Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer darlehensweisen Übernahme von Mietschulden bei unmöglicher Sicherung der gegenwärtigen Unterkunft. Einstweilige Anordnung. Räumungsurteil. Vollstreckung auch gegen den Mitbesitzer der Wohnung
Orientierungssatz
1. Eine darlehensweise Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB 2 ist ausgeschlossen, wenn eine längerfristige Sicherung der Unterkunft nicht mehr möglich ist. Das ist u. a. dann der Fall, wenn die Unterkunft bereits geräumt ist oder deren Räumung auch bei Übernahme der Rückstände nicht mehr abgewendet werden könnte.
2. Ist nach erhobener Räumungsklage der Wohnungsverlust auch bei einer Nachzahlung der Mietschulden nicht mehr abzuwenden, so besteht kein Anspruch mehr auf darlehensweise Übernahme der Mietschulden durch den Grundsicherungsträger.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 8; BGB § 569 Abs. 3; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.01.2016 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die von den Antragstellern beantragte einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen (hilfsweise durch Darlehensgewährung) zum Zwecke der Begleichung von Mietschulden ist unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Verhältnisse vom Sozialgericht im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes setzt mithin neben einem Anordnungsanspruch - im Sinne eines materiellrechtlichen Anspruches auf die beantragte Leistung - einen Anordnungsgrund - im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der vom Gericht zu treffenden Regelung - voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil es an einem Anordnungsanspruch fehlt. Die Voraussetzungen für die begehrte Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift können Mietschulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage erforderlich ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Eine Übernahme der Schulden ist hier schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil dadurch eine Sicherung der gegenwärtigen Unterkunft nicht mehr möglich wäre. Nach allgemeiner Ansicht ist eine Schuldenübernahme nicht gerechtfertigt, wenn die entsprechende Unterkunft bereits geräumt ist oder deren Räumung auch bei Übernahme der Rückstände nicht mehr abgewendet werden könnte und damit eine längerfristige Sicherung der Unterkunft nicht mehr zu erreichen ist (siehe Luik in Eicher, Kommentar zum SGB II, 3. Auflage, § 22 Rn. 248 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zur Übernahme von Mietschulden erfolgt nicht, um den Mieter von zivilrechtlichen Forderungen freizustellen oder um Ansprüche des Vermieters zu sichern. Zweck der Leistung ist allein die (längerfristige) Sicherung der Unterkunft. Ist dieser Zweck nicht mehr erreichbar (beispielsweise, weil die Wohnung schon geräumt wurde) oder kann dieser Zweck aus anderen Gründen nicht erreicht werden, ist es nicht gerechtfertigt, Steuermittel für eine allenfalls noch vorübergehende weitere Nutzung der Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
Eine Sicherung der Wohnung durch Übernahme der Mietschulden ist hier ausgeschlossen, weil das Mietverhältnis bereits gekündigt wurde und die Antragsteller zum Auszug verpflichtet sind. Das Amtsgericht Recklinghausen hat durch Versäumnisurteil vom 24.11.2015 die Antragstellerin zu 1) als alleinige Mietvertragspartei zur Räumung der betreffenden Wohnung verurteilt. Die Räumungsklage war unter dem 07.11.2015 zugestellt worden (siehe die Angaben der Antragsteller auf Seite 2 der Antragsschrift vom 15.12.2015). Damit ist nunmehr ausgeschlossen, dass die wegen Mietrückständen ausgesprochene Kündigung wegen des in § 569 Abs. 3 S. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelten Nachholrechts des Mieters unwirksam wird. Nach dieser Vorschrift wird eine Kündigung dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflicht...