Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Heizkostenbeihilfe für einen Wohnungslosen. Zelt als Unterkunft. Heizbedarf als Bestandteil des physischen Existenzminimums. Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums
Leitsatz (amtlich)
1. Leistungen für den Bedarf für Heizung setzen nicht zwingend das Vorhandensein einer Unterkunft voraus (hier: Heizbeihilfe für einen Obdachlosen).
2. Ein Zelt kann eine Unterkunft im Sinne von § 22 Abs 1 S 1 SGB II darstellen.
Orientierungssatz
Der Bedarf für Heizung ist ein elementarer Bestandteil des physischen Existenzminimums, das zur verfassungsrechtlich gebotenen Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens unabdingbar ist (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 = NJW 2010, 505).
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vom 1.1.2022 bis zum 31.3.2022 vorläufig Leistungen für Heizkosten in Höhe von höchstens 50,00 € monatlich Zug um Zug gegen den Nachweis der tatsächlichen Kosten für die Beschaffung von Heizmaterial zu erbringen.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
3. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über Heizkostenbeihilfe für den wohnungslosen Antragsteller.
Der am XXX geborene alleinstehende Antragsteller ist wohnungslos und lebt in einem Zelt im Wald bei XXX. Er bezieht vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in Form von Tagessätzen.Seit 2016 bewilligte der Antragsgegner ihm für die Wintermonate Oktober bis März gegen Vorlage von Kaufbelegen auch monatliche Beihilfen für die Beheizung seines Zelts, zuletzt bis zu einer Höchstgrenze von monatlich 46 € und gegen Nachweis der tatsächlichen Anschaffungskosten für Heizmaterial. Mit Schreiben vom 14.10.2021 beantragte der Antragsteller Brennkostenbeihilfe für die Heizperiode 2021/2022. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16.11.2021 ab und bestätigte diese Entscheidung auf den Widerspruch des Antragstellers vom 18.11.2021 mit Widerspruchsbescheid vom 9.12.2021. Zur Begründung führte er aus, gemäß § 22 SGB II könnten zwar Bedarfe für Heizung grundsätzlich als einmalige Beihilfe gewährt werden. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass es sich bei der Wohnstätte um eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II handele. Unter einer Unterkunft im Sinne des SGB II sei jede Einrichtung oder Anlage zu verstehen, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und die eine gewisse Privatsphäre gewährleiste, einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren (BSG, Urt. v. 17.6.2010, Az. B 14 AS 79/09 R, ≪juris≫). Hierunter könnten beispielsweise auch Wohnwagen oder Wohnmobile fallen. Die vom BSG geforderte gewisse Privatsphäre könne jedoch nicht in hinreichendem Umfang in einem Zelt gewährleistet werden. Wichtige Aspekte der Privatsphäre wie Hygiene oder ungestörter Kleidungswechsel sowie ein gewisses Maß an Komfort seien dort mangels Ausstattung und Platzes (z.B. mangels Möglichkeit zum Stehen) nicht einmal annähernd wie in einer Wohnung möglich. Diese Auslegung stütze sich außerdem auf die Annahme, dass nicht jeder Mensch eine Unterkunft haben müsse, es also auch obdachlose Menschen gebe, obgleich sich eine Vielzahl der Obdachlosen besonders in der kalten Jahreshälfte regelmäßig nachts in einem einigermaßen geschützten Bereich bzw. an einem Schlafplatz aufhalten werde, ohne dass hiermit sogleich eine Unterkunft im Sinne von § 22 SGB II anzunehmen sei. Bereits aus diesem Grund könnten die hiermit verbundenen Aufwendungen nicht als Bedarfe für Unterkunft und Heizung anerkannt werden. Den Unterkunftscharakter hätten z.B. für einen VW-Bus mit Schlafstätte auch das LSG Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 7.3.2013, Az. L 3 AS 69/13 B ER) und ausdrücklich für ein Zelt der VGH Baden-Württemberg (Beschl. v. 16.12.1994, Az. 6 S 1323/93) abgelehnt. Der Antragsgegner verwies insoweit auch auf Kommentierungen von Berlit (LPK-SGB II, 5. Auflage, § 22 Rn. 19) und Luik (Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 22 Rn. 37).
Am 7.1.2022 erhob der Antragsteller dagegen Klage zum Sozialgericht Freiburg und beantragte, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm weiterhin, also ab 1.10.2021, Heizkosten gemäß § 22 SGB II zu gewähren. Er trägt vor, er benötige die Unterstützung, da ihm bei Nichtgewährung Gefahr für Leib und Leben drohe, weil er sein Zelt nicht weiter beheizen könne. Die in den Bescheiden des Antragsgegners aufgeführten Urteile seien bereits 10 Jahre alt und hätten bisher den Leistungen nicht entgegengestanden.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen. Aus den Gründen des angefochtenen Bescheides bestehe bereits kein Anordnungsanspruch. Der Antragsteller könne sich auch nicht auf Wahrung des ...