Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Anerkennung einer Erkrankung durch Quecksilber oder durch dessen Verbindungen als Berufskrankheit nach Nr. 1302 BKV

 

Orientierungssatz

1. Zur Anerkennung einer Erkrankung durch Quecksilber oder dessen Verbindungen als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1102 BKV ist u. a. der Nachweis i. S. eines Vollbeweises erforderlich, dass der Versicherte schädigenden Einwirkungen i. S. der BK Nr. 1102 ausgesetzt war, die geeignet waren, eine Erkrankung hervorzurufen. Hierzu ist die Art und Menge der behaupteten Einwirkung von Quecksilber nachzuweisen. Nach dem Merkblatt zur BK Nr. 1102 ist auch eine akute Form der Erkrankung infolge des Einatmens größerer Mengen, gelegentlich auch durch orale Aufnahme von Quecksilberverbindungen möglich.

2. Die Anerkennung einer Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist, als Wie-BK soll nach § 9 Abs. 2 SGB 7 nur dann erfolgen, wenn die Voraussetzungen für eine Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist.

 

Normenkette

SGB VII § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; BKV Nr. 1102

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 27.06.2017; Aktenzeichen B 2 U 27/17 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.10.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 1102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV, Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen), Ziffer 1302 BKV (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) sowie einer Wie-BK nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).

Der am 00.00.1976 geborene Kläger war vom 16.05.2000 bis zum 31.10.2005, unterbrochen durch drei Forschungsaufenthalte in den USA, als Diplomand bzw. Doktorand beim Max-Planck-Institut für Kohlenforschung N (MPI) tätig, wobei die praktischen experimentellen Arbeiten im März 2003 abgeschlossen wurden. Nach eigenen Angaben war der Kläger zuvor bereits im März/April 2000 Praktikant beim MPI. Ausweislich einer Mitteilung von Prof. Dr. T, Direktor am MPI, unter dessen Leitung der Kläger tätig war, vom 03.07.2000 an Dr. T1, Institut für Anatomie der WWU N, habe der Kläger an diesem Tag wegen eines außer Kontrolle geratenen Versuchsansatzes dringend ins Institut kommen müssen, um die einzuleitenden Maßnahmen abzustimmen. Der Kläger habe daher am Anatomiekurs nicht teilnehmen können, da er (Prof. T) aus Sicherheitsgründen auf dessen Anwesenheit habe bestehen müssen. Zudem habe der Kläger bei Entsorgungsarbeiten Pyridin und Piperidin eingeatmet, worauf es zu Unwohlsein und später zu Durchfall und Erbrechen gekommen sei.

Unter dem 05.03.2009 erstattete das MPI eine Unternehmeranzeige bei Anhaltspunkten für eine BK und führte als Krankheitserscheinungen eine Störung des Immunsystems in Form multipler Allergien auf, asthmatische Erscheinungen nachts, ein stark ausgeprägtes Sicca-Syndrom (Augen, Nase, Mund, Ohren), apthöse Geschwüre in Mund, Nase, Magen und Genitalbereich, eine Polyneuropathie (insbesondere Hände, Füße und Unterschenkel), Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Bluthochdruck, Sensibilisierung gegenüber polychlorierten Biphenylen (PCB) sowie diverse Unverträglichkeiten auf Waschmittel, Parfüms, Deodorant usw. Der Beginn der Beschwerden werde vom Kläger und seinem behandelnden Facharzt Prof. Dr. N, wo der Kläger seit 13.07.2006 in Behandlung war, in zeitlichen Zusammenhang mit der Entsorgung von Chemikalien aus einem Kühlschrank im Frühjahr/Sommer 2000 im MPI gestellt.

Die Beklagte zog Befund- und Behandlungsberichte sowie Auskünfte der Krankenkasse des Klägers (TKK) über Leistungszeiten bei und holte eine Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung zur Arbeitsplatzexposition ein. Die Stellungnahme wurde von Dr. T2 und Dr. N1 am 21.09.2009 nach Gesprächen mit dem Kläger, Prof. Dr. T und Dr. U vom MPI sowie Herrn N2, Fachkraft für Arbeitssicherheit am MPI bis 10/2008, sowie auf der Basis von zwei Schreiben des Klägers sowie eines Schreibens von Dr. U vom 24.03.2009 erstellt. Danach habe der Kläger im Zeitraum vom 16.05.2000 bis März 2003 bei wissenschaftlich-experimentellen Labortätigkeiten Kontakt zu einer Vielzahl im Einzelnen aufgeführte Chemikalien gehabt. Die Verwendung von polychlorierten Biphenylen (PCBs) und Quecksilberverbindungen habe seitens des MPI nicht bestätigt werden können. Bei Entsorgungs- und Aufräumarbeiten an einem Kühlschrank Ende Juni/Anfang Juli 2000 sei der Kläger in Kontakt mit teils unbekannten Chemikalien gekommen. Während der Forschungsarbeiten hätten im Labormaßstab wechselnde Gefährdungen im Sinne der BK-Gruppe 13 bestanden. Aufgrund der zwar geringfügigen, aber doch vorhandenen Kontaktmöglichkeiten mit neuen biologisch aktiven Substanzen solle gutachterlich die Anwendung von § 9 Abs. 2 SGB VII geprüft werden. Wegen der Einzelhei...

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