Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlbarmachung von Rente aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Tomaszow Mazowiecki -rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. eigener Willensentschluss. Entgeltlichkeit. Lebensmittelbezug

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen von Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) (hier: Beschäftigung im Ghetto Tomaszow Mazowiecki in der Zeit von Mai 1940 bis November 1942).

2. Dem ZRBG ist nicht zu entnehmen, dass es für andere Arten von Beschäftigungen in einem Ghetto Geltung beansprucht als solchen, die nach der sogenannten Ghetto-Rechtsprechung des BSG als versicherungspflichtige Beschäftigungen anzusehen sind.

3. Soweit dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R = SozR 4-5075 § 1 Nr 3 - zu entnehmen sein sollte, dass auch der Erhalt von Lebensmitteln, die kaum den notwendigen Lebensbedarf gedeckt haben können, als Entgelt iS des ZRBG ausreicht, folgt der Senat dieser Rechtsprechung nicht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.06.2009; Aktenzeichen B 5 R 66/08 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.08.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Dabei macht der Kläger Beitragszeiten für eine Beschäftigung im Ghetto Tomaszow Mazowiecki von Mai 1940 bis November 1942 nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend.

Der ...1929 in T geborene Kläger ist jüdischen Glaubens und war Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Er ist Verfolgter im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Seit 1945 lebt er in Israel und besitzt die israelische Staatsbürgerschaft.

Ausweislich der Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg ist dem Kläger eine Entschädigung für Schaden an Freiheit u. a. für die Zeit im Ghetto Tomaszow Mazowiecki von 1940 bis 1943 gewährt worden. Im Rahmen dieses Entschädigungsverfahrens hatte der Kläger von Zeugen bestätigt angegeben, sich von Anfang 1940 bis Frühjahr 1943 im Ghetto Tomaszow Mazowiecki aufgehalten zu haben. In seiner eidlichen Erklärung vom 27.07.1955 hatte er angegeben, das Ghetto sei ab Sommer 1940 geschlossen, durch Stacheldraht gesichert und von der SS bewacht worden. Er habe anfangs im Ghetto Säuberungsarbeiten verrichten müssen und später habe er sich dann außerhalb des Ghettos in einer Sammelstelle von Büchern beschäftigen müssen. Er sei zu diesem Zwecke täglich unter Bewachung von SS sowohl zur als auch von der Arbeitsstelle geführt worden.

Der Zeuge B R hatte am 08.07.1955 erklärt, er sei schon Anfang 1940 mit dem Kläger zusammen in das Ghetto eingewiesen worden. Im Sommer 1940 sei das Ghetto geschlossen worden. Er habe zusammen mit dem Kläger anfangs Säuberungsarbeiten verrichten müssen. Ab Sommer 1940 hätten sie an Räumungsarbeiten teilgenommen, indem sie die im großen Ghetto zurückgebliebenen Habseligkeiten hätten sammeln und sortieren müssen. Er und der Kläger hätten in der Bücher-Abteilung arbeiten müssen. Diese habe sich außerhalb des Ghettos befunden. Sie seien zu diesem Zwecke täglich unter Bewachung von der SS zur und von der Arbeitsstelle geführt worden. Der Zeuge E H hatte am 08.07.1955 angegeben, ihm sei bekannt, dass sowohl der Kläger als auch sein Bruder J im Ghetto Tomaszow Mazowiecki zuerst Säuberungsarbeiten verrichten mussten. Später hätten sie bei der Liquidierung des großen Ghettos die zurückgebliebenen Habseligkeiten sortieren müssen. Die beiden hätten in der Bücherabteilung gearbeitet. Die Mutter des Klägers, Frau G N hatte als Zeugin am 27.07.1955 erklärt, sie sei zusammen mit ihren Söhnen schon Anfang 1940 in das Ghetto eingewiesen worden. Sie habe dort anfangs Säuberungsarbeiten verrichtet und habe sich später in einer Sammelstelle für Eisen beschäftigt.

Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens wegen eines Schadens an Körper oder Gesundheit hatte der Kläger am 30.01.1964 u. a. erklärt, er habe im Ghetto sehr unter der schlechten Ernährung gelitten und auch seelisch darunter, dass er mit habe ansehen müssen, wie man seine Eltern zu erniedrigender Zwangsarbeit gezwungen habe. Im Jahr 1942 sei er gezwungen worden wie ein Pferd vor einen Wagen gespannt, das Eigentum der deportierten Juden aus den Wohnungen zu einem Sammelplatz zu bringen. Die Arbeit habe seine physischen Kräfte überstiegen. Der Zeuge N R hatte am 17.02.1964 erklärt, er wisse, dass der Kläger und sein Bruder schon im Ghetto Tomaszow zur Arbeit gezwungen worden seien und im Jahr 1942 als Zugpferde benutzt worden seien, um das Eigentum der Deportierten einzusammeln.

In einem ärztliches Attest des Dr. A vom 11.06.1963 wurde als eigene Angabe des Klägers festgehalten, dass er ...

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