Geschäftsveräußerung im Ganzen
Nach § 1 Abs. 1a UStG unterliegen die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Näheres regelt Abschn. 1.5 UStAE. Danach ist es für die Annahme einer Geschäftsveräußerung grundsätzlich erforderlich, dass der Veräußerer dem Erwerber alle wesentlichen Grundlagen seines Unternehmens oder seines gesondert geführten Betriebs übereignet.
Zurückbehaltung wesentlicher Betriebsgrundlagen
Das Zurückbehalten einzelner wesentlicher Grundlagen ist unschädlich (vgl. hierzu auch Tz. 3), wenn diese an den Erwerber vermietet oder verpachtet werden (vgl. Abschn. 1.5 Abs. 3 Sätze 2 und 3 und 24.1 Abs. 5 UStAE), sodass der Erwerber das Unternehmen oder den gesondert geführten Betrieb ohne großen finanziellen Aufwand fortsetzen kann (Abschn. 1.5 Abs. 4 Satz 1 UStAE). Dies gilt auch für die Fälle, in denen ein land- und fortwirtschaftlicher Betrieb oder Teilbetrieb übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird, wenn der vormalige Betriebsinhaber z.B. landwirtschaftliche Flächen zurückbehält und an den Erwerber verpachtet.
Unentgeltliche Geschäftsveräußerungen
§ 1 Abs. 1a UStG erfasst auch die unentgeltlichen Geschäftsveräußerungen im Ganzen, sodass eine Besteuerung als unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b bzw. § 3 Abs. 9a UStG entfällt.
Fortführung des Unternehmens
Weitere Voraussetzung für eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung ist, dass der Erwerber Unternehmer ist und das erworbene Unternehmen fortführt. Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn der Erwerber mit der Fortführung des Unternehmens erstmalig unternehmerisch tätig wird oder das Unternehmen nach dem Erwerb in veränderter Form fortführt. Will der Erwerber die übernommene Geschäftstätigkeit sofort abwickeln, kommt eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung nicht in Betracht (vgl. auch Abschn. 1.5 Abs. 1 Satz 5 UStAE).
Nach dem EuGH-Urteil vom 10.11.2011, C-444/10 (Schriever, UR 2011 S. 937) muss die Gesamtheit der übertragenen Bestandteile ausreichen, um die Fortführung einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen.
Ist für eine wirtschaftliche Tätigkeit kein besonderes Geschäftslokal oder kein Lokal mit einer für die Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit notwendigen festen Ladeneinrichtung erforderlich, bzw. verfügt der Erwerber selbst über eine geeignete Immobilie, in die er sämtliche übertragenen Sachen verbringen und in der er die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit weiterhin ausüben kann, kann eine Geschäftsveräußerung auch ohne Übereignung des Grundstücks vorliegen.
Muss der Erwerber zur Fortführung der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit über dasselbe Geschäftslokal verfügen, das dem Veräußerer zur Verfügung stand, muss dieses zu den übertragenen Bestandteilen gehören. Es reicht aber auch aus, wenn das Geschäftslokal dem Erwerber mittels eines Mietvertrags zur Verfügung gestellt wird. Allein aus dem Umstand, dass der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurde und jederzeit kurzfristig gekündigt werden kann, kann nicht geschlossen werden, dass der Erwerber den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil nicht fortführen, sondern sofort abwickeln will.
Verkauf eines von mehreren vermieteten Grundstücken
Auch beim Verkauf eines von mehreren vermieteten Grundstücken unter Fortführung des Mietvertrags durch den Erwerber kann eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung vorliegen, wenn ein gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet wird.
Ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb liegt vor, wenn er wirtschaftlich selbständig ist. Dies setzt voraus, dass der veräußerte Teil des Unternehmens einen für sich lebensfähigen Organismus gebildet hat, der unabhängig von den anderen Geschäften des Unternehmens nach Art eines selbständigen Unternehmens betrieben worden ist und nach außen hin ein selbständiges, in sich abgeschlossenes Wirtschaftsgebilde gewesen ist. Soweit einkommensteuerlich eine Teilbetriebsveräußerung angenommen wird, kann umsatzsteuerlich von der Veräußerung eines gesondert geführten Betriebs ausgegangen werden (Abschn. 1.5 Abs. 6 UStAE). Besondere Einrichtungen einer betrieblichen Organisation muss ein Unternehmen im umsatzsteuerlichen Sinne nicht aufweisen (vgl. Tz. 2 Buchst. a des BFH-Urteils vom 21.5.1987, V R 109/77, BStBl 1987 II S. 735 ).
Nach Ansicht des BFH ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu entscheiden, ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche gewisse Selbständigkeit besitzt und dass den verschiedenen Abgrenzungsmerkmalen unterschiedliches Gewicht zukommt, je nachdem, um welche Art von Tätigkeit es sich handelt (BFH-Urteil vom 24.8.1989, IV R 120/88, BStBl 1990 II S. 55).
Ein vermietetes Grundstück ist ein wirtschaftlich selbständiger Teilbetrieb. Tritt der Erwerber in die Mietverträge ein, kann er grundsätzlich die unternehmerische Tätigkeit ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortsetzen (BFH-Beschluss vom 1.4.2004, V B 112/03, BStBl 2004 II S. 802). Von der Übertragung eines gesondert geführten Betriebs ist auch dann auszugehen, wenn der Eigentümer eines Grundstücks, das nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilt ist, nur ein Teileigentum veräußert.
