Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. versuchte Erpressung. Erpresserschreiben an Haustür. Androhung der Tötung der Kinder. Morddrohung. Drohung mit Brandstiftung. Angstzustände beim Opfer. kein tätlicher Angriff. keine Kraftentfaltung gegenüber einer Person. Psychischer Gesundheitsschaden

 

Orientierungssatz

1. Ein tätlicher Angriff iS von § 1 Abs 1 OEG ist grundsätzlich nur bei einer gegen die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person gerichteten Kraftentfaltung anzunehmen (hier verneint bei Androhung der Tötung des Opfers und dessen Kindern sowie Drohung mit Brandstiftung und Vergiftung).

2. Dass die Handlungen des Täters womöglich geeignet sein könnten, psychische Folgen beim Opfer zu hinterlassen, genügt für die Annahme eines tätlichen Angriffs nicht (vgl BSG vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R = BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 und vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R = BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18).

 

Normenkette

OEG § 1 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 10. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zustehen.

Die 1968 geborene Klägerin ist als selbständige Apothekerin tätig und hat im Jahr 2010 mit ihrem Ehemann und ihren beiden 2002 bzw. 2005 geborenen Kinder in einem Haus in I. gewohnt. Der in ihrer Nachbarschaft wohnhafte J. (im Folgenden : Täter) hat sich in der Zeit zwischen dem 25. Februar und 18. März 2010 nacheinander mit fünf Erpresserschreiben an die Klägerin gewandt. Eines der Schreiben war an der Terrassentür des Privathauses der Klägerin befestigt, zwei wurden in den Briefkasten ihrer Apotheke eingeworfen, eines hinter den Scheibenwischer ihres Pkw geklemmt und ein weiteres in den Briefkasten eines Nachbarn eingeworfen. Hierin wurden Forderungen in Höhe von zunächst 8.500,00 €, später 9.000,00 € erhoben. Für den Fall der Nichtzahlung wurden in den Schreiben mit drastischen Worten die Tötung der Kinder der Klägerin sowie die Tötung der Klägerin angekündigt. Darüber hinaus wurde angedroht, ihr Haus in Brand zu stecken, Gift in Lebensmittelgeschäften auszubringen sowie Attentate auf fahrende Autos zu verüben. Die Klägerin wandte sich von Anfang an an die Polizei. Unter deren Mitwirkung hinterlegte sie mehrfach Geldpakete an den von dem Täter bestimmten Orten, die dieser jedoch aus Angst vor Entdeckung jeweils nicht abholte. Die Erpressungen endeten mit einer am 18. März 2010 bei dem Täter durchgeführten polizeilichen Durchsuchung.

Im November 2010 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz und gab zur Begründung an, sie leide unter massiven psychischen Schäden. Bei ihr bestünden Angstzustände, Schlafstörungen und eine posttraumatische Belastungsstörung.

Der Beklagte lehnte die Gewährung von Versorgung mit Bescheid vom 23. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2011 ab. Versorgung nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes werde für Folgen eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gewährt. Ein tätlicher Angriff setze eine unmittelbar auf die körperliche Integrität in feindlicher Absicht abzielende Aktion voraus. Eine solche habe nicht vorgelegen. Insbesondere stelle das Drohen mit künftigen Gewalttaten keinen Angriff i.S. der maßgeblichen Vorschriften dar.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Braunschweig erhoben und den Anspruch auf Leistungen weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, sie sei Opfer einer Gewalttat geworden. Das Sozialgericht hat die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Braunschweig beigezogen und die Klage dann mit Urteil vom 10. Juli 2012 als unbegründet abgewiesen. Die Annahme einer Gewalttat setze grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegenüber einer Person voraus. Nicht entschädigungspflichtig seien solche Taten, die allein durch eine intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung geschähen.

Gegen das ihr am 22. August 2012 zugestellte Urteil wendet sich die am 31. August 2012 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin, mit der sie den Anspruch weiter verfolgt. Nach ihrer Auffassung hat das Sozialgericht verkannt, dass die Handlungen des Täters massive seelische Gewalthandlungen gewesen seien, welche sie erheblich psychisch geschädigt hätten. Über einen längeren Zeitraum hin seien mehrere massive Bedrohungen und Erpressungsversuche durchgeführt worden. Es habe Tötungsdrohungen gegenüber den Kindern und der Klägerin gegeben. Der Täter habe sich auch mehrfach auf das Grundstück der Familie der Klägerin begeben und damit erheblich in ihre Privatsphäre eingegriffen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genüge für die Annahme einer Gewalttat bereits eine Drohung, wenn damit eine objektiv hohe Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Integrität des Opfers verbunden s...

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