Rz. 12
§ 65e Satz 2 beschränkt die Aufrechnung wegen eines Anspruchs nach Satz 1 auf die ersten 2 Jahre der Leistungserbringung nach dem SGB II. Die Frist soll sich allein auf Satz 1 beziehen. Dadurch bleibt insbesondere unklar, wann die Frist beginnt. Dabei kann ausgeschlossen werden, dass es für die Frist auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung ankommt. Das liefe der Intention des Gesetzgebers zuwider, eine Aufrechnung nur übergangsweise zu ermöglichen. Ginge man davon aus, dass die Aufrechnungserklärung bis zum 31.7.2008 abgegeben werden könnte (innerhalb von 2 Jahren nach Inkrafttreten des § 65e) und 2 Jahre lang aufgerechnet werden könnte, reichte die Aufrechnungsmöglichkeit bis Ende Juli 2010. Ginge man davon aus, dass nach einer Aufrechnungserklärung binnen 2er Jahre nach Inkrafttreten die Aufrechnung unbegrenzt möglich ist, würde § 65e Satz 2 als bloße Aufrechnungsfrist verstanden, nicht aber als Dauer der Aufrechnungsmöglichkeit. Dies ist abzulehnen.
Rz. 13
Fristbeginn i. S. d. Satzes 2 dürfte der erste Tag der Erbringung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II sein, jedoch kein Tag vor dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1.8.2006. Das LSG Hamburg hingegen hält einen Fristbeginn am 1.1.2005 für möglich und rechtmäßig. Das gebe der Wortlaut der Vorschrift eindeutig her. Eine Korrektur des Wortlauts im Wege der teleologischen Reduktion käme nur dann in Betracht, wenn sich eine vom unmissverständlichen Wortsinn abweichende Regelungsabsicht des Gesetzgebers ermitteln ließe und die Formulierung im Gesetzestext zweifelsfrei ein bloßes Redaktionsversehen wäre (BSG, Urteil v. 24.11.1993, 6 RKa 36/92, SozR 3-2500 § 98 Nr. 3). Ein solcher Sachverhalt liege aber nicht vor (LAG Hamburg, Beschluss v. 30.7.2007, L 5 B 263/07 ER AS, FEVS 59 S. 18).
Rz. 14
Zu diesem Ergebnis kommt auch das SG Berlin. Nach § 65e Satz 2 sei die Aufrechnung wegen eines Anspruchs nach Satz 1 auf die ersten 2 Jahre der Leistungserbringung nach dem SGB II beschränkt. Im Falle des Klägers, der seit dem 1.1.2005 durchgehend im Leistungsbezug stand, endete die Möglichkeit zur Aufrechnung damit am 31.12.2006. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, wonach auf den Zeitraum der Leistungserbringung nach dem SGB II und gerade nicht auf das Bestehen einer gesetzlichen Aufrechnungslage abgestellt werde (unter Hinweis auf die eigene Rechtsprechung durch Beschluss v. 23.4.2007, S 103 AS 8928/07 ER, bestätigt durch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 14.5.2007, L 28 B 653/07 AS ER). Dabei handele es sich um eine Aufrechnungshöchstdauer, mit der geregelt werde, wie lange maximal mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden dürfe, und nicht um eine bloße Aufrechnungsfrist, innerhalb derer die Aufrechnung erklärt werden müsse (SG Berlin, Urteil v. 6.2.2008, S 125 AS 18347/7).
Rz. 15
Für die gegenteilige Auffassung, dass die 2-Jahre-Frist erst mit dem Inkrafttreten der Norm zu laufen beginne, finde sich weder im Gesetzeswortlaut noch in der -begründung eine Stütze. Insbesondere äußere sich die zur Einführung des § 65e SGB II gegebene Begründung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 16/1410) überhaupt nicht zu der Frage, ab und bis wann die Aufrechnung ermöglicht werden soll. Für einen vom Gesetzgeber vorgesehenen Beginn des Aufrechnungszeitraums erst mit dem 1.8.2006 bestünden keine Anhaltspunkte. Die Aufrechnungsmöglichkeit nach § 65e Satz 1 liefe bei der von der Kammer zu Grunde gelegten Auslegung auch nicht ins Leere. Bei unverzüglicher Umsetzung durch den Grundsicherungsträger sei eine Aufrechnung immerhin noch von August bis Dezember 2006, also für fünf Monate, möglich gewesen. Die Aufrechnungsmöglichkeit bestehe auch weiterhin in Fällen, in denen der Leistungsbezug nach dem SGB II erst später als zum 1.1.2005 begonnen habe und/oder zeitweise unterbrochen war. Schließlich finde sich für Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber in Satz 2 getroffenen Aufrechnungshöchstdauer ein weiteres gewichtiges Argument, das die Entscheidung der Kammer stütze. In Anbetracht der bereits sehr knapp kalkulierten Leistungen zum Lebensunterhalt für Erwachsene nach § 20 Abs. 1 sei eine weitere Belastung durch Aufrechnung – zumindest mit alten Rückforderungen von Sozialhilfeleistungen – nur in einem frühen Zeitraum des Leistungsbezugs gerechtfertigt, zu dem davon ausgegangen werden könne, dass der Leistungsberechtigte die aufgerechneten Leistungen noch aus seinem Schonvermögen ergänzen beziehungsweise ersetzen könne. Nach einem Bezug von Alg II von über 2 Jahren sei davon auszugehen, dass das Schonvermögen zu größeren Teilen aufgebraucht wurde beziehungsweise ein weiterer Einsatz von noch vorhandenem Schonvermögen nicht mehr zumutbar sei.
Rz. 16
Die Frist beginnt nach Auffassung des LSG NRW hingegen frühestens mit Inkrafttreten des § 65e am 1.8.2006. Regelmäßig maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem...