Entscheidungsstichwort (Thema)
Untätigkeitsklage. Untätigkeit der Widerspruchsbehörde. Vertragsarztrecht. Richtgrößenprüfung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. schlüssige Darlegung eines zureichenden Grundes iS des § 88 Abs 1 SGG. keine dauerhafte Berufung auf mangelnde Ausstattung. Aufstockung von Personal
Orientierungssatz
1. Ein Amtswalter darf sich nicht dauerhaft - also auch nach Jahren seit der Übernahme zusätzlicher Verfahren - darauf berufen, zur Aufgabenerfüllung mangels ausreichender Ausstattung mit den erforderlichen Mitteln nicht in der Lage zu sein (so auch BSG vom 8.12.1993 - 14a RKa 1/93 = BSGE 73, 244 = SozR 3-1500 § 88 Nr 1).
2. Zur Darlegung eines zureichenden Grundes iS des § 88 Abs 1 SGG muss die Behörde darlegen, dass sie das ihr Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um trotz gestiegenen Geschäftsanfalls die Sache zeitgerecht zu erledigen (vgl BSG aaO). Zu den zumutbaren Möglichkeiten gehört insbesondere auch die Aufstockung von Personal.
3. Zur Untätigkeitsklage wegen Untätigkeit einer Widerspruchsbehörde (hier im Hinblick auf eine Richtgrößenprüfung im Vertragsarztrecht).
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 12. Juli 2013 aufgehoben.
Gründe
Im der Beschwerde zugrunde liegenden Hauptsachverfahren streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitens der Richtgrößen nach § 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 hat der Prüfungsausschuss Niedersachsen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen der Richtgrößenprüfung für das Jahr 2005 gegen den Kläger einen Regress iHv 11.067,53 Euro festgesetzt. Gegen den Bescheid hat der Kläger am 22. Oktober 2007 Widerspruch eingelegt und am 26. September 2012 Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben.
Der Beklagte hat seine Untätigkeit damit begründet, dass zurzeit die Widersprüche zu den Richtgrößenprüfungen 2003 und 2004 bearbeitet würden. Dass die Bearbeitung in chronologischer Reihenfolge geschehe, sei dem Kläger bekannt. Die verschiedentlichen Änderungen des gesetzgeberischen Willens seit dem Ergehen des Regressbescheides vom 11. Dezember 2008 und die fehlende Klarheit der neuen Normierungen für die praktische Umsetzung hätten zu Verzögerungen geführt. Als “prominenteste„ Änderungen des gesetzgeberischen Willens sei auf das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG), das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) zum 1. November 2011 sowie das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) hinzuweisen. Der Beklagte habe zudem aufgrund von gerichtlichen Entscheidungen das Prüfverfahren umstellen müssen. Die Erstellung eines neuen “Prüftools„ sei sehr zeitaufwendig. Wegen der Gesetzesänderungen und der neuen zu berücksichtigenden Rechtsprechung sei ein weiterer Zeitraum auf die Bearbeitungsdauer aufzuschlagen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Verfahren der Richtgrößenprüfung 2003 habe ca vier Jahre betragen. Seit Aufnahme der Tätigkeit am 1. Oktober 2004 habe der Beklagte zunächst eine sehr große Anzahl an Altverfahren seines Rechtsvorgängers abzuarbeiten gehabt. Der Vorgang der Übernahme von Verfahren des Rechtsvorgängers habe sich zum 1. Januar 2010 mit der erweiterten Zuständigkeit des Beklagten für die Verfahren des Sprechstundenbedarfs ergeben. In diesem Zusammenhang seien gut 3.700 Verfahren vom Rechtsvorgänger übernommen worden, wobei ca 500 Verfahren Prüfquartale betroffen hätten, die vor dem Prüfungsjahr der streitgegenständlichen Richtgrößenprüfung gelegen hätten. Zudem habe es noch weitere Verfahren des Sprechstundenbedarfs gegeben, die noch länger in der Widerspruchsinstanz anhängig gewesen seien als die Verfahren der Richtgrößenprüfung 2005 und 2006. Des Weiteren hat der Beklagten seine Untätigkeit damit begründet, dass er selbst neben seinen Mitgliedern über keine personelle Ausstattung verfüge.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat mit Beschluss vom 12. Juli 2013 das Verfahren gemäß § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bis zum Ablauf des 31. Oktober 2014 ausgesetzt. Für die Untätigkeit des Beklagten liege ein zureichender Grund vor. Aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Gesetzesänderungen und aufgrund der Komplexität des Richtgrößenverfahrens sei dem Beklagten eine Bearbeitung des Widerspruchs erst innerhalb von 15 Monaten möglich.
Gegen den am 23. Juli 2013 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 23. August 2013 Beschwerde bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit der Begründung eingelegt, dass ein zureichender Grund für die Untätigkeit nicht gegeben sei.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft.
Nach § 172 Abs 1 SGG findet gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz etwas...