Einzelfragen zur Pflicht- und Antragsveranlagung bei Lohneinkünften
Wer Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit bezieht, von denen Lohnsteuer abgezogen wurde, unterliegt den Regelungen zur Pflicht- und Antragsveranlagung nach § 46 EStG. Die OFD Frankfurt widmet sich dieser Vorschrift detailliert mit Verfügung vom 12.7.2012 und stellt Gesetzesänderungen und neuere BFH-Rechtsprechung zur Thematik zusammen. Danach gilt:
Pflichtveranlagung wegen 410 EUR-Grenze
Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG sind Arbeitnehmer u.a. dann zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet, wenn ihre positive Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte mehr als 410 EUR beträgt. Dieser Fall ist z.B. gegeben, wenn ein Arbeitnehmer nebenberufliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit von mehr als 410 EUR erzielt.
Hinweis: Bei der Grenzbetragsberechnung dürfen ein etwaig zu gewährender Freibetrag für Land- und Forstwirte (§ 13 Abs. 3 EStG) und der Altersentlastungsbetrag (§ 24a EStG) abgezogen werden.
Eine Pflichtveranlagung greift ferner dann ein, wenn die positive Summe der Progressionseinkünfte (z.B. das Elterngeld) die 410 EUR-Grenze überschreitet.
Positive Summe der Einkünfte maßgebend
Die OFD Frankfurt weist darauf hin, dass sich die 410 EUR-Grenze seit dem Jahressteuergesetz 2007 auf die positive Summe der Einkünfte bezieht, negative Einkünfte von mehr als 410 EUR somit keine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auslösen können.
Hintergrund: Der BFH hatte mit Urteil vom 21.9.2006 (VI R 52/04) entschieden, dass auch eine negative Summe der Einkünfte von mehr als 410 EUR zu einer Pflichtveranlagung führt. In Reaktion auf diese Rechtsprechung hatte der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2007 geregelt, dass nur eine positive Summe der Einkünfte über 410 EUR eine Pflichtveranlagung begründet. Diese gesetzliche Klarstellung war rückwirkend für Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden.
410 EUR-Grenze und Mindestbesteuerung
In der Zeit von 1999 bis 2003 galt die sog. Mindestbesteuerung des § 2 Abs. 3 EStG, die den steuerlichen Verlustausgleich über eine komplexe Verrechnungsbeschränkung begrenzte. Die OFD erklärt, dass diese Regelungen nach dem BFH-Urteil vom 22.5.2006 (VI R 50/04) auch bei der Ermittlung der 410 EUR-Grenze gelten.
410 EUR-Grenze und private Veräußerungsgeschäfte
Verluste aus einem privaten Veräußerungsgeschäft (nach §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG) dürfen nach dem Urteil des FG Köln vom 1.10.2010 (5 K 1853/07) nicht mit in die Grenzbetragsberechnung einbezogen werden; solche Verluste können demnach nicht dazu führen, dass die 410 EUR-Grenze unterschritten wird. Die OFD weist darauf hin, dass gegen das Urteil eine Revision beim BFH anhängig ist (VI R 22/11). Einsprüche, die sich auf dieses Verfahren beziehen, müssen von den Finanzämtern vorerst ruhend gestellt werden (sog. Zwangsruhen nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Frist für Antragsveranlagungen
Mit dem Jahressteuergesetz 2008 ließ der Gesetzgeber die verkürzte 2-jährige Antragsfrist für die freiwillige Abgabe einer Steuererklärung entfallen. Seitdem ist für die Antragsveranlagung die reguläre 4-jährige Festsetzungsfrist zu beachten.
Die 4-jährige Abgabefrist galt grundsätzlich erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005, sie war aber auch auf ältere Jahre anwendbar, sofern
der Antrag auf Veranlagung bis zum 28.12.2007 (Tag der Gesetzesverkündung) beim Finanzamt eingegangen war und
über ihn am 28.12.2007 noch nicht bestandskräftig entschieden worden war.
