berechnete die Beklagte die Rente neu ab dem 1. April 2011 wegen einer Änderung im Krankenversicherungsverhältnis. Mit Bescheid vom 14. Juni 2011 berechnete die Beklagte die Hinterbliebenenrente wiederum wegen einer Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses neu ab dem 1. März 2011.
Am 13. Juni 2014 wurde der Beklagten von der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers mitgeteilt, dass der Kläger ggfs. wiederverheiratet sei und deshalb der Status der Familienversicherung greifen könne. Auf eine entsprechende Anfrage der Beklagten teilte der Kläger telefonisch mit, dass er keine Heiratsurkunde vorlegen könne, da er nicht erneut geheiratet habe. Seine Lebensgefährtin habe bei der Krankenkasse irrtümlich vom Ehemann gesprochen und die Familienversicherung beantragt, da sie die deutschen Gesetze nicht kenne. Nach telefonischer Rücksprache mit der Krankenkasse des Klägers ergab sich, dass er dort mitgeteilt hat, er habe nach muslimischem Recht in einer Moschee geheiratet.
Nachdem der Kläger auf weitere Ermittlungsversuche der Beklagten nicht reagierte, versagte ihm diese mit Bescheid vom 2. September 2014 die Hinterbliebenenrente ab dem 1. Oktober 2014 in voller Höhe.
Auf den Bescheid meldete sich der Kläger telefonisch und teilte mit, es gebe keine Heiratsurkunde. Jeder Imam von jeder Moschee könne das bestätigen. Er komme vorläufig nicht mehr dorthin, wo er geheiratet habe. Die Daten seiner Lebensgefährtin könne er aus Datensch...