Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinder- und Jugendhilfe. Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege. Verjährung des Erstattungsanspruchs. vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres seiner Entstehung. Hemmung der Verjährung bei Verhandlungen. Sachstandsanfragen des erstattungsberechtigten Leistungsträgers ohne Reaktion des erstattungspflichtigen Leistungsträgers. Rechtsmissbräuchlichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verjährung eines Erstattungsanspruches ist nicht durch Verhandlungen gemäß § 203 S 1 BGB gehemmt, wenn der Erstattung begehrende Jugendhilfeträger über Jahre Sachstandsanfragen an den erstattungspflichtigen Jugendhilfeträger richtet, ohne dass eine Reaktion erfolgt.

2. Die Berufung eines Jugendhilfeträgers auf die Einrede der Verjährung ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn immer wieder Sachstandsanfragen erfolgen, ohne dass im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist des § 113 Abs 1 S 1 SGB X rechtzeitig Klage erhoben wird.

 

Orientierungssatz

Gemäß § 113 Abs 1 S 1 SGB 10 verjähren Erstattungsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Fehlt eine entsprechende Entscheidung des erstattungspflichtigen Trägers, verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Erstattungsanspruches nach § 89a des achten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII). Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob der Anspruch verjährt ist.

Der am ……1994 geborene N. M. (Kind) ist niederländischer Staatsangehöriger. Er ist schwerstmehrfachbehindert. Seine Mutter J. M. ist ebenfalls niederländische Staatsangehörige und verzog im Jahr 1996 wieder in die Niederlande, ihre Anschrift ist seitdem unbekannt. Die Vaterschaft wurde von dem ghanaischen Staatsangehörigen M. B.-Y. (Vater) gemäß der Urkunde des Kreisjugendamtes B.-W. vom 21.12.1995 anerkannt. Eine Eintragung der Vaterschaft zum Geburtseintrag des Kindes konnte jedoch nicht erfolgen, weil nach niederländischem Recht die vorherige schriftliche Zustimmung der Mutter des Kindes zur Vaterschaftsanerkennung erforderlich war und eine Verbindungsaufnahme mit der Mutter nicht möglich war.

Das Kind befand sich zunächst im Haushalt seines Vaters in K.. Das Stadtjugendamt der Beklagten erbrachte deshalb Leistungen der Jugendhilfe. Am 12.01.2000 wurde das Kind in Vollzeitpflege bei einer Pflegefamilie untergebracht, die seinerzeit ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Klägerin hatte. Das Stadtjugendamt der Klägerin übernahm ab 01.02.2002 gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII den Fall in seine Zuständigkeit. Die Beklagte gab mit Schreiben vom 22.01.2003 ein Kostenanerkenntnis gemäß § 89a Abs. 1 SGB VIII ab, da sich die Zuständigkeit bei Außerachtlassung der Sonderzuständigkeit gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII nach § 86 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 2 SGB VIII (gewöhnliche Aufenthalt des Kindesvaters) richte. Die Beklagte erstattete daraufhin zunächst die von der Klägerin im Rahmen der Jugendhilfe erbrachten Leistungen.

Die Pflegefamilie verzog zum 01.12.2003 in den Landkreis N.. Mit Schreiben vom 26.03.2004 machte die Klägerin die erbrachten Leistungen für das Jahr 2003 gegenüber der Beklagten geltend und teilte mit, Anzeige und Antrag auf Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII sei aufgrund des Umzuges bereits an das Kreisjugendamt N. gestellt worden.

Der Vater des Kindes verzog am 09.10.2006 von K. nach B..

Mit Forderungsnachweisen vom 08.07.2010, eingegangen am 12.07.2010, machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Erstattung der im Zeitraum vom 01.03.2005 bis 31.12.2005 erbrachten Jugendhilfeleistungen i.H.v. 7.616,23 €, für das Jahr 2006 i.H.v. 7.667,14 €, für das Jahr 2007 in Höhe von ebenfalls 7.663,45 €, für das Jahr 2008 i.H.v. 9.122,13 €, für das Jahr 2009 i.H.v. 9.565,12 € und für den Zeitraum vom 01.10.2010 bis 30.06.2010 i.H.v. 5.766 € geltend. Nachdem die Klägerin mehrfach nach dem Sachstand angefragt hatte, teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 04.07.2011 mit, da der Kindesvater, der für die örtliche Zuständigkeit der Jugendhilfegewährung ausschlaggebend sei, sich seit dem 09.10.2006 nicht mehr in K. aufhalte, widerrufe sie ihr Kostenanerkenntnis vom 22.01.2003 zum 08.10.2006. Die im Zeitraum vom 01.04.2002 bis 08.10.2006 entstandenen Aufwendungen würden in den nächsten Tagen auf das Konto der Klägerin überwiesen.

Einen mit Schreiben vom 24.01.2013 gestellten Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) und Kostenerstattung nach § 104 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29.01.2013 ab, weil da...

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