Verbleibender Verlustvortrag: Erstmaliger Erlass oder Änderung eines Feststellungsbescheids (OFD)
1. Zeitliche Anwendung
Die Neuregelung gilt erstmals für Verluste, für die nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wird (§ 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F.d.JStG 2010).
2. Rechtliche Darstellung
§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG ordnet nunmehr an, dass bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen sind, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zugrunde gelegt worden sind. Eine entsprechende Anwendung der Regelungen in § 171 Abs. 10 (Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist des Folgebescheids), § 175 Abs. 1 Nr. 1 (Änderung von Folgebescheiden zur Anpassung an den Grundlagenbescheid) und § 351 Abs. 2 AO (Anfechtungsbeschränkung des Folgebescheids) und § 42 FGO (Anfechtungsbeschränkung des Folgebescheids) lässt der jeweiligen Steuerfestsetzung die Wirkung eines Grundlagenbescheids (§ 182 AO) für die Verlustfeststellung zukommen.
Mit der Neufassung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG wird eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl er verfahrensrechtlich kein Grundlagenbescheid ist.
Der geänderte § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG sieht eine Ausnahme von der Bindungswirkung der Steuerfestsetzung vor. Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt
3. Anwendungsbereich
Beispiel: Der Steuerpflichtige reicht seine Einkommensteuererklärung 2010 ein und erklärt lediglich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 19 EStG i. H. v. 30.000 EUR. Nachdem der daraufhin erlassene Einkommensteuerbescheid bestandskräftig wird, beantragt er die Berücksichtigung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG i. H. v. - 45.000 EUR. Unter der Annahme, dass keine Änderungsvorschrift nach den §§ 172 ff bzw. § 129 AO greift, kann dieser Verlust nicht nachträglich berücksichtigt werden. Auch der erstmalige Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids kann nicht erfolgen, da die Besteuerungsgrundlage nicht im Einkommensteuerbescheid berücksichtigt wurde (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG n.F.). Die Voraussetzungen des Satzes 5 des § 10d Abs. 4 EStG n.F. sind ebenfalls nicht erfüllt.
4. Kein Anwendungsbereich
§ 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG hat für den Verlustrücktrag keinerlei Bedeutung. Denn die im Steuerbescheid „zugrunde gelegten” (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG) Besteuerungsgrundlagen sind nur für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags bindend.
5. Vorgehensweise bei Einsprüchen gegen die Verlustfeststellung
Die nachstehenden Fallgestaltungen sollen verdeutlichen, ob ein Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 358 AO erfüllt:
- Legt der Steuerpflichtige Einspruch gegen den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags ein und begehrt eine geänderte Feststellung der Höhe nach, ist der Einspruch gem. § 35 Abs. 2 AO i. V. m. § 10d Abs. 4 Satz 4 2. Halbsatz EStG n. F. unzulässig. Der Steuerpflichtige muss gegen die Steuerfestsetzung Einspruch einlegen und dort die Durchsetzung des beantragten Verlustes erwirken.
- Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist auch dann erforderlich, wenn die Steuerfestsetzung bereits auf 0 EUR lautet. In Bezug auf die angefochtene Steuerfestsetzung liegt zwar keine Beschwer i. S. v. § 350 AO vor, aber § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG n.F. eröffnet die betragsmäßige Verlustübernahme in den Verlustfeststellungsbescheid.
Abwandlung des obigen Beispiel: Der Steuerpflichtige hat bereits Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i. H. v. - 50.000 EUR erklärt und beantragt im Wege des Einspruchs eine Erhöhung des Verlusts auf insgesamt 60.000 EUR:
In diesem Fall kann die Änderung der Steuerfestsetzung dem Grunde nach gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO erfolgen. Unterbleibt aufgrund der steuerlichen Auswirkung von 0 EUR diese Änderung, kann gleichwohl die Verlustfeststellung auf 30.000 EUR korrigiert werden (§ 10d Abs. 4 Satz 5 EStG).
- Erfolgte die Verlustfeststellung aus unbestimmten Gründen nicht, obwohl die Besteuerungsgrundlagen in nicht zu beanstandender Höhe im Steuerbescheid berücksichtigt wurden, sollte zunächst ein Antrag auf Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids gestellt werden. Wird über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden, ist der (Untätigkeits-)Einspruch statthaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO).
- Begehrt der Steuerpflichtige nachträglich die Durchführung eines Verlustrücktrags (der bisher nicht oder nur teilweise erfolgt ist), ist ein Einspruch gegen die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zulässig.
- Ein Einspruch gegen die Verlustfeststellung ist ferner zulässig, wenn die Feststellung an sich falsche Angaben enthält, die mit dem festgestellten Betrag nicht im Zusammenhang stehen.
OFD Münster, Verfügung v. 10.6.2011, Kurzinformation Einkommensteuer Nr. 18/2011.
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