Eingliederungshilfe: Persönliche Assistenz für Kind in Kita

Ein Sozialhilfeträger muss die Kosten für eine persönliche Assistenz zur Betreuung eines Kleinkindes mit hochgradiger Erdnussallergie während des Besuchs einer Kindertagesstätte vorläufig übernehmen. Dies hat das LSG Niedersachsen-Bremen in einem Eilverfahren entschieden.

Der im Landkreis Cuxhaven lebende vierjährige Antragsteller leidet an einer hochgradigen Erdnussallergie mit einem hohen Risiko einer systemischen allergischen Reaktion bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock.

 

Keine "erdnussfreie" Betreuung durch Kita möglich

In dem bis zur Diagnose im Dezember 2014 vom Antragsteller besuchten Kindergarten konnte nicht gewährleistet werden, dass der Antragsteller keine Erdnüsse oder erdnusshaltigen Lebensmittel zu sich nimmt. Der Antragsteller wurde deshalb seit diesem Zeitpunkt von seinen berufstätigen Eltern, seiner Großmutter und einer ebenfalls berufstätigen Tante zu Hause betreut. Versuche seiner Eltern, die Kita in Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen und Eltern der anderen Kinder „erdnussfrei“ zu gestalten, also das Risiko einer ungewollten Aufnahme von Allergenen zu minimieren, scheiterten.

Der Antragsgegner - der zuständige Sozialhilfeträger - lehnte den bereits Ende 2014 bei ihm gestellten Antrag auf Übernahme der Kosten für eine persönliche Assistenz während des Kindergartenbesuchs ab. Der bei dem Sozialgericht (SG) Stade gestellte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb erfolglos.

Sozialhilfeträger muss vorläufig Kosten für Assistenz übernehmen

Der 8. Senat des LSG hat diese Entscheidung aufgehoben und den Sozialhilfeträger im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorläufig verpflichtet, die Kosten für eine persönliche Assistenz für den Besuch des Antragstellers in der Kindertagesstätte in einem Wochenumfang von 20 Stunden zu übernehmen. Mit Rücksicht auf die Bedeutung des Besuchs einer Kindertagesstätte für die kindliche Entwicklung sei es dem Antragsteller nicht zuzumuten, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Er habe einen Anspruch auf Eingliederungshilfe glaubhaft gemacht, da eine schwere Nahrungsmittelallergie - insbesondere bei Kindern - regelmäßig als Behinderung im Sinne des § 2 SGB IX anzusehen sei.

Persönliche Assistenz ermöglicht erst Eingliederungshilfe

Es sei glaubhaft gemacht worden, dass erst durch eine persönliche Assistenz für den Besuch des Kindergartens die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, hier die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, ermöglicht werden kann. Nach den Feststellungen des Gesundheitsamtes bedürfe der Antragsteller während des Besuches des Kindergartens durchgängig der Beobachtung und Begleitung durch eine sachlich
unterwiesene Person, um zu verhindern, dass er mit Erdnüssen, „Erdnussprodukten“ oder auch nur Spuren von erdnusshaltigen Lebensmitteln in Kontakt komme. Eine besonders qualifizierte Fachkraft (z.B. Krankenschwester) sei aber nicht erforderlich. Im Kindergarten werde eine zusätzliche Assistenzkraft de facto nicht vorgehalten. Zudem sei der Antragsteller auch nicht ohne weiteres in der Lage, durch ein - ggf. zivilrechtliches - Vorgehen gegen den Träger des Kindergartens die Stellung einer (weiteren) Assistenzkraft durchzusetzen.

Andere Betreuungsalternativen nicht machbar

Nach dem gegenwärtigen Sachstand - so der Senat weiter - könne der Antragsteller ohne die begehrte Hilfe auch nicht in zumutbarer Weise in einem anderen Kindergarten inner- oder außerhalb der Wohnortgemeinde betreut werden. Die Gemeinde selbst habe die Aufnahme des Antragstellers in ihren Kindergärten - ohne weitere Assistenzkraft - wegen der gesundheitlichen Risiken abgelehnt. Auch scheide eine Betreuung durch eine Tagespflegeperson derzeit aus. Ungeachtet der vom Senat geäußerten Zweifel, ob die Betreuung des Antragsstellers durch eine Tagespflegeperson in gleicher Weise geeignet sei, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen, wie die Betreuung in einem Kindergarten, sei nicht geklärt, dass dem Antragsteller eine zumutbare Betreuungsalternative durch eine Tagespflegeperson konkret zur Verfügung steht. Die vom Antragsgegner vorgeschlagene Betreuungsmöglichkeit komme zum einen wegen der Entfernung zu seinem Wohnort (ca. 18 km), zum anderen wegen des Umstandes, dass die vorgeschlagene Tagespflegeperson derzeit vormittags nur zwei- bis dreijährige Kinder betreut, nicht in Betracht. Weitere Betreuungsalternativen, für die der Antragsgegner die Beweislast trage, seien nicht ersichtlich.

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 27.8.2015, L 8 SO 177/15 B ER

LSG Niedersachsen-Bremen