Das System der "Allphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug" sieht die Entlastung des Unternehmers von der Umsatzsteuer vor, die er an seinen Vorlieferanten entrichtet hat (Vorsteuerabzug). Grenzüberschreitende Lieferungen (Ausfuhren und innergemeinschaftliche Lieferungen) sind von der Umsatzsteuer befreit und sehen die Erstattung der Vorsteuern an den liefernden Unternehmer vor.
Dies führt dazu, dass Unternehmer, die überwiegend grenzüberschreitend Waren verkaufen, ihre Vorsteuerüberhänge vom Finanzamt ausgezahlt erhalten. Für Betrüger liegt daher der Gedanke nahe, grenzüberschreitende Lieferungen vorzutäuschen, sich die Vorsteuer vom Finanzamt erstatten zu lassen und dann z.B. die Waren trotzdem im Inland zu verkaufen, wobei die Nichtversteuerung niedrigere Verkaufspreise ermöglicht, die für steuerehrliche Unternehmer wirtschaftlich kaum darstellbar sind. Eine andere Variante des Umsatzsteuerbetrugs besteht darin, dass der Unternehmer die seinen Abnehmern in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abführt. Umsatzsteuerbetrug ist daher auch in rein inländischen Lieferketten möglich; allerdings erschweren grenzüberschreitende Lieferketten das Aufdecken durch die Finanzbehörden, da der Informationsaustausch über Landesgrenzen hinweg technisch und sprachlich schwieriger und zeitaufwendiger ist, als die Abstimmung der Steuerfahndungsbehörden im Inland.
Umsatzsteuerkarussell = organisierte Kriminalität: Bei in Betrugsabsicht aufgesetzten sog. "Umsatzsteuerkarussellen" wird die Ware über mehrere Grenzen hinweg befördert und an mehreren Stellen Umsatzsteuer hinterzogen, oft unter Beteiligung verschiedener zu Betrugszwecken gegründeter Gesellschaften und unter Einbindung unbeteiligter steuerehrlicher Unternehmer, die zur Verschleierung des Betrugs dienen. Mit hohen Umsatzvolumina kann so in kurzer Zeit eine hohe Schädigung des Umsatzsteueraufkommens bewirkt werden. Es handelt sich hierbei um Fälle organisierter Kriminalität! Karusselle mit Drittlandsbezug sind aufgrund der beteiligten Zollbehörden selten.
Das nachstehende Schaubild zeigt ein vereinfachtes Umsatzsteuerkarussell. Der steuerehrliche Unternehmer B kauft Ware von dem betrügerisch handelnden Lieferanten A und verkauft diese an den mit A in Betrugsabsicht zusammenwirkenden Abnehmer C. A führt die dem B in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht an sein Finanzamt ab und C erklärt keinen innergemeinschaftlichen Erwerb, womit er die Aufdeckung durch die Behörden erschwert. Zwischen C und A können weitere Betrüger eingeschaltet sein, um an weiteren Stellen und in anderen Mitgliedstaaten Umsatzsteuer zu hinterziehen, auch unter Einbindung weiterer ahnungsloser Unternehmer, um das Karussell besser zu verschleiern.
Solche Karussellgeschäfte werden üblicherweise mit Waren, also körperlichen Gegenständen, umgesetzt. Dem Umsatzsteuerbetrug mit Dienstleistungen oder bei bestimmten Gruppen von als betrugsanfällig identifizierten Liefersachverhalten wird durch die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger begegnet (sog. "Reverse Charge", § 13b UStG), da dann Steuerschuld und Vorsteuerabzug bei demselben Steuerpflichtigen zusammenfallen, so dass die Auszahlung von Vorsteuern an den Unternehmer entfällt. Der Katalog der Anwendungsfälle für die Steuerschuldumkehr in § 13b Abs. 2 UStG bzw. der MwSt-Systemrichtlinie (hier insbesondere Art. 199 ff.) wird regelmäßig verlängert.
Regelungen zur Leistungsortbestimmung bei Betrug: Die umsatzsteuerlichen Regelungen zur Bestimmung des Leistungsortes bleiben auch in Betrugsfällen anwendbar, so dass bei der grenzüberschreitenden Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten der Leistungsort beim unternehmerischen Empfänger im Ausland liegt, selbst wenn der inländische Leistende wusste, dass der ausländische Leistungsempfänger den Leistungsbezug nicht im Rahmen der Steuerschuldumkehr (Reverse Charge) versteuern würde. In diesem Fall kann nur dem Leistungsempfänger der Vorsteuerabzug versagt werden, es kann aber keine Versteuerung im Land des Leistenden angenommen werden, da die Ortsverlagerung zum Leistungsempfänger in B2B-Fällen unverändert anwendbar bleibt. Für innergemeinschaftliche Lieferungen von Gegenständen gelten andere Regelungen zur Ortsbestimmung und Versteuerung.