Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Fiktive Terminsgebühr. 90 % der Verfahrensgebühr. Gebührenrahmen. Mindestgebühr
Leitsatz (amtlich)
Ist im sozialgerichtlichen Verfahren die Verfahrensgebühr als Mindestgebühr festgesetzt, ist die fiktive Terminsgebühr (90 % der Verfahrensgebühr = rechnerisch 45 EUR) nicht unterhalb der Mindestgebühr von 50 EUR festzusetzen.
Tenor
Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Kiel in dem Rechtsstreit S 35 AS 945/14 vom 27.11.2014 wird geändert.
Der Erinnerungsgegner hat der Erinnerungsführerin weitere 7,14 € zu erstatten.
Der Erinnerungsgegner hat der Erinnerungsführerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten für das Erinnerungsverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Die Erinnerungsführerin hatte - anwaltlich vertreten - am 05.08.2014 beim Sozialgericht Kiel Untätigkeitsklage erhoben. Gerügt war eine bislang nicht erfolgte Entscheidung über einen mit Schreiben vom 03.02.2014 gestellten Antrag. Das Verfahren endete durch angenommenes Anerkenntnis einschließlich Kostengrundanerkenntnis.
Die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten in Gestalt der anwaltlichen Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) wurden wie folgt beantragt und festgesetzt:
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle kürzte die fiktive Terminsgebühr. Nach Nr. 3106 S. 2 VV RVG betrage die fiktive Terminsgebühr 90 % der Verfahrensgebühr und damit 45 €. Die Mindestgebühr der Terminsgebühr könne unterschritten werden, da der Gesetzgeber bei der fiktiven Terminsgebühr keine Einschränkungen bzgl. der Unterschreitung der Mindestgebühr gemacht habe. Nach der Gesetzesänderung betrage diese 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG n.F. Damit mache der Gesetzgeber deutlich, dass er die Höhe der fiktiven Terminsgebühr von dem rechnerischen Ergebnis der für billig erachteten Verfahrensgebühr abhängig machen wolle. Dies ergebe sich zwingend daraus, dass der Gesetzgeber dem Wortlaut der Norm Nr. 3106 VV RVG n.F. nach keine Einschränkung wie z.B. “…. beträgt die Gebühr 90 % der …. Verfahrensgebühr, jedoch nicht weniger als die gesetzliche Mindestgebühr hieraus„ vorgenommen habe.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.11.2014 richtet sich die mit Schriftsatz vom 05.12.2014 eingelegte Erinnerung. Zur Begründung wird ausgeführt, entgegen der Auffassung des Kostenbeamten sei es für ein Verbot des Unterschreitens einen Gebührenrahmens nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber ausdrücklich anordne, dass der von ihm vorgegebenen Gebührenrahmen nicht unterschritten werden könne. Dass ein Gebührenrahmen nicht unterschritten werden könne, sei ihm als Wesensmerkmal zu eigen. Der ausdrückliche Anspruch eines Verbotes des Unterschreitens stellte eine Redundanz dar, die es zu vermeiden gelte. Wenn ein Unterschreiten des Rahmens immer dann möglich wäre, wenn es nicht verboten wäre, verlöre die Angabe einer Untergrenze in einem Gebührenrahmen an inhaltlicher Bedeutung.
Der Erinnerungsgegner hält den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss für zutreffend.
II.
Die Erinnerung ist zulässig.
Nach § 197 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Nach § 197 Abs. 2 SGG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden. Die Monatsfrist ist eingehalten worden.
Die Erinnerung ist auch begründet.
anwendbare Gebührenvorschriften:
Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem RVG (§1 Abs. 1 Satz 1 RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie im vorliegenden Fall - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem VV-RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG).
Nach dem VV-RVG sind die hier maßgeblichen Gebühren wie folgt festgesetzt:
Die Erinnerung richtet sich im Wesentlichen gegen die Höhe der fiktiven Terminsgebühr.
Nach dem Wortlaut des Satzes 2 der Anmerkung zu Nr. 3106 VV-RVG beträgt die fiktive Terminsgebühr 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach Nummer 1008. Da die Verfahrensgebühr mit 50,-- € beantragt und antragsgemäß festgesetzt worden ist, sind das rechnerisch 45,-- € (auch Schafhausen in “Die Terminsgebühr nach neuem Recht„ in ASR 6/2014, 254, 260 nimmt einen Gebührenrahmen von 45,-- bis 495,-- € an).
Dem steht die Systematik der Rahmengebühren gegenüber, wonach eine Gebühr nur zwischen der Mindestgebühr einerseits und der Höchstgebühr andererseits geltend gemacht und festgesetzt werden darf.
Der Gesetzgeber hat die Neufassung der Anmerkung zu Nr. 3106 im Entwurf des Zweiten Gesetzes...