Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. kein Anspruch auf Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 für im Haushalt der Eltern lebende über 25-jährige Leistungsempfänger. Statthaftigkeit der Beschwerde bezüglich einer einstweiligen Anordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Gesetzgeber hat seit dem 1.1.2011 mit den Vorschriften der §§ 8 RBEG, 27a SGB 12 und der Anlage zu § 28 SGB 12 (juris: Anlage SGB 12) eine neue Rechtslage geschaffen. Er hat insoweit auf die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.5.2009 - B 8 SO 8/08 R = BSGE 103, 181 = SozR 4-3500 § 42 Nr 2) reagiert und eine weitgehende Gleichstellung zwischen Leistungsberechtigten nach dem SGB 2 und dem SGB 12 erreicht. Er hat allerdings eine abweichende Regelung insoweit vorgenommen, als erwerbsfähige Leistungsberechtigte im SGB 2 mit Vollendung des 25. Lebensjahres unabhängig von der Haushaltszugehörigkeit eine eigenständige Bedarfsgemeinschaft bilden (§ 7 Abs 3 Nr 2 SGB 2) und damit einen vollen Regelsatz erhalten, während dauerhaft voll Erwerbsgeminderten nach Kap 4 SGB 12 auch nach Vollendung des 25. Lebensjahres nach der Regelbedarfsstufe 3 als Haushaltsangehörigen nur ein reduzierter Regelsatz zusteht. Die unterschiedliche Behandlung ist im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung problematisiert worden; gleichwohl ist sie vom Gesetzgeber bewusst herbeigeführt und in der Gesetzesbegründung mit Systemunterschieden zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe begründet worden, wie sich im Einzelnen aus der BT-Drs 17/4095, S 27 ergibt.
Normenkette
SGB XII § 42 Nr. 1, §§ 27a, 28 Anl.; SGB II § 7 Abs. 3 Nr. 2, § 9 Abs. 2, § 20 Abs. 2 S. 1; RBEG § 8 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2, § 172 Abs. 3 Nr. 1, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Weiteren: Ast.) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 1 von dem Antrags- und Beschwerdegegner (im Weiteren: Ag.) beanspruchen kann.
Die am ... 1976 geborene Ast. lebt gemeinsam mit ihren Eltern in einem Einfamilienhaus. Bei ihr sind aufgrund einer geistigen Behinderung ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Merkzeichen "G" anerkannt. Sie hat ihrer Mutter und ihrem Stiefvater am 22. März 2004 eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt. Die Ast. wird in der Werkstatt für Behinderte W. betreut; sie erzielte dort im Jahr 2011 Werkstatteinkommen Höhe von 165,72 EUR monatlich und erhält seit Januar 2012 178,56 EUR monatlich. Ferner bezieht sie von dem Ag. dauerhaft Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII.
Mit Bescheid vom 5. März 2012 bewilligte der Ag. der Ast. für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2012 monatlich 322,40 EUR. Er legte u.a. einen Regelbedarf in Höhe von 299,00 EUR gemäß § 42 i.V.m. § 27a SGB XII, einen Mehrbedarf gemäß § 42 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 50,83 EUR sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 39,20 EUR und damit einen Gesamtbedarf in Höhe von 389,03 EUR zugrunde. Abzüglich des anrechenbaren Einkommens in Höhe von 66,63 EUR (Werkstatteinkommen 178,56 EUR abzüglich Freibetrag Werkstatteinkommen 71,90 EUR, Arbeitsmittelpauschale 5,20 EUR, Arbeitsförderungsgeld 26,00 EUR und Haftpflichtversicherung Kfz 8,83 EUR) errechnete sich der bewilligte Betrag in Höhe von 322,40 EUR. Mit Bescheid vom 7. März 2012 hob der Ag. den Bescheid vom 5. März 2012 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 auf und bewilligte 283,99 EUR für Januar 2012, 313,57 EUR für Februar 2012, 215,43 EUR für März 2012 und 300,76 EUR für April 2012; sofern keine wesentlich Änderung eintrete, gelte die Bewilligung der Leistung weiter bis zum 31. Dezember 2012. Die Änderungen beruhten auf Veränderungen der Hauslasten und dem Wegfall der Einkommensbereinigung des Kfz-Haftpflichtbeitrags.
Gegen die Bescheide vom 5. und 7. März 2012 legte die Ast. am 2. April 2012 Widerspruch ein.
Am 5. April 2012 hat die Ast. beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau die Verpflichtung des Ag. zur Zahlung weiterer Grundsicherungsleistungen in Höhe von 87,75 EUR monatlich im Wege einer einstweiligen Anordnung "ab Rechtshängigkeit dieses Antrags" beantragt. Sie habe bereits gegen die Einstufung in die Regelsatzstufe 3 anstelle der Regelsatzstufe 1 für die Grundsicherungsleistungen für das Jahr 2011 Klage beim SG Dessau-Roßlau erhoben; das Hauptsacheverfahren S 10 SO 78/11 sei aber noch nicht abgeschlossen. Gegen die Bescheide des Ag. vom 5. und 7. März 2012 habe sie Widerspruch eingelegt. Bis zum Abschluss der Hauptsacheverfahren sei der Ag. verpflichtet, ihr Leistungen ...