Das bedeutete im Umkehrschluss: Für Veranlagungszeiträume vor 2005, für die ein Antrag auf Veranlagung erst nach dem 28.12.2007 gestellt wurde, war nach der Verwaltungsauffassung noch die alte 2-Jahresfrist zu beachten. Der BFH widersprach dieser Sichtweise jedoch mit Urteil vom 12.11.2009 (VI R 1/09) und entschied, dass eine Antragsveranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch dann noch erfolgen kann, wenn der Steuerpflichtige den entsprechenden Antrag erst nach dem 28.12.2007 stellt (und keine Verjährungsfristen entgegenstehen). Die OFD weist die Finanzämter an, diese Rechtsprechung anzuerkennen und zurückgestellte Altfälle entsprechend zu veranlagen.
Keine Veranlagung nach bestandskräftiger Ablehnung
Eine Veranlagung zur Einkommensteuer kommt nach der Verfügung der OFD allerdings nicht mehr in Betracht, wenn das Finanzamt über einen Antrag auf Veranlagung bereits vor dem 28.12.2007 bestandskräftig abschlägig entschieden hat. Denn der BFH ist mit Urteil vom 9.2.2012 (VI R 34/11) zu dem Ergebnis gekommen, dass in diesen Fällen weder eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des JStG 2007 (Pflichtveranlagung aufgrund 410 EUR-Grenze) noch nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 in der Fassung des JStG 2008 (Antragsveranlagung) in Betracht kommt.
Antragsveranlagung nur innerhalb Festsetzungsfrist
Da Antragsveranlagungen (mittlerweile) innerhalb der 4-jährigen Festsetzungsfrist erfolgen dürfen, kommt dem Fristbeginn eine besondere Bedeutung zu. Die OFD erklärt, dass die Frist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, für das der Antrag auf Veranlagung gestellt wird. Dabei genügt es, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist einen Antrag auf Steuerfestsetzung stellt, denn die Festsetzungsfrist läuft nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist (Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO).
Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagungen
Durch die sog. Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kann sich der Beginn der Festsetzungsfrist um bis zu 3 Jahre verzögern (wenn eine Erklärung abzugeben ist). Zusammen mit der 4-jähren Festsetzungsfrist könnte sich durch diese Regelung also im Ergebnis eine 7-jährige Antragsfrist für Antragsveranlagungen ergeben. Die OFD erklärt jedoch, dass diese Anlaufhemmung nicht gilt, wenn der Steuerpflichtige eine Steuererklärung ohne Aufforderung durch das Finanzamt freiwillig einreicht. Somit bleibt die Antragsfrist für Antragsveranlagungen auf 4 (statt 7) Jahre beschränkt. Dieser Standpunkt deckt sich mit der Rechtsprechung des BFH, der die 3-jährige Anlaufhemmung in Fällen der Antragsveranlagung ebenfalls für nicht anwendbar hält (Urteile v. 14.4.2011, VI R 53/10, VI R 77/10, VI R 82/10 (NV), VI R 86/10 (NV) und v. 6.10.2011, VI R 17/11).
Die Finanzämter sollen bislang zurückgestellte Einsprüche, in denen sich der Steuerpflichtige auf eine 7-jährige Antragsfrist beruft, nun im Sinne dieser BFH-Rechtsprechung bearbeiten (= zurückweisen).
Altfälle mit negativen Nebeneinkünften
Die OFD weist ferner darauf hin, dass auch bei Antragsveranlagungen für Zeiträume vor 2005, in denen die Nebeneinkünfte die negative Summe von 410 EUR übersteigen, die Festsetzungsfrist zu beachten ist und die 3-jährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht gilt (BFH, Urteil v. 6.10.2011, VI R 17/11). Einsprüche, die aufgrund dieser Frage bisher geruht haben, sollen von den Finanzämtern nun im Sinne der BFH-Rechtsprechung bearbeitet werden.
Antrag auf Veranlagung ist keine Änderungsnorm
Bereits bestandskräftige Einkommensteuerbescheide können durch einen Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nicht geändert werden. Denn nach dem Urteil des BFH vom 22.5.2006 (VI R 17/05) enthält die Vorschrift des § 46 EStG keine Rechtsgrundlage für die Änderung bereits bestandskräftiger Steuerbescheide.
Die OFD weist die Finanzämter aber darauf hin, dass in diesen Fällen zu prüfen ist, ob eine Änderung nach den Vorschriften der AO möglich ist.
OFD Frankfurt, Verfügung v. 12.7.2012, S 2270 A - 11 - St 216
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