Übertragung von Grundstücken außerhalb einer Geschäftsveräußerung
Eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung ist nach Abschn. 1.5. Abs. 2 UStAE dagegen ausgeschlossen, wenn die Vermietung vor der Veräußerung des Grundstücks bereits eingestellt war (BFH-Urteil vom 18.1.2005, V R 53/02, BFH/NV 2005 S. 810) oder wenn das Grundstück an den bisherigen alleinigen Mieter veräußert wird (BFH-Urteil vom 4.9.2008, V R 23/06, BFH/NV 2009 S. 426).
Bei der Übertragung eines Grundstücks durch ein Bauträgerunternehmen handelt es sich nicht um eine Geschäftsveräußerung im Ganzen, weil der Erwerber nicht das Bauträgerunternehmen fortführt, sondern ein Vermietungsunternehmen betreibt (BFH-Urteile vom 24.2.2005, V R 45/02, BStBl 2007 II S. 61 und vom 18.9.2008, V R 21/07, BStBl 2009 II S. 254).
In diesen Fällen ist die Veräußerung des Grundstücks grundsätzlich steuerfrei nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG. Der Veräußerer kann unter den Voraussetzungen des § 9 UStG zur Steuerpflicht optieren. Steuerschuldner ist dann der Erwerber (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 1 UStG).
Eintritt des Erwerbers in die Rechtsstellung des Veräußerers
Der erwerbende Unternehmer tritt nach § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG an die Stelle des Veräußerers. Dies hat insbesondere Bedeutung für die Anwendung der Vorsteuerberichtigungsvorschrift des § 15a UStG.
Die Geschäftsveräußerung löst keine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG aus. Der Berichtigungszeitraum wird nicht unterbrochen, sondern beim Erwerber fortgeführt (§ 15a Abs. 10 UStG).
Ändert sich beim Erwerber innerhalb des restlichen Berichtigungszeitraumes der Prozentsatz der vorsteuerunschädlichen Nutzung, hat der Erwerber die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG vorzunehmen.
Damit der Erwerber die Vorsteuerberichtigung durchführen kann, hat der Veräußerer nach § 15a Abs. 10 Satz 2 UStG die hierzu erforderlichen Angaben zu machen. Dazu gehören:
- die insgesamt für die Anschaffung oder Herstellung angefallene Vorsteuer
- der Beginn der erstmaligen Verwendung des Gegenstandes
- der Prozentsatz der vorsteuerunschädlichen Nutzung im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung
- die zu Grunde gelegte Nutzungsdauer.
Das FA des Veräußerers hat eine Kopie des Überwachungsblattes (USt 1 UE) an das FA des Erwerbers zu schicken, damit eine Überwachung des restlichen Berichtigungszeitraums erfolgen kann.
Durch den Eintritt in die Rechtsstellung des Veräußerers ist der Erwerber eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs auch an die vom Veräußerer ggf. erklärte Option zur Regelbesteuerung gem. § 24 Abs. 4 UStG gebunden. Der Erwerber hat deshalb seine Umsätze bis zum Ablauf der vom Veräußerer begonnenen Bindungsfrist ebenfalls nach den allgemeinen Vorschriften des UStG zu besteuern (§ 24 Abs. 4 Satz 2 UStG).
Gesonderter Umsatzsteuerausweis
Hat der leistende Unternehmer bei einer Geschäftsveräußerung im Ganzen die Umsatzsteuer im Kaufvertrag oder in einer Rechnung gesondert ausgewiesen, schuldet er diese Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG (vgl. Abschn. 14c.1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 UStAE).
Der leistende Unternehmer kann den unrichtigen Steuerausweis gegenüber dem Leistungsempfänger für ungültig erklären. Diese Erklärung muss dem Leistungsempfänger auch tatsächlich zugehen. Nicht erforderlich ist es, den ursprünglichen Kaufvertrag aufzuheben und einen neuen Vertrag ohne Steuerausweis zu schließen. Die Berichtigungserklärung muss in diesem Fall auch dann nicht notariell beurkundet werden, wenn der gesonderte Steuerausweis im notariell beurkundeten Kaufvertrag enthalten ist (vgl. BFH-Urteil vom 11.10.2007, V R 27/05, BStBl 2008 II S. 438).
Hat der Aussteller der Rechnung den unrichtigen Steuerausweis gegenüber dem Leistungsempfänger für ungültig erklärt, kann er den nach § 14c Abs. 1 UStG geschuldeten Steuerbetrag nur dann berichtigen, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist (§ 14c Abs. 1 Satz 3 UStG, Abschn. 14c.2 Abs. 3 UStAE).
Liegen die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Steuer vor, ist zu unterscheiden, ob die Vorsteuer zurückgezahlt oder nicht geltend gemacht wurde, da insoweit unterschiedliche Zeitpunkte für die Berichtigung in Betracht kommen:
- Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG grundsätzlich für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist (§ 14c Abs. 2 Satz 5 UStG, Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 5 UStAE).
- Wurde beim Leistungsempfänger kein Vorsteuerabzug vorgenommen, ist der wegen unrichtigen Steuerausweises geschuldete Betrag beim Aussteller der Rechnung für den Zeitraum zu berichtigen, in dem die Steuer nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG entstanden ist (Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 6 UStAE).
Vorsteuerabzug des Erwerbers
Der erwerbende Unternehmer kann aus dem unrichtigen Steuerausweis keinen Vorsteuerabzug geltend machen, weil nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG nur die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen als Vorsteuer abgezogen werden kann (Abschn. 15.2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStAE). Hat der Unternehmer dennoch die Vorsteuer zu Unrecht geltend gemacht, ist der Vorsteuerabzug rückwirkend zu versagen.
OFD Karlsruhe, Verfügung v. 28.2.2012, S 7100 b - Karte 1
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